Freitag, Oktober 11

Selten waren Länderspiele der Schweizer Fussballer folgenreicher als jene gegen Serbien. Nun kommt es in der Nations League zu einer Neuauflage.

Irgendetwas führt sie immer wieder von neuem zusammen, die Serben und die Schweizer, ganz so, als gäbe es besondere Kräfte, die zwischen ihnen wirkten – und bis in die Lostöpfe hinein. Serbien gegen die Schweiz, an der WM 2018 in Kaliningrad. An der WM 2022 in Doha.

Und nun: in der Nations League, Ausgabe 24/25, in Leskovac, einer Stadt im Süden Serbiens. An ihrem Rand steht ein Fussballstadion, das nur gerade 8000 Zuschauern Platz bietet. Am Samstag findet dort ein Fussballspiel statt, das für sich genommen keine grosse Sache wäre. Kleine Provinzbühne. Nations League.

Doch nach all dem, was war, in Doha und zuvor, vor mittlerweile sechs Jahren in Kaliningrad, ist ein Spiel zwischen der Schweiz und Serbien nicht bloss eine Randnotiz. Zu viel kommt da zusammen, zu sehr hat das Duell bewegt, zu viel hat es ausgelöst. Am Anfang standen die Doppeladler-Gesten nach dem 2:1-Sieg an der WM in Russland. Von da an wurde das Spiel immer grösser. In der jüngeren Schweizer Fussballgeschichte war keines folgenreicher.

Der Verband temperiert das Spiel herunter

Im Umfeld des Schweizerischen Fussballverbands ist man in diesen Tagen hörbar bemüht, der Partie jegliche Brisanz abzusprechen. So hielt es der Nationaltrainer Murat Yakin, der von «alten Geschichten» sprach. Sein Chef Pierluigi Tami, der Direktor der Nationalmannschaft, machte später gar eine «sehr alte Geschichte» daraus.

Nur kein Öl ins Feuer giessen, nur nichts aufkochen – die SFV-Strategie ist keine neue. Und solange intern der politische Kontext genügend dringlich vermittelt wird, ist sie auch nachvollziehbar. Es geht nur um den Sport, die drei Punkte. So ist es den Funktionären am liebsten, dem Trainer erst recht.

Als er Anfang Woche über die politische Dimension des Serbien-Spiels sprechen musste, ob er nun wollte oder nicht, da kündigte Pierluigi Tami an, dass man sich natürlich mit der Mannschaft über das Thema austauschen werde. Und auch mit Granit Xhaka.

Auf ihn, auf Xhaka, den Captain des Schweizer Teams, werden am Samstag alle Augen gerichtet sein. Xhaka war auch ein Protagonist, als alles anfing, am 22. Juni 2018. Es war ein enges Spiel damals, die Serben führten früh, doch die Schweizer kamen zurück. Granit Xhaka traf und später, in der 90. Minute, auch Xherdan Shaqiri.

2:1 für die Schweiz, doch darüber sprach bald niemand mehr, sondern alle nur noch über den Doppeladler. Shaqiri formte seine Hände nach dem Siegtreffer zu einem, Xhaka – wie schon zuvor nach seinem Tor – ebenfalls, und auch der Schweizer Captain Stephan Lichtsteiner machte die Geste.

Der Doppeladler, die Geste der Albaner und Kosovo-Albaner, vor den serbischen Fans, die das ganze Spiel über provoziert und gepfiffen hatten. Und dabei die Schweizer Fussballer mit kosovarischer Herkunft ins Visier nahmen, eben etwa: Shaqiri, Xhaka, auch Valon Behrami. Sie taten das wegen des Konflikts um Kosovo, der bis heute andauert. Für Serbien gehört es zum eigenen Staatsgebiet. Die Kosovaren haben 2008 ihre Unabhängigkeit erklärt.

Nach dem Schlusspfiff wächst und wächst die Geschichte. Während der SFV in Russland mit bescheidenem Erfolg versucht, den Schaden in Grenzen zu halten, entbrennt zu Hause eine politische Diskussion. Die Doppeladler-Geste trifft einen Nerv im Einwanderungsland Schweiz mit seinen vielen Doppelbürgern.

Bundesrat schaltete sich in die Doppeladler-Debatte ein

Natalie Rickli, damals Zürcher SVP-Nationalrätin, twittert, die beiden Tore seien «nicht für die Schweiz gefallen, sondern für den Kosovo». Bundesrat Ignazio Cassis dagegen zweifelt nicht daran, «dass man patriotische Emotionen für die Nation empfinden kann, die einen aufgenommen hat, ohne sein Heimatland zu vergessen». Es geht jetzt um die grossen Linien. Um Identität, um Herkunft, um Loyalität. Um echte und weniger echte Schweizer. Nicht zuletzt auch um diffuse Gefühle, die irgendwo schlummerten. Und sich jetzt ungehemmt Bahn brechen.

Der Fussballverband macht in der Sache keine gute Figur, weil er Dynamik und Tragweite unterschätzt, vor dem Spiel und danach. Der Generalsekretär Alex Miescher stellt nach den Vorkommnissen in einem Interview zur Diskussion, ob der Fussballverband künftig noch Doppelbürger ausbilden soll. Verschiedene Nationalspieler, unter anderem auch Xhaka, reagieren mit Kritik.

Ein paar Wochen später tritt Miescher zurück. Es ist der Anfang von grossen Umwälzungen im SFV. Der Posten des Nationalmannschafts-Direktors wird geschaffen und 2019 mit Pierluigi Tami besetzt. Dominique Blanc wird neuer SFV-Präsident. Und auch der Kommunikationschef wird ausgewechselt.

Als die Schweiz an der WM 2022 wieder auf Serbien trifft, geht es erneut um viel. Wieder gewinnt die Schweiz. Und wieder gehen die Emotionen hoch. Von der serbischen Bank aus sollen albanische Mütter beschimpft worden sein. Der serbische Nationaltrainer Dragan Stojkovic stösst üble Flüche aus. Einmal gestikuliert Granit Xhaka in Richtung Bank der Serben, fasst sich dabei kurz in den Schritt. Später im Spiel wird eine Hand an seiner Gurgel landen. Es ist die des serbischen Goalies Vanja Milinkovic-Savic.

Und schliesslich, nach Spielende, beim Jubel über den Sieg, zieht Xhaka das Trikot des Teamkollegen Ardon Jashari an. Jashari, wie Adem Jashari, der die kosovarische Befreiungsarmee UCK mitgegründet hat – jene UCK, die in den 1990er Jahren im Kosovo-Krieg gegen die Serben für die kosovarische Unabhängigkeit gekämpft hat.

«Gar kein politischer Hintergrund», gibt Xhaka später zu Protokoll. Wie auch immer: Doha entfaltet zwar nicht die gleiche Wirkung wie Kaliningrad. Doch auch dort zeigt sich, wie viel Sprengkraft das Spiel birgt. Welche Emotionen es schürt, auf beiden Seiten.

Selbst als der FC Lugano im August in Thun gegen Partizan Belgrad spielte, skandierten serbische Fans: «Kosova is Serbia.» Im Gegenzug feierten Lugano-Spieler mit kosovarischer Herkunft, unter ihnen der Schweizer Nationalspieler Uran Bislimi, mit provokativen Gesten – auch der Doppeladler war zu sehen.

Bislimi ist diesmal nicht im Aufgebot, anders als Xhaka, dessen Vater Ragip in den 1980er Jahren in Kosovo von der aus Belgrad gesteuerten jugoslawischen Polizei verhaftet worden war, nach drei Jahren im Gefängnis entlassen wurde und in die Schweiz flüchtete. Ohne den Kosovo-Konflikt gäbe es keinen Schweizer Nationalspieler Xhaka. Aber es gibt auch keinen Schweizer Nationalspieler Xhaka, den der Konflikt nicht umtreibt.

Diesmal ist Xhaka fast alleine

Jetzt spielt Xhaka zum ersten Mal in Serbien gegen Serbien, und weil Shaqiri kürzlich zurückgetreten ist und Andi Zeqiri nur Ergänzungsspieler ist, dürfte er der einzige Schweizer kosovarischer Herkunft sein, der auf dem Platz stehen wird. Überlegungen, Xhaka nicht für das Spiel in Leskovac aufzubieten, hat es laut dem Verband nie gegeben. Das hätte auch überrascht, zumal Xhaka keiner ist, der sich versteckt. Reden wird er vor dem Spiel aber nicht.

Irgendwas war zuletzt immer, wenn Serbien und die Schweiz aufeinandertrafen. Doch das heisst nicht, dass es auch jetzt so sein muss. Eben: Nations League. Das kleine Stadion in Leskovac. Die grossen Sicherheitsvorkehrungen des serbischen Fussballverbands mit personalisierten Tickets und grossem Polizeiaufgebot. Dazu kommt die allgemeine Gleichgültigkeit, die laut Beobachtern in Serbien gegenüber der Nationalmannschaft gerade herrscht.

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