Dienstag, Oktober 8

Das Land verzeichnet das stärkste Bevölkerungswachstum seit den 1960er Jahren. Bemerkenswert ist, welche Kantone besonders wachsen.

Die Schweiz ist als Wohnort so beliebt wie lange nicht mehr. Ende 2023 haben über 8,96 Millionen Menschen in der Schweiz gelebt, das sind 146 900 Personen mehr als im Vorjahr. Oder anders ausgedrückt: Die Schweiz ist um die Einwohnerzahl der Stadt Bern oder Lausanne gewachsen. Der Vergleich ist vielsagend, denn jahrelang diente St. Gallen als Referenz, nun ist die Ostschweizer Stadt zu klein.

Mit 1,7 Prozent war das Bevölkerungswachstum im vergangenen Jahr fast doppelt so hoch wie 2022 (0,9 Prozent). Auch im langjährigen Vergleich ist die Zunahme bemerkenswert. Es handelt sich um das markanteste Wachstum seit Beginn der 1960er Jahre. Der Wanderungssaldo, die Differenz zwischen Einwanderungen und Auswanderungen, war 2023 so gross wie noch nie. Die definitiven Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS), die am Donnerstag publiziert wurden, bestätigen den erwarteten Trend.

Die Debatte vorweggenommen hat die SVP, die im Frühling ihre Volksinitiative mit dem Titel «Keine 10-Millionen-Schweiz!» einreichte. Denn mit dem neuerlichen Sprung nähert sich die Schweiz dieser Grenze rascher an als vom Bund prognostiziert. Das Referenzszenario des BfS geht davon aus, dass diese Marke im Jahr 2040 überschritten wird. Bliebe das Wachstum so hoch wie im vergangenen Jahr, dürfte das allerdings schon deutlich früher der Fall sein.

«Ukraine-Effekt»: Die Hälfte der Zuwanderer stammt aus dem Kriegsland

Ein Blick auf die detaillierten Zahlen relativiert dies jedoch. Denn es ist kaum davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren genauso viele Ukrainer in die Schweiz kommen werden wie in jüngster Vergangenheit. 2023 zählten Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S, die seit mehr als einem Jahr in der Schweiz leben, erstmals zur ständigen Wohnbevölkerung. Mit knapp 60 000 Personen stellten sie knapp die Hälfte der ausländischen Zuwanderer. Zieht man diese Gruppe als Sondereffekt ab, hätte das Bevölkerungswachstum im vergangenen Jahr 1,1 Prozent betragen.

Das BfS bestätigt, dass die aussergewöhnlich hohe Wachstumsrate 2023 grösstenteils auf die ukrainischen Flüchtlinge zurückzuführen ist. Angesichts der 2024 bisher registrierten Migration scheine es offensichtlich, dass der Wert in diesem Jahr nicht so hoch sein werde.

Unabhängig davon bleibt die Zuwanderung wie in den Vorjahren der Haupttreiber des Bevölkerungswachstums in der Schweiz. Während die Zahl der Schweizer um 25 600 anstieg, wuchs jene der Ausländer um 121 300 Personen. Der Ausländeranteil in der Schweiz beträgt nun 27 Prozent.

Die stabilen Arbeitslosenzahlen sowie die tiefe Zahl offener Stellen legen nahe, dass die Wirtschaft die zusätzlichen Arbeitskräfte sucht. Insbesondere im Niedriglohnbereich ist der Ausländeranteil hoch, aber auch viele Expats ziehen in die Schweiz. «Heute ist die Wirtschaft stark von den ausländischen Arbeitskräften abhängig», sagte Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktexperte der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, vor wenigen Monaten der «NZZ am Sonntag».

Die Regionen holen auf

Mit der starken Zuwanderung dürfte der Druck auf den Wohnungsmarkt und die Infrastruktur weiter zunehmen, insbesondere in den urbanen Zentren. Der Bund rechnet damit, dass in den nächsten 30 Jahren vor allem die Kantone Zürich, Waadt, Aargau, Genf und Zug ein hohes Wachstum erzielen.

Allerdings zeigen die neusten BfS-Zahlen Bemerkenswertes. Mit dem Wallis registriert ausgerechnet ein ländlicher, relativ schlecht an die Wirtschaftszentren angeschlossener Kanton die stärkste Zunahme. Dahinter folgen Schaffhausen, Aargau und Freiburg.

Das könnte darauf hindeuten, dass Zugewanderte möglicherweise auf Kantone ausweichen, die ein grösseres und günstigeres Wohnangebot haben als etwa Zürich oder Zug mit ihren tiefen Leerwohnungsziffern. In den vergangenen 30 Jahren wurde insbesondere auf dem Land verdichtet und Wohnraum erstellt. Ins Wallis, um das als Beispiel zu nennen, zogen laut den Zahlen zur Binnenmigration viele Leute aus den Kantonen Waadt, Genf und Bern zu. Allerdings entwickelten sich die Zahlen in anderen ländlichen Regionen unterdurchschnittlich, etwa im Jurabogen. Unter dem Strich haben alle 26 Kantone 2023 einen Zuwachs registriert.

Die Schweiz wird nicht nur dichter besiedelt, sondern auch älter. Ende 2023 lebten 1,73 Millionen Rentner in der Schweiz – rund 400 000 mehr als ein Jahr zuvor. Mehr als eine halbe Million war über 80-jährig.

NZZ Live-Veranstaltung: Wann kommt die 10-Millionen-Schweiz?
Mit der politischen Liberalisierung in Europa sind die Grenzen der Schweiz durchlässig geworden. Die Folge war eine anhaltend hohe Zuwanderung. Es fragt sich, wie es mit dem Wachstum weitergehen soll.
18. September 2024, 18:30 Uhr, NZZ-Foyer, Zürich und online
Tickets und weitere Informationen finden Sie hier.

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