Donnerstag, Mai 22

Die süddeutsche Textildesignerin interpretiert folkloristische Motive für 079, die Kreativplattform von Swisscom, ganz modern. Im Interview spricht sie über diese Kollektion, die Modebranche, Beyoncé und Bauernschränke.

Julia Heuer, wo erreichen wir Sie gerade?

Ich bin gerade zu Hause – hundert Meter von meinem Studio im 20. Pariser Arrondissement. Für Interviews ist das einfach entspannter. Im Atelier ist oft Trubel und etwas eng. Ruhe findet man da selten.

Wie können wir uns Ihr Atelier vorstellen?

Es ist klein, typisch für Paris. Wir sind ein Team von sechs bis acht Leuten – vier Mitarbeiterinnen, zwei, manchmal drei Praktikanten – verteilt auf zweieinhalb Räume. Es platzt aus allen Nähten, aber ich fühle mich der Gegend verbunden. Ich kenne die Nachbarn und meine Tochter geht im Quartier in die Krippe.

Zur Person:

Julia Heuer – Mode- und Textildesignerin

Julia Heuer wurde 1983 im süddeutschen Rottweil geboren und studierte Textildesign an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Nach einer rund sechsjährigen Tätigkeit beim St. Galler Textilunternehmen Jakob Schlaepfer, wo sie mit Modehäusern wie Christian Dior, Comme des Garçons, Comme des Garçons und Vivienne Westwood zusammenarbeitete, machte sie sich mit der eigenen Modemarke selbständig. Zu ihrer Handschrift zählt ein lebendiger, künstlerischer Ansatz im Textildesign, insbesondere aber ihre Verwendung von Shibori-Plissées und kühnen Digitaldrucken. Jedes ihrer Stücke ist handgefertigt und einzigartig.

Ihre Capsule-Kollektion für 079 basiert auf folkloristischen Motiven. Was hat Sie daran gereizt?

Mich hat schon immer interessiert, wie man Tradition modern interpretieren kann. Die Kollektion basiert auf alten Bauernschrank-Motiven, die ich schon 2014 in der Ausstellung «Bauernkunst? Appenzeller Möbelmalerei 1700–1860» im Zeughaus Teufen entdeckte. Sie gingen mir nie aus dem Kopf. Für 079 konnte ich diese mit Hilfe des fachkundigen Marcel Zünd wieder aufgreifen. Jeder Print wurde in etlichen Farbvarianten getestet, bis er am Körper funktioniert. Es ging nie darum, Folklore zu reproduzieren, sondern darum, ihr neues Leben einzuhauchen.

Die Kollaboration mit 079 ist nicht ihre erste – kürzlich spannten sie auch mit der Taschenmarke Baggu zusammen. Ein neues Standbein?

Kollaborationen wie jene mit Baggu in den USA oder 079 in der Schweiz geben uns Designern neue Plattformen. Das sind Chancen, die wir gerne nutzen. Gerade für kleine Labels können solche Partnerschaften enorm wichtig sein.

Sie sind gelernte Textildesignerin – wie kam es zur Mode?

Eher zufällig. Ich wollte immer mein eigenes Ding machen, eher aber als freie Textildesignerin. Dass ich ein Modelabel gründe, war nie der Plan. Ich bin da eher reingerutscht – quasi als Mittel zum Zweck, weil die Modewelt offener für meine Arbeit war, sie bot im Vergleich zu Textilbranche viel mehr Energie, Dynamik und Interesse.

War denn Ihr Studium in Textildesign an der Kunstakademie Stuttgart nicht auf Mode ausgelegt?

Während meinem Studium orientierte ich mich eher in Richtung Kunst und habe nach dem Studium – zirka um 2000 herum – auch ein zweijähriges Stipendium zur künstlerischen Entwicklung erhalten. Dann merkte ich aber rasch: Ich brauche Struktur. Freies Arbeiten ist nichts für mich. Beim Praktikum bei Jakob Schlaepfer in St. Gallen habe ich dann erstmals erlebt, wie künstlerischer Ausdruck und angewandtes Arbeiten sich verbinden können – das hat mich sehr geprägt.

Julia Heuer x 079: Rot bedrucktes Plisseekleid «Tito», 460 Franken, und mit Blüten bedrucktes Plisseekleid «Uma», 1150 Franken.

Wie kam dann – nach rund sechs Jahren als Textildesignerin bei Jakob Schlaepfer – der Sprung in Eigenständigkeit?

Es begann ganz organisch. Ich hatte diese Leidenschaft für Farben, Drucke, Textilien. Irgendwann stiess ich dann auf die Shibori-Plissee-Technik, mit der ich meine Ästhetik perfekt umsetzen konnte. Die ersten Silhouetten waren simpel, aber sie gaben meinen Textildesigns eine Bühne. Es ging mir nie um klassisches Modedesign, sondern darum, Textil als Kunstform zu zeigen.

Und das kam sofort gut an?

Erstaunlicherweise ja. Vielleicht wohl darum, weil ich eben keinen klassischen Mode-Werdegang hatte. Die Kollektionen hatten von Anfang an eine andere Sprache – es ging nicht primär um Fashion-Trends, sondern um Farbe, Druck, Statement. Das hat wohl einen Nerv getroffen.

Weshalb wohl mit den Jahren auch immer öfter Stars wie Beyoncé und Björk Ihre Sachen trugen?

Vielleicht. Aber solche Dinge passieren nicht über Nacht. Es ist eher ein steter Tropfen, der die Marke stärkt. Aber als die Anfrage von Beyoncé und Solange über ihre Stylisten hereinkam, war das schon ein «Wow»-Moment.

Haben solche VIP-Ausstattungen einen hohen Stellenwert für Sie?

Das ist eine gute Frage. Natürlich bringt das Sichtbarkeit, aber es verändert die Verkaufszahlen nicht über Nacht.

Ursprünglich kommen Sie aus Süddeutschland. Seit wann leben Sie in Paris?

So richtig fest seit etwa drei Jahren. Davor pendelte ich immer zwischen Deutschland und Frankreich, bis ich dann einmal gemerkt habe, dass Paris für mein Label einfach mehr Sinn macht – es war fast eine natürliche Entscheidung, auch wenn es am Anfang eine grosse Herausforderung war.

2018 zeigten Sie im Rahmen der Mode Suisse ihre erste Kollektion.

Ja, das war ein paar Monate nachdem ich mein Label gegründet habe. Damals kannte ich noch nicht die richtigen Leute, die irgendwelche Bälle ins Rolle bringen konnten, es war frustrierend, denn ich wusste gar nicht, wie die Modeindustrie funktionierte.

Inwiefern haben ihre beiden Auftritte an der Mode Suisse geholfen?

Das Mitwirken an der Mode Suisse, vor allem die Teilnahme am Showroom in Paris, war für mich ein Wendepunkt, der mir eine Perspektive und auch ein Verständnis dafür gab, wie und was in dieser Branche abläuft. Es kauften dann drei Geschäfte bei mir ein. Und als ich im Folgejahr erneut im Pariser Mode-Suisse-Showroom mit dabei war, gab bestellte dann auch der damals sehr renommierte New Yorker Concept Store Opening Ceremony – ein Motivationsschub.

Hat sich Ihre Arbeitsweise seither verändert?

Total. Am Anfang habe ich alles selbst gemacht. Irgendwann lagerte ich die Produktion an eine Näherin in Paris aus, und dann – durch eine Freundin – fand ich meine jetzige Produktion in Estland. Heute haben wir ein festes Team: Designerin, Produktionsmanagerin, Sales Manager und eine Person für «Commercial & Finance». Es ist ein riesiger Unterschied, endlich Stabilität zu haben.

Hat Ihnen ein Investor dabei geholfen?

Nein, wir sind organisch, ganz ohne Investor, gewachsen – und das als Deutsche in Paris.

Sie produzieren in Europa, mit fairen Löhnen. Was bedeutet das fürs Pricing?

Unsere Produkte haben ihren Preis – schon allein durch die aufwendige Technik. Aber wir kalkulieren fair. Wir haben keine riesigen Margen und wollen ein Produkt schaffen, das nachhaltig Sinn macht, sich gut anfühlt und oft getragen wird – nicht nur für besondere Anlässe.

Ihre Aussichten für die Zukunft?

Für unsere Marke hoffe ich einfach, dass wir wachsen können und wir uns noch mehr stabilisieren. Trotz der dramatischen Zeit, in der sich die Modewelt gerade befindet, bin ich positiv gestimmt. Ich habe das Gefühl, dass es einen stärkeren Fokus auf Marken und Kleidung geben wird, die eine Geschichte haben, eine Community pflegen und Handwerk vermitteln. Diese Werte sind nicht so einfach austauschbar, eröffnen sie doch ein spezielles Universum.

Was raten Sie jungen Designerinnen und Designern, die ein eigenes Label starten wollen?

Machen! Aber nicht halbherzig. Es braucht Mut, Hingabe, Geduld und ein realistisches Bild davon, was Unternehmertum bedeutet. Ein bisschen Businessplanung schadet auch nicht.

Zur Capsule-Kollaboration:

«Painted Pasts, Printed Futures»

079 ist eine von der Swisscom im Dezember 2023 initiierte Plattform für eine kreative und innovative Schweiz. Mit Modekollektionen und anderen Initiativen soll sie Menschen zusammenbringen, Tradition mit Moderne verbinden und eine wachsende Gemeinschaft bekannter und aufstrebender Talente nähren. Die am 22. Mai lancierte, limitierte Capsule-Kollektion mit Julia Heuer umfasst sechs Silhouetten, darunter handplissierte Crêpekleider und wandelbare Tops aus rezykliertem Georgette. Verschiedene Plissée-Arten, bedruckt mit folkloristischen Motiven der Bauernschrankmalerei in leuchtenden Farben, prägen die Kollektion, mal grafisch, mal organisch. Die Materialien: rezykliertes Polyester, fliessender Jersey, gewebter Crêpe, verarbeitet und plissiert in Europa.

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