Der Bund hat neue Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung bis 2055 präsentiert. Sie bergen politischen Zündstoff – von der Zuwanderung bis zur Finanzierung der AHV.
Das Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlicht viele wichtige Zahlen, aber keine haben auch nur annähernd so grosse Auswirkungen wie diese: Am Dienstag hat das Amt die neuen Szenarien für die Entwicklung der Bevölkerung bis ins Jahr 2055 publiziert. Dahinter stehen naturgemäss viele Annahmen von der Lebenserwartung und den Geburten bis zur Zuwanderung. Ebenso vielfältig sind die Folgen, weil sich der Bund in allen relevanten Bereichen an den neuen Zahlen orientiert: Wie viel Strom braucht die Schweiz in 20 Jahren? Wie viele Renten müssen finanziert werden? Wie viele Autobahnen benötigt das Land?
Die Hauptaussage der neuen Zahlen: Die Schweiz, die per Ende 2024 rund 9 Millionen Einwohner zählte, dürfte in den nächsten drei Jahrzehnten weiterhin spürbar wachsen. Die politisch und emotional wichtige Grenze von 10 Millionen Einwohnern soll laut dem neuen Referenzszenario im Jahr 2040 erreicht werden.
Gegenüber den bisherigen Berechnungen, die das BFS vor fünf Jahren publiziert hat, ist das keine massive Verschiebung. Im Gegenteil wird das Wachstum nun sogar ein wenig tiefer veranschlagt. Laut den neuen Szenarien dürfte das Wachstum jedoch anhalten, im Jahr 2055 soll sich die Bevölkerungszahl gemäss den drei Szenarien des BFS im Bereich von 9,3 bis 11,7 Millionen bewegen. Im Referenzszenario sind es 10,5 Millionen, was einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 0,5 Prozent entspricht.
Die Alterung beschleunigt sich
Interessant sind die Details. Die Zahl der Geburten veranschlagt das BFS deutlich tiefer als bis anhin, nachdem hierzulande bereits in den letzten Jahren deutlich weniger Kinder auf die Welt gekommen sind als erwartet. Umgekehrt präsentieren sich die Dinge bei der Migration: Die Zuwanderung, die primär aus der EU erfolgt, dürfte höher ausfallen als bisher erwartet.
Das kommt nicht von ungefähr: Wenn die Schweiz den Arbeitsmarkt im Schwung halten will, ist sie in den nächsten Jahren auf grossen Zustrom angewiesen. Auch dies verdeutlichen die neuen Zahlen: Die Zahl der Pensionierten wächst gemäss dem Referenzszenario von heute 1,8 auf 2,7 Millionen Personen im Jahr 2055. Heute machen sie rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, in dreissig Jahren ungefähr 25 Prozent.
Im Gegenzug sinkt der Anteil der Altersgruppen von 20 bis 64 Jahren, die für die Erwerbsarbeit und die Finanzierung der Sozialwerke entscheidend sind. Heute liegt er bei 60 Prozent. Laut den neuen Szenarien dürfte er unter 57 Prozent fallen.
Die Obergrenze der SVP wird bald erreicht
Unmittelbar am meisten Zündstoff bergen die neuen Zahlen für die Debatte über die Zuwanderung. Bereits in den vergangenen Jahren ist die Schweiz vor allem wegen der Migration in den Arbeitsmarkt relativ schnell gewachsen. Nun verlangt die SVP mit einer Volksinitiative unter dem lapidaren Titel «Keine 10-Millionen-Schweiz» eine Obergrenze für das Bevölkerungswachstum.
Bereits wenn die Marke von 9,5 Millionen Einwohnern erreicht wird, was laut den neuen Szenarien Anfang der 2030er Jahre der Fall sein dürfte, müsste der Bund laut Initiativtext erste Massnahmen ergreifen. Sie sollen primär Asylsuchende treffen sowie Personen, die im Familiennachzug in die Schweiz kommen.
Folgenschwer wird es, wenn die Schweiz vor dem Jahr 2050 die 10-Millionen-Grenze überschreitet: Für diesen Fall verlangt die SVP-Initiative in letzter Konsequenz explizit die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU, auf die der Hauptteil der Migration entfällt. Dies wäre das Ende des bilateralen Wegs der Schweiz.