Donnerstag, Februar 13

Swiss Ski ist zu einem Vorzeigeverband geworden, es glänzt fast alles. Als grösste Gefahr droht die Sättigung.

Bis jetzt gestalten die Schweizer die Weltmeisterschaften in Österreich erfolgreich. Die Skifahrer gewinnen Medaillen um Medaillen und lassen sich für ihren Teamgeist feiern; die Verantwortlichen arbeiten im Hintergrund dafür, dass dies auch in Zukunft geschieht. Am Rande der WM verkündet der Schweizer Skiverband Swiss Ski, dass er mit Zermatt eine strategische Partnerschaft bis 2034 eingeht: Der Verband darf die Pisten auf dem Theodulgletscher nach einem Jahr Unterbruch wieder zum Training nutzen und diese an andere Nationen weitervermieten; zudem lanciert er einen neuen Anlauf für Weltcup-Rennen in Zermatt ab 2028.

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Swiss Ski scheint derzeit nur Erfolgsmeldungen zu produzieren. In der Nationenwertung des alpinen Weltcups führt die Schweiz mit über 2000 Punkten Vorsprung vor Österreich. 2020 löste Swiss Ski das Nachbarland nach dessen 30-jähriger Dominanz an der Spitze ab: Der Verband steht so gut da, wie er es sich nicht hätte träumen lassen, als er das Präsidium 2008 übernommen habe, sagt der Präsident Urs Lehmann, einer der Baumeister des Erfolgs.

Die Stärke des Verbandes im hiesigen Wintersport demonstrierten auch die Olympischen Spiele 2022 in Peking: Alle 15 Schweizer Medaillen gingen auf das Konto von Athletinnen und Athleten von Swiss Ski. Dabei macht Swiss Ski das, was die Österreicher in ihrer langen Zeit an der Spitze ausgezeichnet hatte: Immer versuchen, einen Schritt voraus zu sein, in allen Bereichen das Maximum zu machen, auch im Erfolg hungrig und innovativ zu sein.

Die Schweizer müssen längst nicht mehr zum Nachbarn schielen. Finanziell ist der Verband so gut aufgestellt wie nie zuvor, das Budget wuchs von knapp unter 30 Millionen Franken bei Lehmanns Amtsantritt auf heute 80 Millionen. Rund ein Drittel davon fliesst in den alpinen Skisport, er ist die wichtigste der elf Verbands-Disziplinen, das Zugpferd in der Vermarktung, von dem auch die anderen profitieren. Der markante Zuwachs hat viele Gründe, vom Ausbau der Einnahmequellen wie etwa bei der Eventvermarktung und den Medienrechten bis hin zu guten Verkäufern in den richtigen Positionen.

Die Mittel ermöglichen einen grossen Stab für die individuelle Betreuung der Athletinnen und Athleten sowie beste Trainingsmöglichkeiten. Auch in die Forschung wird immer mehr investiert. Inzwischen betreibt Swiss Ski ein hochmodernes Command-Center beim neuen Swiss-Ski-Gebäude in Worblaufen. Dort werden während der Rennen die Fahrten der Schweizer in Echtzeit von einem Forschungsteam analysiert und die Erkenntnisse den Trainern zugespielt.

Ein anderes Beispiel: Als sich vor ein paar Jahren das mittlerweile umgesetzte Verbot von Fluor im Wachs abzeichnete, wandelte Swiss Ski die Unsicherheit in einen Vorsprung um: Der Verband entwickelte sein eigenes Wachs und verkauft das Produkt heute auch an Privatpersonen. Der Erlös soll künftig das Technologiezentrum finanzieren, das in eine AG ausgelagert wurde.

Rund 80 Prozent der Einnahmen stammen aus der Privatwirtschaft

Personell ist in den vergangenen zehn Jahren Ruhe eingekehrt im Verband, die Fluktuation auf wichtigen Funktionärs- und Trainerposten aus Lehmanns Anfangszeiten ist passé. Das liegt auch daran, dass er auf den wichtigsten Posten seine Wunschleute installieren konnte, auf die er teilweise jahrelang warten musste, bis sie zusagten – in den Zeiten nach der Ski-Krise 2013 galt der Verband nicht als begehrter Arbeitgeber, was auch an der berüchtigten Hire-and-Fire-Kultur Lehmanns lag. Heute ist die Kontinuität im Betreuerteam eine Stärke, man schenkt den Mitarbeitern Vertrauen, wandelte etwa die Verträge der Trainer von befristeten in unbefristete um. Diese wissen nun, dass sie die nötige Zeit für die Entwicklung der Athleten bekommen.

Doch wie planbar ist Erfolg im Sport? Ist die Schweiz auch in zehn Jahren noch die Nummer eins im Skisport?

Der Präsident Urs Lehmann vergleicht die gegenwärtige Situation mit dem Surfen auf einer Welle: «In der Regel fällt man auch einmal wieder runter.» Das zeigt der Blick nach Österreich, als Erinnerung daran, dass eine Vormachtstellung nicht ewig währt. Die Weitsichtigkeit und den Drive, das gemeinsame Ziehen an einem Strick vermisst man bei Ski Austria zurzeit. Lehmann sagt zum Moment, in dem die Welle einen abwirft: «Entscheidend ist, dass man möglichst schnell wieder auf die Beine kommt, weil man den Absturz antizipiert hat.»

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass dies gelingt. Die derzeitige Begeisterung rund um den alpinen Sonnyboy Marco Odermatt hilft bei der Vermarktung des Produkts Skisport. Das Momentum nutzt man aber auch, um Sponsoren und Partner längerfristig zu binden. Die Verträge laufen heute im Schnitt über fünf bis sechs Jahre, doppelt so lange wie früher. Mit dem Hauptsponsor Sunrise einigte man sich gar auf eine Laufzeit von mindestens zehn Jahren; das ist im Sport ungewöhnlich und erleichtert Swiss Ski die Planung. Insgesamt generiert Swiss Ski rund 80 Prozent seiner Einnahmen aus der Privatwirtschaft, was ihn weniger abhängig von Bundesgeldern macht als andere Verbände. Oder weniger anfällig bei den geplanten Sparmassnahmen des Bundesrates.

Swiss Ski hat den Vorteil, dass die Athletinnen und Athleten dem Verband das ganze Jahr zur Verfügung stehen. In anderen Sportarten können sie nur während internationalen Titelkämpfen als Werbeträger eingesetzt werden, etwa im Radsport oder in den Teamsportarten, wo die Sportler während des Jahres in ihren Mannschaften unterwegs sind. Dafür ist der Aufwand für Infrastruktur, Trainings und Reisen im Skisport ungleich grösser. Es ist für andere Verbände also nicht einfach, das Erfolgsrezept zu kopieren. Dennoch klopfen regelmässig Vertreter aus anderen Sportarten oder dem internationalen Wintersport bei Swiss Ski an, um ihr Wissen zu erweitern.

Ein Weg zu noch mehr Sichtbarkeit der Sportart ist die Strategie, regelmässig Weltmeisterschaften in den einzelnen Disziplinen auszurichten. Die Alpin-WM sollen jeweils im kürzestmöglichen Abstand in der Schweiz stattfinden, also rund alle zehn Jahre.

Der Bund kann für Legacy-Projekte im Rahmen von Grossanlässen Geld sprechen. Für die Ski-WM in Crans-Montana 2027 zum Beispiel veranschlagt Swiss Ski rund 2,5 Millionen Franken für Nachwuchsprojekte, der Bund verdoppelt diesen Betrag. So finanziert Swiss Ski zusätzliche Projekte, die er sich sonst nicht leisten könnte. Die gleiche Mechanik greift auch bei den laufenden Biathlon-WM in Lenzerheide oder der Freestyle-WM, die im März im Engadin stattfinden.

Eine erfolgreiche Gruppe kann im Extremfall die nachfolgende Generation blockieren

Das alles spricht dafür, dass der Nachwuchs auch in Zukunft auf ideale Bedingungen trifft. Für den gegenwärtigen Schweizer Erfolg ist es einer der wichtigsten Gründe, dass auf dem Weg von der Jugend bis in den Weltcup heute alle derselben Philosophie folgen: Es gibt ein technisches Leitbild, eine offene Kommunikation und Durchlässigkeit. Also kein Gärtchendenken mehr, wo es jeder besser weiss als der andere und jeder Trainer nur für die eigene Gruppe und den eigenen Erfolg schaut. Der Männer-Cheftrainer Tom Stauffer ist als akribischer Organisator jederzeit über den Zustand aller Athleten informiert, hat ein gutes Gefühl für die Karriereplanung und für sinnvolle Renneinsätze. Das derzeit so starke Männer-Abfahrtsteam ist ein Resultat dieser langen Kette.

In genau dieser Stärke liegt auch die grösste Gefahr. Swiss Ski kann so viele starke Fahrer ausbilden, wie er will – im Weltcup dürfen pro Rennen und Nation dennoch nur acht starten. Oder maximal elf, wenn man die Qualifikation über den Europacup schafft – wobei sich diese Fahrer eine Stufe höher sofort durchsetzen müssen, sonst geht es zurück in den Europacup. Eine derart erfolgreiche Gruppe wie die heutigen Abfahrer kann im Extremfall eine ganze Generation von Talenten blockieren.

Allerdings ist Swiss Ski nicht in jeder Disziplin so gut aufgestellt. Bei den Speed-Frauen gelang in den vergangenen Jahren keiner der Nachwuchshoffnungen der Durchbruch im Weltcup; erst im Januar setzte die 21-jährige Malorie Blanc ein einsames Ausrufezeichen. Im Slalomteam der Frauen verbessert sich die Situation erst jetzt, im Slalom der Männer ist die erfolgreiche Garde um Daniel Yule bereits um die 30; bei den Trainern scheint die Frauenseite zudem nicht gleich bestechend aufgestellt zu sein wie bei den Männern. Hier könnte die eine oder andere Rochade anstehen.

Beim erfolgsverwöhnten Personal hingegen droht die Sättigung: Wer alles erreicht hat, will dasselbe irgendwann woanders umsetzen; für manche ist der Weg zum Erfolg spannender als alles, was danach kommt. Allfällige Lücken dürften heute aber einfacher zu füllen sein als früher. Swiss Ski ist zum attraktiven Arbeitgeber geworden – und kein Krisenfall mehr wie vor gut einem Jahrzehnt.

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