Freitag, Dezember 27

Porträt einer Unbeirrbaren.

An einem späten Dezemberabend beginnt eine Frau mit einem Glas Champagner in der Hand in einer Hotellobby zu tanzen. Die Pelzstola hat sie abgelegt, darunter kommt ein schwarzer Blazer mit silberfarbenen Stickereien zum Vorschein. Sie bewegt sich trotz schwindelerregend hohen Absätzen leichtfüssig über das Parkett. Die Band hat ein russisches Volkslied angestimmt, bald scharen sich die Gäste im Vier-Sterne-Haus St. Gotthard an der Zürcher Bahnhofstrasse um sie.

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Die Frau, die da tanzt, ist Ljuba Manz, 84 Jahre alt, schweizerisch-russische Besitzerin eines Hotelimperiums, das sie reich gemacht hat. An diesem Abend feiert sie gleich dreifach. Das Stammhaus St. Gotthard wird 135 Jahre alt, die dazugehörige Hummer-Bar 90, und Manz selbst leitet die Firma seit fünfzig Jahren. Rund 200 Gäste hat sie eingeladen, viele von ihnen sprechen Russisch.

Manz’ Geschäftssinn, ihr herber Charme und ihre opulenten Partys haben sie weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt gemacht. Jeweils am 13. Januar lädt sie zur Silvesterfeier nach dem julianischen Kalender. Der Abend beginnt traditionell mit einem Gläschen Wodka, das man trinkt und anschliessend über die Schulter wegwirft. Der Brauch steht symbolisch dafür, das Leben bis zum letzten Tropfen auszukosten. Er passt auch zu Manz’ Geschichte.

Es ist die Geschichte eines Aufstiegs aus bitterster Armut in die gehobenen Kreise der Zürcher Gesellschaft. Es ist auch die Geschichte einer Frau, die genau wusste, wohin ihr Weg führen sollte, und die sich dafür einmal an einen Baum kettete.

Die Flucht im Viehwaggon

Ljuba Manz wird am 27. Juli 1940 in der ostukrainischen Stadt Charkiw geboren, ihr Name bedeutet auf Russisch «Liebe». Die Mutter ist Russin und stammt aus einer verarmten Adelsfamilie, der Vater ist als Mitglied des antifaschistischen Schutzbundes aus Wien geflohen und arbeitet in seiner neuen Heimat als Fussballtrainer. Als die Nazis Richtung Charkiw vorrücken, flüchtet die Familie im Viehwaggon nach Usbekistan, wo sie mehrere Jahre lebt.

Nach Kriegsende zieht die Familie nach Moskau, sieht dort aber keine Zukunft. Wieder ein Umzug, im Jahr 1948 geht es nach Wien. Zwar findet der Vater Arbeit bei der russischen Handelskammer, aber die Verhältnisse bleiben prekär. Deshalb nimmt Ljuba neben der Schule jeden Job an, den sie bekommt.

Heute sagt sie: «Armut hat meine Kreativität enorm gesteigert. Wenn du nichts hast, hast du immerhin noch deinen Verstand. Ich sagte mir: ‹So viel depperter als die anderen kannst du doch nicht sein, also mach etwas aus deinem Leben.›»

Schon früh macht sich ihr Geschäftssinn bemerkbar. Als kleines Mädchen verkauft sie Milch an die Schulkameraden, damit sie sich selbst welche leisten kann. Später erledigt sie Näharbeiten für einen Kürschner, verkauft Früchte auf dem Markt, dreht Pillen in einer Apotheke. Seit ihrer Kindheit tanzt sie Ballett, lässt sich zur Tänzerin ausbilden. Als junge Frau modelt sie. Einmal legt sie sich für einen Job als lebendige Schaufensterpuppe auf das Bett eines Möbelhauses in Wien.

Und sie träumt von einem besseren Leben. «Oft habe ich in den Himmel geschaut und gedacht: Da sind so viele Sterne! Einer muss doch für mich sein.» Schliesslich macht sie einen Stern zu ihrem eigenen. «Er hat mich aus der Dunkelheit geführt und mir meinen Weg gezeigt.»

Diesen Weg erkennt sie bald. Als Teenager sieht sie Marlene Dietrich im Film «Der blaue Engel» und ist fasziniert von der Schauspielerin. Danach geht die junge Ljuba zu ihren Freundinnen und sagt: «Eines Tages werde ich solche Pelze tragen wie Marlene, und die Männer werden mich umschwirren wie Motten das Licht.» So hat es Dietrich im Film gesungen.

Sie wird Tänzerin in einem Wiener Nachtklub. Sie sei der Star des Abends gewesen, erzählt sie – eine Vedette. Schliesslich kommt sie mit einem Visum als «Artistin» in die Schweiz und tritt etwa im «Terrasse» in Zürich auf. Das Motto, so erzählt sie es, lautet: den Männern Appetit machen, gegessen wird zu Hause.

Das wegweisende Austernessen

Das Leben als Tänzerin ist anstrengend und unstet. Manz beschliesst, sich an der Handelsschule in Basel einzuschreiben. Sie schliesst erfolgreich ab – und übernimmt gleich als Erstes die Leitung des zu Coop gehörenden Feinkostgeschäfts Top Coq in Basel. Später absolviert sie eine Managerschule, als einzige Frau in der Klasse.

In ihrer Funktion als Geschäftsführerin lernt Ljuba Caspar Manz kennen, den Besitzer des Hotels St. Gotthard in Zürich. Sie will ihm Austern verkaufen für seine Hummer-Bar und erklärt ihm, dass sie die Meeresfrüchte zehn Prozent günstiger verkaufen könne als sein Lieferant.

Was Caspar Manz nicht weiss: Ljuba hat keine Ahnung von Austern. Sie hat sie noch nie gegessen. Sie kann sich noch genau an den Moment erinnern, als sie Caspar Manz gegenüber in der Hummer-Bar sass, vor sich einen Teller mit Muscheln. «Ich dachte: Herrgott, hilf mir! Dann nahm ich einen Schluck Champagner und spülte damit die Auster herunter.»

Offensichtlich macht sie ihrem Gegenüber Eindruck. Die beiden werden nicht nur Geschäftspartner, sie verlieben sich auch. 1974 heiratet das Paar. Fortan führen sie die Hotelgeschäfte gemeinsam.

Und sie sind erfolgreich, über die Jahre kommen weitere Hotels hinzu – in Basel und Lausanne. Eines, das «Euler» in Basel, wünscht sich Ljuba Manz zur Geburt der gemeinsamen Zwillinge Alexander und Michael. Und das Ehepaar expandiert in den achtziger Jahren nach Südamerika. Denn Ljuba ist entsetzt, als sie und ihr Mann während einer Reise in Ecuador in einer billigen Unterkunft nächtigen müssen. Gediegene Gasthäuser gibt es keine. «Da habe ich zu meinem Mann gesagt: Komm, Darling, hier bauen wir ein Hotel!»

Caspar habe sie für verrückt gehalten, erzählt sie, aber sie liess sich nicht beeindrucken. Also baut das Ehepaar Manz das erste Luxushotel überhaupt in Ecuador, das «Oro Verde». Das Hotel gibt es heute noch, mittlerweile ist daraus eine Gruppe geworden, gerade wird das zehnte Haus gebaut. Bis heute sitzt Manz im Verwaltungsrat – als einzige Frau.

«Ich habe immer mit Männern zusammengearbeitet», sagt Manz. Anfangs habe man sie nur als Anhängsel ihres Gatten gesehen. «Frau Caspar Manz» wurde sie genannt. Ab 1989 ist Ljuba Manz allein für die operative Leitung der Geschäfte zuständig, ihr Mann zieht sich zurück. Das kommt nicht gut an: Das nur mit Männern besetzte Management ist darüber so empört, dass es an der ersten Sitzung ohne den Patron geschlossen den Raum verlässt.

Ljuba Manz sagt: «Ich war ein hübsches Ding im Minirock, da hat man mich nicht sofort ernst genommen. Aber das hat sich geändert, als ich angefangen habe zu sprechen. Ich bin überall mit einer stoischen Selbstsicherheit hineingegangen und habe gesagt: So machen wir das jetzt.»

Keine Widerrede duldete sie auch, als die Stadt in den siebziger Jahren sämtliche Bäume entlang der Bahnhofstrasse fällen und durch junge Exemplare ersetzen wollte. Manz war darüber so empört, dass sie sich zusammen mit ihrer Sekretärin an die beiden Linden vor dem Hotel kettete. Die Aktion sorgte für Aufsehen – und die beiden Bäume durften bleiben. Heute sind es die grössten an der unteren Bahnhofstrasse.

Der dreissig Jahre jüngere Ehemann

2010 stirbt Caspar Manz im Alter von 87 Jahren. Für seine Frau ist klar: Sie will das Erbe ihres Mannes weiterführen. Und nach einer Trauerphase verliebt sie sich neu. In Marco Conte, einen Mathematiker aus Wien. Es dauert nicht lange, bis die Klatschpresse Wind davon bekommt, denn die Liaison ist ein Skandälchen: Conte ist dreissig Jahre jünger als Manz. Die «Schweizer Illustrierte» titelt: «Ihre Liebe begann bei Kaviar und Kartoffel».

Ihre Söhne hätten sich furchtbar aufgeregt, erinnert sich Manz. «Sie waren besorgt, dass Marco nur an mein Erbe will. Aber ich habe alles in einem Ehevertrag geregelt, und damit war das Thema gegessen.» Mittlerweile sind sie und Conte seit zehn Jahren verheiratet.

Ausschweifende Partys liebt sie noch immer. Man erzählt sich, dass Manz gerne zu fortgeschrittener Stunde auf dem Tisch tanzt, natürlich im knappen Kleid. Sie weiss, dass das manche Leute als frivol empfinden. Es ist ihr egal. «Ich habe noch nie versteckt, dass ich eine Frau bin», sagt sie und zieht ihren roten Lippenstift nach. Das Gespräch mit der NZZ findet in der Presidential Suite des «St. Gotthard» statt, sie ist wie immer piekfein gekleidet.

Auch zu Hause trägt Manz nur fürs Yoga eine Trainerhose. «Es ist doch eine Zumutung gegenüber dem Partner, wenn man schlampert daherkommt.» Ihren Wiener Akzent hat sie bis heute behalten.

Mit ihrem Hotelimperium hat es Ljuba Manz in die gute Gesellschaft geschafft. Sie besitzt eine Villa am Zürichberg und bewegt sich in gehobenen Kreisen. Es gibt Fotos von ihr mit Sophia Loren, Fürst Albert von Monaco, Michail Gorbatschow, dem Dalai Lama. Als 2018 eine Biografie über sie erscheint, schreibt Altbundesrat Hans-Rudolf Merz das Vorwort. Darin heisst es: «Freilich geniesst sie ihre hinreissend glamouröse Ader und liebt sie Glut und Kitzel der Gesellschaft.»

Die Zukunft

Das «St. Gotthard» ist wegen seiner Lage an der Bahnhofstrasse und gleich beim Hauptbahnhof beliebt bei Touristen. Aber Manz hat zu Beginn des Krieges in der Ukraine Ressentiments gegen ihre Person zu spüren bekommen. «Es hiess: Geht nicht in dieses Hotel, das gehört einer Russin.» Das habe sie erstaunt. «Erstens bin ich in der Ukraine geboren. Und zweitens ist die Schweiz doch neutral, ich dachte: Who cares? Ich bin komplett antipolitisch, bei mir können alle wohnen.»

Der Krieg in der Ukraine beschäftige sie sehr, sagt Manz. «Ich bete für Frieden, dafür, dass die Menschen einander nicht umbringen. Es ist schrecklich, dass Brüder auf Brüder schiessen. Wir sind doch alle ein Volk von Slawen.» Seit Kriegsbeginn ist sie nicht mehr nach Russland gereist, wo sie Projekte für Waisen- und Strassenkinder unterstützt. «Ich würde gerne sehen, wie es ihnen geht.»

Russland, das Land, das sie vor über siebzig Jahren verlassen hat, ist für sie keine Heimat mehr. Dennoch fühlt sie sich mit dem Land verbunden. «Ich bin mit meinem Kopf in der Schweiz, mit meinem Herzen in Österreich und mit meiner Seele in Russland.»

Ljuba Manz hätte sich längst zur Ruhe setzen können. Sie ist fünffache Grossmutter, die nächste Generation stünde bereit, ihre Söhne sind ebenfalls in der Hotelbranche tätig. Aber für Manz ist klar: «Ohne Arbeit versauert man.» Auch über die Weihnachtstage hat sie kaum Zeit für eine Pause, schliesslich steht schon der nächste Anlass an. Jedes Jahr am 27. Dezember organisiert sie im Suvretta House in St. Moritz ein Konzert mit klassischer Musik, um junge Nachwuchsmusiker zu unterstützen.

Ob sie sich vorstellen kann, die Geschäfte dereinst weiterzugeben? «Ich muss noch überlegen. Ich habe mich so an mich gewöhnt», sagt sie und lacht. Bald steht die nächste Party an, die russische Silvesterfeier. Vielleicht wird sie wieder auf den Tischen tanzen. «Dann haben die Männer etwas zum Schauen!»

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