Mittwoch, Oktober 9

Die Schweiz plant eine Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock. In der 400-jährigen Geschichte der dauernden Neutralität hat sie schon mehrfach versucht, Frieden zwischen Kriegsparteien zu vermitteln – mit viel gutem Willen, aber wenig Erfolg.

«Helvetia mediatrix»: die Schweiz als Vermittlerin. Unter diesem Buchtitel hat sich der Zürcher Literaturwissenschafter und Essayist Fritz Ernst während des Zweiten Weltkriegs Gedanken zur Friedensmission der Schweiz gemacht. Er sah die historische und moralische Rolle der neutralen und kulturell vielfältigen Schweiz darin, den «Weltausgleich» zu fördern. Dieses hohe Ziel glaubten Generationen von eidgenössischen Politikern – und in jüngster Zeit auch Politikerinnen – als eidgenössischen Auftrag verfolgen zu müssen.

Das jüngste Beispiel schweizerischer Friedensvermittlung ist die Ukraine-Konferenz, die Mitte Juni im Luxusresort Bürgenstock, hoch über dem Vierwaldstättersee, über die Bühne gehen soll. Das Aussendepartement ist seit Wochen mit der Planung dieses Spitzentreffens beschäftigt, zu dem achtzig bis hundert Staats- und Regierungschefs aus aller Welt erwartet werden – eine logistische und diplomatische Herkulesaufgabe.

Der Ukraine-Gipfel reiht sich ein in eine lange Geschichte. Seit dem Beginn der dauernden Neutralität im 17. Jahrhundert unternahm die eidgenössische Politik mehrere Versuche, im kriegsgeschüttelten Europa Frieden zu schaffen.

Taube Ohren (1636)

In den ersten drei Jahrhunderten – vom 14. bis 16. Jahrhundert – waren die Eidgenossen alles andere als neutral. Sonst wäre die Eidgenossenschaft ja gar nicht entstanden. Sie haben Bündnisse geschlossen und in allen Richtungen Krieg geführt. Auch Marignano brachte nicht die Wende. Die Niederlage von 1515 als Geburt der Neutralität ist eine Erfindung der Historiker um 1900. Erst im Dreissigjährigen Krieg (1618–1648) wandte sich die Eidgenossenschaft der dauernden Neutralität zu, als sie die Militärbündnisse mit auswärtigen Mächten nicht mehr erneuerte, fremden Truppen die Durchquerung der Schweiz verbot und sich ausserhalb des Kriegsgeschehens hielt.

Sehr rasch wurde sie international als neutrales Land wahrgenommen, von dem die Kriegführenden «Gute Dienste», wie sie später genannt wurden, erwarteten. So übermittelte die Tagsatzung schon im 17. Jahrhundert verschiedentlich Botschaften zwischen den verfeindeten Parteien.

Auch in der Friedensvermittlung, der «Königsdisziplin» im vielfältigen Bereich der Guten Dienste, war die Schweiz schon in ihren ersten Neutralitätsjahren tätig – eine «aktive Neutralität» avant la lettre.

Einen ersten ergebnislosen Vermittlungsversuch unternahmen die katholischen Kantone 1635 zwischen den drei katholischen Grossmächten Frankreich sowie den beiden habsburgischen Monarchien Österreich und Spanien im Streit um das Veltlin. Nicht besser erging es später den wiederholten Initiativen der reformierten Kantone, in den Seekriegen zwischen den beiden protestantischen Seemächten England und den Niederlanden Frieden zu stiften.

1636 scheiterte die erste gesamteidgenössische Friedensinitiative. «Aus christlichem Mitleid und weil der Allmächtige die Eidgenossenschaft aus besonderen Gnaden mit dem Kriegselend bisher verschont hat», gelangte die Tagsatzung an alle Kriegführenden und forderte sie auf, den Krieg zu beenden. Sie schilderte in drastischen Worten die Greuel des Krieges, so «dass gleichsam das Firmament selber sich entfärben, Blut weinen und der Erdboden erzittern müsse», und beklagte, dass auch die Schweiz durch die grosse Anzahl von Flüchtlingen und durch die «unerhörte» Teuerung, durch Hungersnot und Seuchen in Mitleidenschaft gezogen werde.

Ihr Vermittlungsangebot fand jedoch kein Gehör. Der römisch-deutsche Kaiser Ferdinand II. behauptete kühn, er führe gegen Frankreich Krieg, um der Christenheit den Frieden zurückzugeben. Er spielte den Ball an die Eidgenossen zurück, indem er sie aufforderte, ihren Friedenswillen durch die Rückberufung ihrer Söldner aus französischen Diensten unter Beweis zu stellen. Und sein Nachfolger riet ihnen wenig später, sie sollten doch gleich mit ihren Streitkräften auf die Seite von Kaiser und Reich treten und so zu einem raschen Friedensschluss beitragen.

Zum Dank ein Handelsembargo (1705)

1700 starb König Karl II., der letzte Habsburger auf dem spanischen Thron. Um die Nachfolge entbrannte zwischen den beiden katholischen Monarchen in Paris und in Wien der Spanische Erbfolgekrieg. Er wurde zum Schaden vor allem für die katholische Innerschweiz, die intensiven Handel über den Gotthard trieb, auch in Oberitalien ausgetragen.

1705 schlossen fünf katholische Orte mit dem von Frankreich eingesetzten spanischen König Philipp V. als dem faktischen Herrn über Mailand einen Vertrag. Darin versprachen sie dem Bourbonen, 4000 bis 13 000 eidgenössische Söldner für den Kampf gegen den Kaiser zu stellen. Im Oktober des gleichen Jahres erliessen sie zudem einen Friedensappell an die kriegführenden Mächte und schlugen einen Friedenskongress in der Schweiz vor.

Der erzürnte habsburgische Kaiser in Wien sah in beiden Aktionen eine Begünstigung des bourbonischen «Usurpators» auf dem spanischen Thron und eine Verletzung der Neutralität. Er verhängte 1706 gleich eine Wirtschaftssperre gegen die fünf katholischen Orte und schädigte so deren wirtschaftliche Interessen in der Südschweiz.

Schliesslich kam die Schweiz trotzdem noch zu ihrem ersten internationalen Friedenskongress. Ohne die eidgenössischen Behörden zu fragen, beschlossen die Höfe in Paris und Wien, nach den Friedensschlüssen von Utrecht und Rastatt den letzten der drei Friedenskongresse 1714 im aargauischen Baden durchzuführen. Grund dafür war neben der Neutralität der Eidgenossenschaft die gute Infrastruktur in der Bäderstadt.

Erst 1795 fand wieder ein Friedensschluss in der Schweiz statt. In Basel beendeten das revolutionäre Frankreich sowie Preussen, Spanien und Hessen-Kassel ihren Krieg. Dabei spielte der Basler Politiker und spätere Verfasser der helvetischen Verfassung, Peter Ochs, als Vermittler eine wichtige Rolle. 1859 war Zürich zudem Schauplatz eines Friedenskongresses, der aber in direkter Absprache zwischen den beiden Kriegsparteien zustande kam. Dieser beendete den Krieg zwischen den Kaiserreichen Österreich und Frankreich sowie dem Königreich Sardinien, der im Rahmen der italienischen Unabhängigkeitskriege geführt wurde.

Gefährliches Terrain (1914–1918)

Während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) versuchte die Schweiz mehrfach, sich als Vermittlerin ins Spiel zu bringen, wobei vor allem von pazifistischer Seite Druck auf den Bundesrat ausgeübt wurde. Zentrale Figur in der Aussenpolitik war der Vorsteher des Politischen Departements (heute EDA), der deutschfreundliche St. Galler Bundesrat Arthur Hoffmann. Er war überzeugt, «dass die Schweiz historisch, politisch und geografisch berufen wäre, die Vermittlerrolle zu übernehmen».

Am 10. November 1914 beschloss der Bundesrat, unter anderem auf Anregung der sozialdemokratischen Fraktion, bei den neutralen Staaten USA, Niederlande, Dänemark, Norwegen und Dänemark die Bereitschaft zu sondieren, eine Friedensinitiative zu starten. Kurz darauf unternahm der Schweizer Botschafter in Washington, Paul Ritter, einen eigenen Vorstoss. Beide Initiativen scheiterten, da der amerikanische Präsident Woodrow Wilson seine ihm zugedachte führende Rolle als Friedensvermittler ablehnte. Als dann aber das Vermittlungsangebot von Wilson selber kam, nahm der Bundesrat das Mediationsangebot am 21. November 1916 freudig an, ergänzte es jedoch mit einer eigenen Note an die Kriegführenden. Beide Seiten – die Entente und die Mittelmächte – lehnten den Vorschlag indes ab.

Und wieder unternahm in Washington der Schweizer Botschafter Ritter einen eigenen Vorstoss, um den Ausbruch eines Krieges zwischen den USA, die bisher neutral geblieben waren, und Deutschland zu verhindern. Die Empörung in der amerikanischen Öffentlichkeit, die bereits auf Krieg eingestimmt war, hatte die Ablösung Ritters durch Hans Sulzer zur Folge. Man merke: Wer Krieg will, will keine Friedensvermittlung!

Wie die offiziellen Schweizer Friedensinitiativen missglückte im Sommer 1917 auch die dilettantisch eingefädelte geheime Friedensbemühung eines ungleichen Politikerduos: jene des klassenkämpferischen SP-Nationalrats Robert Grimm und des freisinnigen Aussenministers Hoffmann.

Am 9. April war Lenin, begleitet von dreissig Bolschewiki, mit deutscher Hilfe, aber auch mit Unterstützung Grimms und Hoffmanns aus dem Zürcher Exil nach Russland zurückgekehrt, um dort die Revolution zum Erfolg zu führen. Grimm reiste ihm im Mai nach Petrograd (St. Petersburg) nach, wo er sich bei den neuen Machthabern für die Vermittlung eines Separatfriedens zwischen Russland und Deutschland anbot. Bundesrat Hoffmann unterstützte Grimms Friedensinitiative, um den Krieg so rasch als möglich zu beenden und die Schweiz aus den katastrophalen Versorgungs- und Wirtschaftsproblemen hinauszuführen.

Der Telegrammverkehr zwischen Hoffmann in Bern und Grimm in Petrograd wurde jedoch abgefangen und löste in den Entente-Staaten, aber auch in der Schweiz helle Empörung aus, da ein Separatfrieden Deutschland militärisch gestärkt hätte. Der Schweiz wurde Begünstigung Deutschlands vorgeworfen. Arthur Hoffmann musste als Bundesrat zurücktreten, und Grimm verlor seine Ämter in der sozialistischen Internationale. Die «Grimm-Hoffmann-Affäre» war kurz und heftig, hatte aber keinen nachhaltigen Schaden für die neutrale Schweiz zur Folge.

Gebranntes Kind (1939–1945)

In der Zwischenkriegszeit war die Schweiz Mitglied des Völkerbunds und praktizierte eine sogenannte «differenzielle» Neutralität: Sie befolgte die Wirtschaftssanktionen, musste aber keine militärischen Sanktionen mittragen. Im Rahmen eines idealistischen Internationalismus wirkte sie innerhalb und ausserhalb des Völkerbunds an Friedensbemühungen mit. Dabei tat sie sich vor allem in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hervor, die bilaterale Konflikte zwischen zwei Staaten vor Kriegsausbruch durch ein neutrales Schiedsgericht zu regeln versuchte. Die Schweiz hatte sich in dieser seit den 1870er Jahren betriebenen Disziplin der Guten Dienste den Ruf eines «Champions der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit» erworben – etwa 1872 im Streit zwischen den USA und Grossbritannien um die britische Militärhilfe an die Südstaaten, bei der Beilegung der Ersten Marokkokrise 1906 oder durch den Schiedsspruch des Schweizer Völkerrechtlers Max Huber im Jahre 1925 im Streit zwischen den USA und den Niederlanden um die Insel Palmas/Miangas.

Dann entfesselte Hitler den Zweiten Weltkrieg. Eingedenk der missglückten Friedensinitiativen im Ersten Weltkrieg liessen sich die drei Aussenminister während der Jahre 1939 bis 1945 – Giuseppe Motta, Marcel Pilet-Golaz und Max Petitpierre – nicht auf Friedensvermittlungen ein. Friedensinitiativen des belgischen Königs Leopold III., der niederländischen Königin Wilhelmina, von Papst Pius XII. und selbst 1940 des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt beantwortete der Bundesrat ausweichend. Sondierungsgespräche Pilet-Golaz’ mit ausländischen Gesandten über einen möglichen Separatfrieden der Westmächte mit den Achsenmächten zur Abwehr des Bolschewismus verliefen im Sand. Der Bundesrat sah zu keiner Zeit eine Chance für Friedensverhandlungen, erst recht nicht nachdem die Alliierten in Casablanca die «bedingungslose Kapitulation» Deutschlands zum Kriegsziel erklärt hatten.

Trotzdem vermittelten Schweizer Offizielle regionale Waffenstillstände, so der Schweizer Honorarkonsul Carlo Steinhäuslin in Florenz, der Schweizer Generalkonsul in Köln, Franz Rudolf von Weiss, in Bad Godesberg und Minister Walter Stucki in Vichy. Gegen Ende des Kriegs gelang es dem Nachrichtenoffizier Major Max Waibel auf private Initiative, die Kapitulation der deutschen Armee in Italien zu vermitteln. Über schweizerische diplomatische Kanäle liefen überdies die Kapitulationsverhandlungen zwischen Japan und den Alliierten im August 1945.

Suez, Algerien, Kuba (1956, 1962)

Am 26. Juli 1956 verstaatlichte der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser den Suezkanal und sperrte den Golf von Akaba. Nach drei ergebnislosen Konferenzen griffen am 29. Oktober 1956 israelische, britische und französische Truppen den Sinai und die Kanalzone an. Als darauf der sowjetische Aussenminister Nikolai Bulganin mit Krieg drohte, lud der Bundesrat die vier Grossmächte USA, UdSSR, Frankreich, Grossbritannien sowie – als Novum – Indien als Hauptvertreter der soeben entstandenen Gruppe der Blockfreien zu einer Friedenskonferenz in die Schweiz ein. Da die Uno, die USA und die UdSSR sofort eingegriffen hatten und die Angreifer zwangen, sich aus Ägypten zurückzuziehen, lief die Schweizer Friedensinitiative ins Leere. Diese wurde von der Uno und den Westmächten, aber auch in der Schweiz kritisiert. Nur die UdSSR unterstützte sie. Immerhin übernahm die Schweiz die diplomatischen Interessen Frankreichs und Grossbritanniens in Kairo und Damaskus und den Transport von 2000 Mann der Uno-Friedenstruppe mit Swissair-Maschinen in die Krisenregion.

Erfolgreicher war die Vermittlungstätigkeit der Schweiz bei der Beendigung des Algerienkriegs. Im Auftrag von Bundesrat Max Petitpierre vermittelte der Schweizer Diplomat Olivier Long das Waffenstillstandsabkommen von Évian vom 18. März 1962, das den Weg zur Unabhängigkeitserklärung Algeriens am 5. Juli ebnete. Verhandelt wurde unter anderem in Luzern und Neuenburg.

Nur wenige Monate später spielte die Schweiz eine wichtige diplomatische Rolle in der Kubakrise. Dabei ging es aber nicht um eine Friedensvermittlung zwischen Kriegführenden, sondern um die Verhinderung eines drohenden Atomkriegs. Nachdem die UdSSR auf dem kommunistischen Inselstaat atomar bestückte Mittelstreckenraketen stationiert hatte, errichteten die USA eine Seeblockade um Kuba und verlangten von der UdSSR ultimativ den Abzug der Raketen. Die Schweiz vertrat seit dem Vorjahr die Interessen der USA in Kuba. Dank diesem einzigen Kommunikationskanal zwischen den beiden verfeindeten Staaten konnte der Schweizer Botschafter in Havanna, Emil A. Stadelhofer, den kubanischen Machthaber Fidel Castro davon überzeugen, dass die USA keinen Angriff auf Kuba planten. Daraufhin zog die UdSSR gegen Sicherheitsgarantien für Kuba und den Abzug der amerikanischen Raketen aus der Türkei ihre Atomwaffen ab.

Euphorie und Neuorientierung (1990)

Mit dem Ende des Kalten Kriegs um 1990 verlor die Neutralität ihre zentrale aussen- und sicherheitspolitische Funktion. Der Bundesrat reagierte rasch und richtete die Aussen-, die Sicherheits- und die Neutralitätspolitik neu aus. Nicht mehr autonome Verteidigung, sondern «Sicherheit durch Kooperation» hiess nun die Parole. Die Friedens- und die Menschenrechtspolitik rückten ins Zentrum. Im EDA wurden dafür ab 2002 unter wechselnden Namen eigene und personalintensive Strukturen aufgebaut (heute Abteilung Frieden und Menschenrechte unter Botschafter Simon Geissbühler).

Bundesrat René Felber hatte die Neuorientierung bereits vorweggenommen, als er 1991 die Möglichkeiten für eine schweizerische Vermittlungsinitiative im Konflikt zwischen Kroatien und Serbien sondierte. Während er damit in Zagreb auf Zustimmung stiess, wollte Belgrad nichts davon wissen – wohl weil der Bundesrat die serbische Aggression gegen Kroatien mit scharfen Worten verurteilt hatte.

Ab den 1990er Jahren intensivierte das EDA, vor allem gefördert durch Bundesrat Flavio Cotti, das friedenspolitische Engagement der Schweiz. Dieses spielte sich nun nicht mehr unilateral, sondern in erster Linie multilateral im Rahmen der OSZE und ab dem Beitritt zur Uno 2002 auch im Rahmen der Vereinten Nationen ab. Es bestand vor allem in der Entsendung von Diplomaten und Beobachtern. 1993 schreckten die Schweizer Aussenpolitiker auf, als es ausgerechnet dem Nato-Land Norwegen gelang, ein erstes Friedensabkommen zwischen Israel und der PLO zu vermitteln (Oslo I). Dieser «Oslo-Schock» belegte, dass es nicht mehr der Neutralität bedurfte, um Frieden zu vermitteln.

Die Schweiz reagierte ab 1995 mit der Gründung von drei international beachteten Genfer Zentren für Sicherheitspolitik, humanitäre Entminung und demokratische Kontrolle der Streitkräfte sowie ab 1996 mit der Entsendung von vorerst unbewaffneten Soldaten im Rahmen von OSZE- und Uno-Missionen. Sie beteiligte sich diplomatisch am Friedensabkommen für Burundi in Arusha (2000) und am Waffenstillstand im sudanesischen Bürgerkrieg (2002).

Mit 9/11 verflog nach 2001 die Friedenseuphorie der 1990er Jahre. Es fand international eine Remilitarisierung der Sicherheitspolitik statt. Das hinderte die 2003 gewählte Bundesrätin Micheline Calmy-Rey nicht, gegen den internationalen Strom zu schwimmen und eine Politik der «aktiven Neutralität» zu verfolgen (wobei der Begriff nicht so neu war und bereits 1743 von der Tagsatzung sowie von Bundesrat Pilet-Golaz im Zweiten Weltkrieg für seine Aussenpolitik verwendet worden war).

Schlag auf Schlag folgten aus dem EDA friedenspolitische Initiativen. 2003 unterstützte die Schweiz die «Genfer Initiative», ein Vertragsmodell für ein Abkommen zwischen Israel und Palästina, das aber bis heute toter Buchstabe bleibt. 2006 vermittelte die Schweizer Diplomatie in Nepal ein Friedensabkommen, das den Bürgerkrieg beendete. 2009 unterzeichneten die Türkei und Armenien in Zürich vor den Augen der Aussenminister der Grossmächte das «Normalisierungsprotokoll», das die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Staaten auf friedliche Grundlagen stellen sollte. Was als Erfolgsstück der «aktiven Neutralität» und der Guten Dienste gedacht war, endete als Misserfolg in den Schubladen der Aussenministerien. Wenig Erfolg hatte die Schweizer Diplomatie auch mit ihrer Vermittlung im georgisch-russischen Krieg 2011, die aber immerhin zur Übernahme der gegenseitigen, bis heute laufenden Schutzmachtmandate in Moskau und Tbilissi führte.

Bundesrat Didier Burkhalter, der Nachfolger von Calmy-Rey im EDA, setzte die «aktive Neutralität» fort, aber weniger aktivistisch als seine Vorgängerin. Als OSZE-Vorsitzender für das Jahr 2014 versuchte er, im verdeckten Krieg Russlands gegen die Ukraine zu vermitteln. Er entsandte als Sondergesandte der OSZE Heidi Tagliavini nach Kiew. Die Schweizer Diplomatin erreichte zwar mit den beiden Minsker Protokollen einen Waffenstillstand, der aber meistens nicht eingehalten wurde und kurz vor der russischen Aggression gegen die Ukraine im Februar 2022 vom russischen Präsidenten Putin als hinfällig zerrissen wurde. Nicht besser erging es dem Schweizer Diplomaten Tim Guldimann auf der Krim, wo bewaffnete prorussische Einheiten die OSZE-Mission gewaltsam behinderten.

Erfolgreicher war dagegen die Schweizer Diplomatie 2016 in Kolumbien, wo unter Schweizer Beteiligung ein Friedensvertrag mit der linken Guerillabewegung Farc geschlossen wurde. Ebenfalls erfolgreich vermittelte im August 2019 der Schweizer Botschafter in Moçambique, Mirko Manzoni, den Frieden im Bürgerkrieg und setzte diesen als persönlicher Gesandter des Uno-Generalsekretärs von 2019 bis 2023 um.

Frieden für die Ukraine?

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Schweiz war bisher bei ihren Friedensvermittlungen in zwischenstaatlichen Konflikten wenig erfolgreich. In Bürgerkriegen sieht die Bilanz etwas besser aus, vor allem wenn die Schweizer Diplomatie im Verbund mit anderen Staaten agierte.

Und nun also die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat im Januar 2024 bei seinem Besuch in der Schweiz die Organisation einer Friedenskonferenz in der Schweiz vorgeschlagen und auch gleich ein 10-Punkte-Programm vorgelegt. Der Bundesrat nahm den Ball auf und plant die Ausrichtung einer Konferenz unter Beteiligung möglichst vieler Staatsoberhäupter und Aussenminister aus dem westlichen Lager, aber auch aus dem globalen Süden. Russland hat jedoch eine Beteiligung bereits abgelehnt und den ukrainischen Friedensplan verworfen.

Es wird daher kaum möglich sein, auf dem Bürgenstock Frieden zu schaffen, wenn eine der Kriegsparteien gar nicht verhandeln will. Vorsichtigerweise spricht der Bundesrat denn auch nurmehr davon, «einen Friedensprozess anzustossen». Der Frieden ist ein kostbares Gut; daher ist jeder Versuch willkommen, einen Krieg zu beenden. Der Schweiz steht es gut an, hier alles Menschenmögliche zu unternehmen, auch wenn die Friedensbemühungen schliesslich scheitern sollten. Das ist das Risiko jeder Friedensvermittlung – wie die «Helvetia mediatrix» nur zu gut weiss.

Marco Jorio ist Historiker und war Chefredaktor des Historischen Lexikons der Schweiz von 1988 bis 2014. Letztes Jahr erschien sein Buch «Die Schweiz und ihre Neutralität. Eine 400-jährige Geschichte» im Verlag Hier und Jetzt.

Mehr zum Thema lesen Sie in der nächsten Ausgabe von «NZZ Geschichte»: Die Mai-Nummer des Magazins ist der Geschichte der Neutralität und dem vermeintlichen Schweizer «Sonderfall» gewidmet. Das Heft erscheint am 16. Mai und kann ab sofort vorbestellt werden: shop.nzz.ch/Geschichte

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