Donnerstag, Oktober 3

Mehr Entwicklungshilfe bedeutet nicht bessere Entwicklungshilfe. In einem direkten Vergleich mit der Schweiz steht das vermeintlich grosszügige Deutschland plötzlich schlechter da.

Sparen ist angesagt, denn die öffentlichen Finanzen drohen in der Schweiz aus dem Ruder zu laufen. Im Visier der Sparanstrengungen stehen auch die Ausgaben für die Entwicklungshilfe. Das hat erstens damit zu tun, dass dieser Posten zu den ungebundenen Ausgaben zählt. Die Entwicklungshilfe kann also rasch und ohne Gesetzesrevision angepasst werden, was nur bei einem Drittel der Bundesausgaben der Fall ist. Zweitens hat die Entwicklungshilfe, über deren Wirksamkeit seit Jahrzehnten gestritten wird, eine eher schwache Lobby in der Politik.

Ein Begriff, viele Interpretationen

Auch die vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe unter Leitung von Serge Gaillard klammert die Entwicklungshilfe in ihrem rund sechzig Massnahmen umfassenden Sparpaket nicht aus. Zwar wird keine direkte Kürzung empfohlen. Vorgeschlagen wird aber, die Ausgaben für die internationale Zusammenarbeit – inklusive der Ukraine-Hilfe – bis 2030 nicht weiter ansteigen zu lassen. Würden die Ausgaben auf dem Planungsstand von 2025 eingefroren, könnten laut der Expertengruppe insgesamt 313 Millionen Franken eingespart werden.

Dass sich die Entwicklungsorganisationen dagegen wehren, versteht sich von selbst. Um die Berechtigung des Widerstands einordnen zu können, drängt sich die Frage auf: Wie grosszügig ist eigentlich die Schweizer Entwicklungshilfe im internationalen Vergleich? Und ist das Geld klug eingesetzt? Eine mögliche Antwort liefert Coopération Globale. In einem Policy-Paper untersucht die Schweizer Denkfabrik, wie sich die Zusammensetzung und Funktionsweise der Entwicklungshilfe in den benachbarten Ländern Schweiz, Deutschland und Österreich unterscheiden.

Gänzlich neutral sind die Studienverfasser nicht. So kämpft Coopération Globale gegen Budgetkürzungen in der Entwicklungshilfe. Was sich beim Ländervergleich aber rasch zeigt: Unter dem Allerweltsbegriff der Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA) wird allerlei Unterschiedliches subsumiert. Zwar definiert die OECD in ihrem Entwicklungshilfeausschuss (DAC) gewisse Mindeststandards für das, was als ODA ausgewiesen werden darf. Dennoch haben die Mitgliedländer grossen Interpretationsspielraum.

Viel Geld bleibt im Inland

Wenig aussagekräftig ist daher der blosse Vergleich der Entwicklungshilfebudgets. Diese werden meist in Relation zum Bruttonationaleinkommen (BNE) ausgewiesen, wobei das von der Uno angestrebte Niveau bei 0,7 Prozent des BNE liegt. Dieses Niveau übertraf 2023 von den drei Staaten nur Deutschland, das mit einer ODA-Quote von 0,79 Prozent der viertgrösste Geber unter den 32 OECD-Staaten war. Die Schweiz liegt mit einer Quote von 0,6 Prozent an achter Stelle, Österreich mit 0,38 Prozent abgeschlagen auf Platz fünfzehn. Die Schweizer Quote ist dabei von 0,44 Prozent im Jahr 2018 stetig gestiegen.

Das bedeutet aber nicht, dass Deutschland vor der Schweiz und Österreich auch die beste ODA leistet. Entscheidend ist weniger die Höhe als vielmehr die Zusammensetzung der Hilfe. Und da gibt es grosse Unterschiede. Denn als ODA lassen sich viele Gelder anrechnen, selbst solche, die das Land nie verlassen. Dazu gehören etwa die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen im Geberland, ebenso die Kosten für Studierende aus Entwicklungsländern, die an Universitäten und Hochschulen des Geberlandes studieren, aber auch Schuldenerlasse.

Österreich weist inländische Zahlungen besonders grosszügig der Entwicklungshilfe zu. So machen die Studienkosten für Personen aus Empfängerländern, die in Österreich studieren, 20 Prozent der gesamten Entwicklungshilfe aus. Besonders ins Gewicht fallen Studierende aus Ländern wie Bosnien-Herzegowina und der Türkei. Was dies mit ODA zu tun habe, sei zweifelhaft, heisst es bei Coopération Globale. In der Schweiz werden Studienkosten demgegenüber nicht der ODA angerechnet, in Deutschland machen sie 7 Prozent des Budgets aus.

Auch Asylkosten sind Entwicklungshilfe

Um solche umstrittenen Ausgaben auszuklammern, empfiehlt sich ein Blick auf jene Entwicklungsgelder, die grenzüberschreitend und Teil eines mehrjährigen Entwicklungsprogramms sind. Bei dieser Art von Hilfe sieht die Rangliste schon anders aus: Hier liegt die Schweiz an der Spitze vor Deutschland und dem weit abgeschlagenen Österreich. Mit anderen Worten: Gemessen an der Wirtschaftskraft zahlt die Schweiz zwar weniger Entwicklungshilfe als Deutschland, dafür kommt ein höherer Anteil davon tatsächlich im Empfängerland an.

Dennoch bleibt auch von Schweizer Entwicklungshilfe ein gewichtiger Teil im Land. Laut der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) hängt dies vor allem mit heimischen Asylkosten zusammen, die zum Teil der ODA angerechnet werden können. Rechnet man diese heraus, sinkt die 2023 rund 4,6 Milliarden Franken schwere ODA von 0,6 Prozent auf 0,43 Prozent des BNE. Fast ein Drittel der Entwicklungshilfe der Schweiz entfällt also auf Asylkosten, die im Inland anfallen.

Entwicklungsorganisationen wie Alliance Sud kritisieren diese Praxis. Die Ausgaben für Geflüchtete in der Schweiz würden zwar zum Schutz von Menschen eingesetzt, hätten aber keine entwicklungspolitische Wirkung und trügen nicht zur Reduktion von Armut im Süden bei, heisst es. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang auch, dass der Bundesrat in seiner IZA-Strategie (2025–2028) 1,5 Milliarden Franken für die Ukraine reservieren will. Am Mittwoch unterstützte der Ständerat aber diese Umschichtung zugunsten des Wiederaufbaus in der Ukraine.

Fast keine gebundene Hilfe

Dennoch sticht die Schweiz im Vergleich mit ihren Nachbarn in vielen Bereichen positiv hervor, wie die Analyse von Coopération Globale zeigt. Ein Beispiel ist die verschwindend kleine Bedeutung von «gebundener Hilfe» in der Schweiz. Diese Hilfe ist unter Entwicklungsexperten besonders verpönt, weil sie mit der Auflage verbunden ist, dass die Empfänger das erhaltene Geld für den Kauf von Gütern und Dienstleistungen aus dem Geberland verwenden. Die Forschung zeigt, dass solche Auflagen die Kosten von Entwicklungsprojekten um 15 bis 30 Prozent erhöhen.

Seitens des Entwicklungshilfeausschusses der OECD wird deshalb darauf gedrängt, dass Geber ihre Hilfe nicht an solche Bedingungen knüpfen. Dies auch deshalb, weil Entwicklungshilfe sonst zu einer Art von staatlicher Exportförderung verkommt und die Empfängerländer allfällige Preisvorteile auf den Weltmärkten nicht nutzen können. In der Schweiz nimmt man sich dies zu Herzen: So sind hierzulande nur 3 Prozent der Hilfe gebundener Art. In Deutschland liegt der Anteil bei 18 Prozent und in Österreich gar bei 40 Prozent der Entwicklungshilfe.

Die Schweiz schneidet auch mit ihrer Fokussierung auf die ärmsten Länder besser ab. Ein solcher Fokus wird empfohlen, weil ein Franken an ODA in einem Land mit sehr tiefem Einkommen meist mehr bewirken kann als in einem vergleichsweise reichen Schwellenland, das auch über alternative Finanzquellen verfügt. Die Schweiz wendet 24 Prozent ihrer bilateralen Entwicklungshilfe für die am wenigsten entwickelten Länder auf. In Deutschland, wo ein hoher Anteil der Entwicklungshilfe an China fliesst, liegt der Anteil bei 13 Prozent, ebenso in Österreich.

Einseitiger Fokus auf den Input

Der Vergleich bestätigt, weshalb die Entwicklungshilfe der Schweiz weit über die Landesgrenzen hinaus einen guten Ruf geniesst. Dies hat weniger mit der absoluten Höhe als mit dem sinnvollen Einsatz des Geldes zu tun. Dennoch sind die politischen Diskussionen zum Thema meist auf den Input statt den Output ausgerichtet. Applaus erhält, wer das Ziel von 0,7 Prozent des BNE erreicht; wer darunter bleibt, wird zum Nachbessern aufgefordert. Dass dies zu kurz greift, zeigt der Blick ins nahe Ausland. Mehr Hilfe ist nicht gleichbedeutend mit besserer Hilfe.

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