Samstag, April 26

Wer Aussergewöhnliches erreicht hat, aber nicht rechtzeitig auf Veränderungen reagiert und die Weichen für die Zukunft stellt, gefährdet seinen Erfolg. Was dem WEF-Gründer passiert ist, wirkt stossend. Aber ganz überraschend kommt es nicht.

Der Geist von Davos ist gestresst wie selten. Extreme Linke kämpfen seit Jahrzehnten gegen ihn an, weil sie im Zusammentreffen von Wirtschaft und Politik die Verkörperung eines unterdrückerischen Kapitalismus sehen oder eine Weltverschwörung wittern. Radikale Rechte orten im moralischen Anspruch des Weltwirtschaftsforums (WEF) eine «woke» Unterminierung des Leistungsprinzips.

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Der WEF-Gründer Klaus Schwab und seine Organisation haben darauf reagiert, indem sie Nichtregierungsorganisationen einbanden, einen unternehmerischen Stakeholder-Kapitalismus predigten und sich dabei von «woken» amerikanischen Übertreibungen distanzierten. Auch die vehementeste Kritik vermochte den «Geist von Davos» und die Effizienz des Forums, das ihn organisiert, nicht wirklich zu erschüttern – bis zu den Ereignissen dieser Woche.

Ein Sammelsurium von Vorwürfen

Nun wurde Klaus Schwab, der das Forum 55 Jahre lang wie ein Patron aufgebaut und «Davos» zu einer Marke von Weltruhm gemacht hat, kurz nach seinem 87. Geburtstag von «seinem» Stiftungsrat faktisch entmachtet und zum Rücktritt gezwungen. Er darf mit «seiner» Organisation keinen Kontakt mehr pflegen, weil Vorwürfe eines unbekannten Whistleblowers gegen ihn und seine Frau juristisch untersucht werden sollen. Die Führung des Forums übernehmen der 80-jährige österreichische Ex-Nestlé-Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck als Chairman und der norwegische Schwab-Ziehsohn und CEO Börge Brende. Schwab, der grosse Teile seines Vermögens den Stiftungen des Forums geschenkt hat, versteht die Welt nicht mehr. Er fühlt sich ungerecht behandelt und sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne.

Die Realität ist aber wohl komplexer.

Einer juristischen Aufarbeitung soll hier nicht vorgegriffen werden. Aber bereits im Sommer 2024 wurden über das amerikanische «Wall Street Journal» Vorwürfe von «besorgten ehemaligen und gegenwärtigen Mitarbeitern» erhoben, die von amerikanischen und schweizerischen Juristen monatelang untersucht wurden. Die jetzt erneut vom «Wall Street Journal» publik gemachten Anschuldigungen der Diskriminierung, der Belästigung, des unprofessionellen Verhaltens und der Nutzung von Stiftungsmitteln für persönliche Zwecke scheinen eine Fortsetzung davon zu sein.

Die Vorwürfe wirken, soweit bekannt, wenig konkret. Für Schwab gilt die Unschuldsvermutung. Es scheint alles Mögliche zusammengetragen worden zu sein, um dem Ruf von Schwab und seiner Organisation zu schaden. Dass die Kritik aufgeklärt wird, ist deshalb in beider Interesse. Schwab selbst will dies mit seiner Anzeige gegen Unbekannt erreichen.

Tatsache ist aber auch, dass viele Mitarbeiter über Jahrzehnte gern für das Forum gearbeitet haben. Der «Geist von Davos» war nicht nur ein Exportschlager, er begründete auch eine idealistische Unternehmenskultur. Offensichtlich gibt es nun ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter, die finden, die in der Organisation gelebte Realität habe diesen Ansprüchen nicht genügt. Sie scheinen gegen Schwab einen grossen Groll zu hegen.

Das dürfte auch mit der Verwandlung des Forums von einem schlanken «Familienbetrieb» in eine weltumspannend präsente Organisation mit inzwischen rund tausend Mitarbeitern zusammenhängen, die während des ganzen Jahrs nicht nur Konferenzen organisiert, sondern auch Projekte verfolgt und alle möglichen unternehmerischen und weltpolitischen Unzulänglichkeiten beheben will. Da wirkt der patronal autoritäre Anspruch, im Zweifelsfall in «seiner» Organisation das letzte Wort zu haben, etwas aus der Zeit gefallen. Dabei dürfte der selbstbewusste Ingenieur, Ökonom und Professor auch zum Opfer seiner selbstverkündeten Weltverbesserungsansprüche geworden sein.

Zu lange gewartet

Das allein erklärt das Debakel allerdings kaum. Es liegt auf der Hand, dass führende Köpfe in der Organisation und im Stiftungsrat seit einiger Zeit aus dem Schatten des alternden Gründers treten wollten. Erfolg weckt Neider; mit Intrigen ist leider zu rechnen.

Schwab vertraute auf seine Kontakte und die persönliche Verbundenheit. Doch als die Auseinandersetzung über organisatorische und statutarische Veränderungen im Forum ihren Gang nahm und durch einen unbekannten Whistleblower eine neue Dimension erhielt, blieb auch wohlgesinnten Stiftungsratsmitgliedern am Ende wohl kaum viel anderes übrig, als Schwab zu desavouieren.

Die 27 Stiftungsratsmitglieder, die internationale Organisationen wie den Währungsfonds und Konzerne wie Accenture führen, haben die Vorwürfe des Whistleblowers zusammen mit der juristischen Empfehlung erhalten, eine Untersuchung darüber einzuleiten. Sie hätten sich angreifbar gemacht, wenn sie an einer an Ostern eilends einberufenen Sondersitzung nicht darauf eingetreten wären. Internationale Konzerne und Organisationen sind keine Familienunternehmen.

Hätte der Gründer rechtzeitig Platz gemacht und sich einen Ehrenplatz gesichert, als er noch alle Fäden in der Hand hielt, wäre es wohl nie so weit gekommen. Doch Schwab fühlte sich noch fit. Er zögerte zu lange und setzte auf eine Nachfolgerin, die noch nicht verfügbar war. Nun hat er die Kontrolle über die Geschehnisse tragisch verloren.

Es geht auch um die Schweiz

Das WEF hat als internationale Begegnungsplattform wie auch als Ort des informellen Austausches und der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik in der Vergangenheit immer wieder eine wichtige Rolle gespielt. Das ist Schwabs Verdienst, und seine Beziehungen spielten dabei eine zentrale Rolle. Im gegenwärtigen angespannten geopolitischen Klima wäre ein gut funktionierendes WEF nun erst recht wertvoll. Sollte aus der Entmachtung des Gründers ein Dauerstreit entstehen, dürfte das Forum hingegen den «Geist von Davos» und seine zahlenden Mitglieder kaum lange halten können. Es ist deshalb dringend zu hoffen, dass doch noch eine einvernehmliche Lösung gefunden wird.

Dabei geht es auch um die Schweiz. Die organisatorische und kulturelle Verankerung des WEF in der Schweiz ist mit zunehmender Internationalität und dem Abgang von Schwab keine Selbstverständlichkeit mehr. Alois Zwinggi, der in der Geschäftsleitung verbliebene Schweizer, betont zwar die enge Verbundenheit der Organisation mit Davos. Doch zwingend festgeschrieben ist sie nicht. Auch Saudiarabien und China werben heftig um Anlässe des Forums. Sollte es zu einer normalen Konferenzorganisation werden, verlöre das Land nach der Swissair und der Credit Suisse auch diesen globalen Markenbotschafter einer offenen, weltzugewandten Schweiz. Fehlt nur noch der Ausverkauf des internationalen Geschäfts der UBS.

Überhaupt gibt es leider beunruhigende Parallelen zwischen dem Schicksal von Schwab und demjenigen der Schweiz. Auch die Schweiz war und ist aussergewöhnlich erfolgreich. Viele Schweizer sind stolz darauf und zelebrieren das Gefühl, in einer weltoffenen Heimat zu leben, die besser verfasst ist als alle rundherum und die den höchsten moralischen Ansprüchen genügen soll. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen öfters auseinander. Die zurückhaltende Ukraine-Hilfe etwa wirkt wenig solidarisch. Die geringen Militärausgaben stehen in störendem Kontrast zur gestiegenen Bedrohungslage. Der hohe protektionistische Schutz für die einheimische Landwirtschaft und das Gewerbe verträgt sich schlecht mit dem Anspruch auf internationalen Marktzugang und Weltoffenheit. Und eine unkooperativ-strikte Auslegung der Neutralität stösst im Ausland auf zunehmendes Unverständnis.

Auch die Schweiz läuft Gefahr, sich allzu selbstgefällig auf vergangene Grösse zu versteifen und dabei sich verändernde Rahmenbedingungen zu spät zu erkennen.

In der Unternehmenswelt verstärkt der technologische Wandel die Bedeutung von Grössenvorteilen und der geografischen Konzentration. Davon hat die Schweiz im Zentrum Europas profitiert. Doch die politische Reaktion auf den damit verbundenen Wandel stellt nun die Globalisierung und die multilaterale Nachkriegsordnung infrage. Sie fördert geopolitische Spannungen und Blockbildung. Donald Trumps «America first»-Politik ist nur ein besonders extremer Ausdruck davon.

Das setzt nicht nur den «Geist von Davos», sondern auch den «Spirit of Switzerland» unter Stress. Reagiert die Schweiz darauf nicht rechtzeitig und fühlt sie sich ihres Erfolgs allzu lange sicher, könnte sie schnell ins Abseits geraten. Das Schicksal von Klaus Schwab sollte ihr eine Warnung sein.

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