Vor fünfzehn Jahren besuchte Dmitri Medwedew als russisches Staatsoberhaupt die Schweiz. Damals bewundert er das Land, heute verachtet er es zutiefst.

Spätestens seit der Durchführung der Bürgenstock-Konferenz weiss die Schweiz, wie sich ein russischer Shitstorm anfühlt. Die wochenlange Propagandaschlacht Russlands nahm teilweise absurde Züge an. So musste sich Bundespräsidentin Viola Amherd als Kindsmörderin verunglimpfen lassen.

Die Angriffe kamen von verschiedenen offiziellen Stellen und Medienvertretern, doch ein Mann schien die Verhandlungen in den Schweizer Alpen geradezu als persönliche Beleidigung aufzufassen: Dmitri Medwedew. Kurz vor dem Abschluss der Konferenz veröffentlichte er auf seinem Telegram-Kanal eine Botschaft, die von Verachtung nur so triefte.

Medwedew vergleicht in seinem Post die Ukraine-Konferenz mit George Orwells «Farm der Tiere». Die Schweizer spielten dabei die Rolle der «klugscheissenden Schafhirten», die nur bewährte Tiere gerufen haben. Die Ukraine-Konferenz bezeichnet er als alpine «Viehbeweidung». Weiter wettert er: «Es war einfach nur eine langweilige Scheisse, die auf ihre dreckige Art die Gelder von Steuerzahlern gemein verprasst.»

«Die ‹Friedensinitiativen› irgendwelcher Arschlöcher»

Es war nicht seine erste verbale Attacke gegen die Schweiz. Vor dem Beginn der Konferenz prophezeite er auf dem Kurznachrichtendienst X, die Gespräche würden es den russischen Streitkräften ermöglichen, «die Gebiete Kleinrusslands (gemeint ist die Ukraine) weiter von Neonazis zu säubern, ohne dass ihnen dabei irgendwelche Hindernisse in den Weg gelegt werden und sie Rücksicht auf die ‹Friedensinitiativen› irgendwelcher Arschlöcher nehmen müssen». Er schloss seinen Tweet mit den Worten: «Danke, Land des Käses und der Uhren!»

Offiziell ist der 58-jährige Medwedew Präsident der Partei Einiges Russland und stellvertretender Leiter des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. Inoffiziell gibt er seit Beginn des russischen Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine den Scharfmacher, der immer wieder durch seine bizarren Auftritte irritiert. Der Unterschied zu seinem früheren Image und Auftreten ist frappierend, galt er doch als liberal und dem Westen wohlgesinnt.

Von 2008 bis 2012 war Medwedew als russischer Präsident der mächtigste Mann im Staat. Zumindest formal. Bereits damals gab es Spekulationen, dass Putin, der in dieser Zeit weiterhin als Ministerpräsident amtete, weiterhin die eigentliche Macht im Staat ausübte. Nach vier Jahren hatte die Marionette ihren Dienst getan, und Medwedew trat wieder ins zweite Glied zurück. Möglicherweise ist ihm diese Offenheit zum Verhängnis geworden, blieb es doch bei einer Amtszeit als Präsident. Putin kehrte 2012 in den Kreml zurück.

Das putzige Staatsgeschenk

Medwedews Hassliebe zur Eidgenossenschaft hat ihre Wurzeln wohl in diesen vier Jahren. Am 21. und 22. September 2009 stattete er nämlich der Schweiz einen legendär gewordenen Staatsbesuch ab. Schon der Auftakt war spektakulär und herzergreifend. Mitte September trafen im Berner Bärengraben zwei junge sibirische Braunbären ein. Mischa und Mascha, wie sie genannt wurden, waren das offizielle Gastgeschenk von Dmitri Medwedew und seiner Gattin Swetlana an die Eidgenossenschaft. Sie waren Waisen, die Wildhüter in den Wäldern im Fernen Osten Russlands aufgefunden hatten.

Es war der Beginn einer Charmeoffensive des Mannes, dessen Name Medwedew vom russischen Wort für Bär abgeleitet ist. So lud Medwedew Schweizer Journalisten in seine Residenz Maiendorf bei Moskau ein. In den Interviews, unter anderem mit der NZZ, gab er sich selbstkritisch, wie man es von einem Vertreter des Regimes kaum je gehört hat. «Wir haben nicht die Illusion, dass Russland eine effektiv funktionierende Demokratie ist, die ein Beispiel für andere Staaten abgibt», erklärte er. Kurz zuvor hatte er in einem Aufsatz geschrieben, Russland sei «rückständig und korrupt».

Für die Schweiz hatte Medwedew damals nur Lob und Bewunderung übrig. Er habe das Land schon mehrmals besucht, erklärte er im Interview mit der NZZ. «Ich achte ihre eigenständige Position. Das erlaubt der Schweiz, auf einige Probleme aus ihrem Blickwinkel zu schauen und Stereotype zu vermeiden.» Mittlerweile betrachtet Medwedew die Schweiz als integralen Bestandteil des westlichen Lagers und verachtet sie vielleicht gerade deswegen besonders.

Die Schweiz mit Bundespräsident Hans-Rudolf Merz als Gastgeber scheute ihrerseits keine Mühen und Kosten, um dem russischen Staatspräsidenten ein spannendes Programm zu bieten. Vor allem der zweite Besuchstag hatte es in sich. Medwedew verbrachte ihn in der Innerschweiz und damit in jener Gegend, wo Mitte Juni die Bürgenstock-Konferenz stattfand.

Propaganda beim Suworow-Denkmal

Mit dem Militärhelikopter ging es zunächst in den Kanton Uri. Ziel war das Suworow-Denkmal in der Schöllenenschlucht. Dort, wo sich am 25. September 1799 die Truppen Napoleons und die Truppen des russischen Zaren unter General Alexander Suworow ein blutiges Gefecht geliefert hatten, legte Medwedew einen Kranz nieder.

Diese Gedenkstätte wurde inzwischen zum propagandistischen Schlachtfeld. Im Mai 2022, wenige Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs, wurde das Denkmal von Unbekannten beschmiert. Im Herbst des gleichen Jahres hielten der russische Botschafter Sergei Garmonin und sein weissrussischer Amtskollege an dieser Stelle eine patriotische Gedenkfeier ab. Begleitet wurden sie dabei von internationalen Vertretern der berüchtigten Biker-Gang «Nachtwölfe» und Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche.

Beim Staatsbesuch von 2009 war das nächste Ziel der russischen Delegation das Bundesbriefarchiv in Schwyz, wo Medwedew mehr über die Gründung der Eidgenossenschaft erfuhr. Der Kanton Schwyz schenkte ihm einen Säbel, der 1799 von den Soldaten Suworows zurückgelassen worden war. Medwedew versprach, die Waffe werde einen Ehrenplatz im Suworow-Museum in St. Petersburg erhalten. Ob sie sich immer noch dort befindet, liess sich nicht überprüfen. Den Bären Mischa und Mascha geht es nach Auskunft des Tierparks Bern auf jeden Fall bestens.

«Unser Freund Dmitri»

Der Staatsbesuch hat nur positive Gefühle zurückgelassen. «Unser Freund Dmitri», titelte beispielsweise die «Aargauer Zeitung», nachdem Medwedew in die USA weitergeflogen war. Die Politiker, die Medwedew während der beiden Tage begegneten, lobten ihn als offen und humorvoll. Er habe den russischen Staatspräsidenten als «hochintelligenten, an der Geschichte der Schweiz sehr interessierten Menschen» kennengelernt, erklärte der Schwyzer Landammann Georg Hess. «Medwedew hat es bei uns sehr gut gefallen», bilanzierte er. Gut fünfzehn Jahre später müssen Hess und viele andere ihre Meinung wohl revidieren.

Medwedews Hassbotschaft im Wortlaut

Diese Schweizer «Farm der Tiere» ist Surrealismus pur. Kafka und Orwell rauchen nervös am Rand. Keiner der Teilnehmer des «Friedensforums» weiss, was er da tut und welche Rolle er hat. Denn zur «Lösung des Konflikts» haben all diese klugscheissenden Schweizer Schafhirten nur bewährte Tiere gerufen: den verrückten und seichten, Viagra-schluckenden Eber mit seinem beständigen Kumpel, eine Herde selig über Frieden meckernder und träger Alpenlämmer sowie eine Meute europäischer Kettenhunde zum Bewachen des Viehbestandes. Die Rüden bellen, versprühen in alle Richtungen vergifteten Speichel und sorgen für Ordnung. Denn für Ordnung muss man sorgen: Die Schafe meckern oft völlig daneben und verheddern sich in auswendig gelernten Formeln.

An der Spitze der Herde steht unsichtbar ein ältlicher, schwachsinniger Besitzer, der längst den Kontakt zur Realität verloren hat, ständig erstarrt und dabei mit einem auf debile Weise enthobenen Gesichtsausdruck in den Himmel blickt. Seine Familie hat ihn wegen seiner fortschreitenden Demenz nicht gehen lassen und stattdessen seine beschränkte Vertreterin in die Berge geschickt, die kurz auf der Weide posierte, ihre auswendig gelernte Phrase von sich gab und schnell wieder nach Hause abhaute.

Alles in allem war die alpine Viehbeweidung einfach nur eine langweilige Scheisse, die auf ihre dreckige Art die Gelder von Steuerzahlern gemein verprasst. Oder wie Schwonder (eine Figur aus Michail Bulgakows «Hundeherz», Anm. d. Übers.) zu sagen pflegte: «Das ist irgendwie eine Schande . . .» (Übersetzung aus dem Russischen: inn.)

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