Die Bilanz des Schweizer Nationalteams seit letztem Oktober ist schlecht, die EM überdeckte einige Mängel. Nach dem Fehlstart in die Nations League steht die Schweiz am Dienstagabend gegen Dänemark unter Druck.
Wenn es ganz blöd läuft, steigt die Schweiz bereits am Dienstagabend erstmals aus der höchsten Nations-League-Spielklasse ab – im Fall einer Niederlage im ausverkauften Kybunpark in St. Gallen gegen Dänemark und eines Sieges von Serbien beim Europameister Spanien.
Murat Yakin hinterlässt jedoch nicht den Eindruck, besonders beunruhigt zu sein. «Zuletzt fehlten etwas die Emotionen und die Aggressivität», sagt der Schweizer Nationaltrainer. «Aber wir haben viele Gespräche geführt und die Situation eingehend analysiert. Wir wissen, dass wir effizienter spielen und besser verteidigen müssen.»
0:2 in Dänemark, 1:4 in Genf gegen Spanien, am Samstag das 0:2 bei keineswegs überzeugenden Serben: Der EM-Flow vom Sommer ist weit weg, eine Art Turnierkater im Herbst spürbar. Dabei ist es wenig hilfreich, wenn Murat Yakin direkt nach der Niederlage in Serbien erneut in jedem dritten Satz betont, dass halt derzeit auch viel gegen die Schweizer laufe. Yakin ist vor ein paar Wochen 50 Jahre alt geworden, er wird sich nicht mehr grundlegend verändern. In guten Zeiten ist seine Art locker, unangestrengt; in schlechten Zeiten kommt er manchmal flapsig, sorglos und unvorbereitet rüber.
Jetzt sind wieder schlechte Zeiten. Im vergangenen Herbst stand der Nationaltrainer kurz vor der Entlassung. Nach der guten EM mit dem unglücklichen Ausscheiden im Viertelfinal kann sich Yakin problemlos drei, sicher auch vier, womöglich sogar sechs Niederlagen in der Nations League erlauben, ohne dass er gleich Gefahr läuft, in allen Schweizer Zeitungen lesen zu müssen, er sei nicht mehr der geeignete Nationaltrainer.
Die zwei Siege zum perfekten Zeitpunkt
Murat Yakin hat sich in den etwas mehr als drei Jahren im Verband als Entfesselungskünstler erwiesen. Diese Qualität muss er nun wieder unter Beweis stellen. In den letzten zwölf Monaten und in zwölf Pflichtspielen resultierten bloss zwei Siege. Sie kamen zum perfekten Zeitpunkt: an der EM im Eröffnungsspiel gegen Ungarn (3:1) sowie im Achtelfinal gegen Italien (2:0).
Yakin verweist darauf, dass sich sein Team im personellen Umbruch befinde. Und: Entscheidend sei die WM-Kampagne 2026. Das stimmt beides, ein Abstieg in der Nations League wäre nicht dramatisch. Aber: Es deutet wenig darauf hin, dass die Schweizer 2025 in der WM-Qualifikation und 2026 an der Weltmeisterschaft sofort wieder in der Lage sein werden, Grenzen zu verschieben. Und das müssen sie, gemessen an den Ansprüchen und Ambitionen, die sie mit ihren teilweise vorzüglichen Leistungen an den Turnieren in den letzten zehn Jahren und vor allem an der Euro in Deutschland in die Höhe getrieben haben.
Auf den ersten Blick ist die Situation für Yakin deutlich weniger heikel als im vergangenen Herbst. Er geht die Dinge nach den wunderbaren Vibes im Sommer locker und unangestrengt an. Aber die Fallhöhe ist beträchtlich, und wenn er manchmal flapsig, sorglos und unvorbereitet rüberkommt, so ist das ein Abbild der Leistungen seiner Mannschaft in jüngster Zeit. Yakin ist nicht in EM-Form, die Spieler sind es erst recht nicht mehr.
Und eine Frage drängt sich angesichts der kläglichen Bilanz auf: Ist die beste Zeit dieses Schweizer Nationalteams bereits vorbei? Die hohen Erwartungen kann die Mannschaft nur erfüllen, wenn viel für sie läuft, um es in der Sprache Yakins zu sagen. Wie an der EM. Und wenn nicht nur alle Fussballer ihre Rollen kennen und an die Leistungsgrenze gehen, sondern auch der Trainer und sein kreativer Staff mit dem Assistenten Giorgio Contini und dem Analysten Kevin Ehmes unerwartete, überraschende Ansätze aushecken. Wie an der EM.
Sind diese Ideen hingegen für die Spieler unerwartet und überraschend, wird es eher schwieriger. Yakin ist nicht immer stringent in seinen Massnahmen. Er schiebt Spieler wie Dan Ndoye auf Positionen umher, setzt Fussballer einmal ein, dann wieder nicht, bietet sie auf, dann wieder nicht. Beispiele gibt es einige. Aber natürlich ist er abhängig von der Entwicklung seiner Spieler. Das Reservoir ist nach wie vor nicht annähernd so gross wie bei den Top-Nationen, mit denen sich die Schweiz messen will. In Serbien wurden am Samstag Mitte der zweiten Halbzeit gleichzeitig Edimilson Fernandes, Ulisses Garcia und Andi Zeqiri eingewechselt, um den Rückstand aufzuholen. Der Gegner dürfte nicht vor Ehrfurcht erstarrt sein.
Fehlende Entwicklung bei zahlreichen Nationalspielern
Das Schweizer Nationalteam hat zurzeit mehrere Problemzonen. Auf der linken Seite gibt es keine valable Lösung. Im Aufbau niemanden, der den Captain und Taktgeber Granit Xhaka ersetzen kann, wenn es diesem einmal nicht überragend läuft. Die zurückgetretenen Fabian Schär und Xherdan Shaqiri haben das Team in der Defensive und in der Offensive jahrelang stark geprägt. Es hat keinen Verteidiger mehr wie den spielstarken Schär und schon gar nicht einen Kreativkopf wie Shaqiri.
Derzeit fehlen zudem die Talente, denen man zutraut, bald das Nationalteam prägen zu können. Womöglich hat diese Schweizer Auswahl ihren Zenit tatsächlich überschritten und ist europäisch bestenfalls noch zweitklassig. Auch andere nicht ganz so riesenhafte Fussballnationen hatten «goldene Generationen», die Belgier gleich mehrmals, die Portugiesen, Kroaten, Waliser. Irgendwann verblasst der Glanz.
Doch Murat Yakin und das Nationalteam haben mehrmals bewiesen, dass sie sich aus ungemütlichen Situationen unerwartet und überraschend befreien können. Dafür müssen unter anderem die Vertreter im mittleren Fussballeralter den nächsten Schritt machen, Spieler wie Zeki Amdouni, Ruben Vargas, auch Ndoye – und vor allem der Stürmer Breel Embolo, der im Nationalteam selten überzeugt, in Serbien einen Elfmeter verschoss und in dieser Saison auch für Monaco noch kein Tor erzielt hat.
Das Gleiche gilt für den derzeit verletzten Mittelfeldspieler Denis Zakaria. Es ist Yakins Aufgabe und im Grunde genommen seine Pflicht, endlich einen Platz für Zakaria und seine Fähigkeiten zu finden. Yakin sagt im Gespräch, der Monaco-Captain entspreche nicht dem Profil, das er sich im Mittelfeld vorstelle – aber in der Abwehr sei Zakaria durchaus eine Option, jedoch nur im Zentrum der Dreierkette. Ein paar Tage später an einer Pressekonferenz sagt Yakin, Zakaria sei in der Dreierkette rechts am besten aufgehoben, in der Mitte sei der Abwehrchef Manuel Akanji gesetzt.
Warum immer dominant? Die Schweiz hat gute Umschaltspieler
Im Hinblick auf die WM-Kampagne sollte Yakin einen sorgfältigen Umgang mit Zakaria finden. Und auch mit dem Milan-Stürmer Noah Okafor, der sich an der EM negativ verhalten hat und seither nicht mehr aufgeboten wird. Einen Stammplatz verdient hat mit seiner Mentalität, der Spielintelligenz und seiner Galligkeit ganz bestimmt der aufstrebende Fabian Rieder – gerade nach dem Rücktritt von Shaqiri sind auch seine Künste bei Freistössen und Eckbällen wertvoll.
Definiert wird Yakins Ära nach der guten EM nicht in der Nations League. Und die Lage ist zwar kompliziert, aber keinesfalls hoffnungslos. Der Trainer dürfte bereit sein, einen Plan B zu entwickeln und nicht stur an der «DNA» festzuhalten, wie er es nennt. Den Schweizern fehlt es nicht zuletzt an einem zuverlässigen Torjäger, so dass sie nicht immer einen dominanten Spielplan verfolgen könnten. Vor allem der äusserst schnelle Ndoye, aber auch Embolo, Rieder sowie Vargas und Okafor sind starke Umschaltspieler.
Und die Achse mit dem Torhüter Gregor Kobel, Akanji sowie Xhaka ist ohnehin ausgezeichnet – selbst wenn Kobels Karriere im Nationalteam bisher glücklos verlaufen ist und Akanji in den vergangenen zwölf Monaten nur an der EM brillant auftrat. Wie seine Teamkollegen.
Yakin und das Nationalteam haben sich an der Europameisterschaft so viel Kredit verdient, dass nicht gleich wieder die Krise ausgerufen wird. Bei der letzten Austragung der Nations League vor zwei Jahren waren die Schweizer übrigens auch mit drei Niederlagen gestartet, ehe sie mit Siegen gegen Portugal, in Spanien und gegen Tschechien den Klassenerhalt schafften.