Montag, Januar 20

Die Schweiz bezwingt in Herning Polen mit 30:28 und nimmt einen Punkt in die nächste Turnierphase mit. Dort wartet unter anderem der Olympiasieger.

Am Anfang der Metamorphose von Lenny Rubin zum Schweizer Schlüsselspieler an der Weltmeisterschaft in Dänemark steht ein Disput. Am Yellow Cup in Winterthur, dem Vorbereitungsturnier im Hinblick auf die WM, zitierte der Schweizer Nationaltrainer Andy Schmid Rubin nach einem Match aus der Garderobe. Schmid tat ihm seine Meinung auf deutliche Art und Weise kund. Der Coach war sauer über die Auftritte und die Aussenwirkung des Rückraumspielers.

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Rubin, 28 Jahre alt, spielt seit sieben Jahren in der Bundesliga. Bei seinem Klub Stuttgart gilt er als torgefährlicher Spieler. Er spielt im linken Rückraum, im Handball Königsposition genannt, dort agiert meist der beste Werfer. Doch kaum trug Rubin zuletzt das Schweizer Nationaltrikot, war er gehemmt. Er trat oft ohne Überzeugung auf, wirkte phlegmatisch, beging Flüchtigkeitsfehler. Rubin war nicht der Torgarant, der er aufgrund seiner Anlagen sein müsste. Der Nationaltrainer Schmid sagt: «Ich habe nichts gegen Fehler, aber ich hasse Aktionen, die ohne Überzeugung durchgeführt werden.»

Rubin ist 2 Meter 05 gross, eigentlich ein Gardemass für einen Rückraumspieler. An seinem Potenzial zweifelte niemand, an der mentalen Stärke schon. Wegen seiner Grösse wirkt er manchmal behäbig, hüftsteif sogar. In Gesprächen redet er zurückhaltend, fast scheu. Auf den ersten Blick ist Rubin kein Spieler, der die Teamkollegen mitreissen kann.

Der Name Rubin ist im Schweizer Handball klangvoll. Rubins Vater Martin war als Spieler Teil der goldenen Schweizer Handball-Generation, die während einiger Jahre Teil der Weltspitze war. Martin Rubin wurde 1993 WM-Vierter, 1995 Siebenter und gewann 1984 in Los Angeles ein Olympisches Diplom. Lenny Rubin hingegen hatte lange Mühe, die grossen Fussstapfen des Vaters auszufüllen.

Rubin spielte so konstant wie noch nie im Nationalteam

Der Nationaltrainer Schmid sagt, er und Rubin hätten sich nach der Auseinandersetzung am Yellow Cup bei einem Mittagessen ausgesprochen. «Es war ein gutes Gespräch, wir haben uns die Erwartungen an den anderen mitgeteilt», sagt Rubin. Schmids Intervention wirkte. Rubin spielte in den drei WM-Vorrundenspielen gegen Tschechien, Deutschland und gegen Polen so stark und so konstant wie noch nie in der Nationalmannschaft.

Sonntagabend in der Jyske Bank Boxen in Herning. Soeben hat die Schweiz Polen 30:28 bezwungen. Sie zieht deshalb in die Hauptrunde ein, erreicht damit die Zielvorgabe des Nationaltrainers. Rubin steht vor der Tribüne, er ist zum besten Spieler der Partie gewählt worden. Rund 500 Schweizer Fans sind nach Dänemark gereist und skandieren nun seinen Namen. Rubin sagt: «Das war ein schönes Gefühl. Doch wir haben als Mannschaft gewonnen.» Ein Vielredner ist er immer noch nicht.

Vor allem in der ersten Halbzeit gegen Polen war Rubin am Grossteil der Schweizer Tore beteiligt. Rubin traf selbst, Rubin spielte den Kreis an, Rubin setzte die Flügel ein, die im Gegensatz zum Spiel gegen Deutschland nur wenige Chancen vergaben. Ausserdem: Rubin war der Taktgeber in der Offensive, dirigierte die Mitspieler, beruhigte, wenn nötig, das Spiel. In der Abwehr packte er zu und fing mit seinen langen Armen einige Pässe der Polen ab. Der Trainer Schmid sagt: «Er hat die Kritik vom Yellow Cup super aufgenommen. Die Körpersprache ist viel besser. Tritt er so auf, verfügt er über internationale Klasse.»

In der Hauptrunde folgt das Duell mit dem dreifachen Weltmeister Dänemark

Bezeichnenderweise bekam die Schweiz in der zweiten Halbzeit gegen Polen Mühe, als Schmid Rubin eine Pause gönnte. Nach der Pause hatten die Schweizer zunächst ihre beste Phase und bauten den Vorsprung auf sechs Tore aus. Sie wähnten sich auf dem Weg zum Sieg – doch Polen glich wieder aus. Rubin sagt: «Zum Glück spielten wir defensiv weiter stabil und übernahmen die Kontrolle wieder.»

Dass Rubin plötzlich so stark spielt, liegt paradoxerweise auch an der Verletzung eines Teamkollegen. Manuel Zehnder, der Topskorer der letzten Bundesliga-Saison, verpasst die WM mit einer komplizierten Knieverletzung. Zehnder nimmt als Regisseur in der Offensive viel Raum ein, erzielt lieber selber ein Tor, als die Mitspieler in Szene zu setzen. Rubin sagt: «Zehnders Ausfall wiegt schwer. Aber das Spiel ist nun stärker auf mich zugeschnitten. Es macht als Rückraumspieler Spass, wenn man so oft zum Abschluss kommt.»

Er sei mit einem guten Gefühl an diese Weltmeisterschaft gereist, wie befreit: «Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich eine wichtige Rolle in dieser Mannschaft einnehmen werde», sagt Rubin. In den drei Vorrundenspielen hat er schon 20 Treffer erzielt, er belegt in der WM-Torschützenliste den zweiten Rang, hinter dem dänischen Welthandballer von 2023, Mathias Gidsel.

Mit dem Sieg gegen Polen haben sich Rubin und die Teamkollegen ein Duell mit dem Superstar Gidsel erarbeitet. In der Hauptrunde treffen die Schweizer am Dienstag zunächst auf Tunesien, am Donnerstag folgt die Begegnung mit dem Dänemark. Die Anspielzeiten sind noch nicht bekannt.

Die Dänen haben die letzten drei Weltmeisterschaften für sich entschieden und wurden im vergangenen Sommer in Paris Olympiasieger. Rubin sagt: «Über die Hauptrunde habe ich mir erst wenige Gedanken gemacht. Aber Spiele wie gegen Dänemark sind Höhepunkte in einer Karriere.»

Rubin hat sich selbst einmal als Spätzünder bezeichnet, der Zeit brauche, um sich in einer Rolle zurechtzufinden. Im Nationalteam ist er endlich angekommen, spielt dort die erhoffte Rolle – acht Jahre nach dem Debüt.

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