Samstag, Januar 4

Bis zu 50 000 Expats kommen jedes Jahr in die Schweiz. Um sie herum hat sich eine eigene Branche entwickelt: Relocator-Agenturen helfen als «Butler für alles» bei sämtlichen Belangen.

Wo grosse, internationale Firmen sind, da sind auch Expats nicht weit. Diese Erkenntnis ist nirgends in der Schweiz so deutlich sichtbar wie in Zürich. Laut Statistiken ist hier jede dritte Person zwischen 26 und 35 Jahren inzwischen ein Jahresaufenthalter. 14 Prozent der Zürcher Bevölkerung geben an, sich vorwiegend mit Englisch durchzuschlagen. Im Jahr 2000 waren es 1,8 Prozent.

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Nicht jeder Zuwanderer ist ein Expat. Das Wort, die Kurzform von Expatriate, beschreibt eine Person, die als Fachkraft von einem internationalen Konzern in ein Land entsendet wird – und dort für einen gewissen Zeitraum, meist wenige Jahre, bleibt.

Expats polarisieren: Während die einen sich freuen, dass ihre Stadt internationaler wird, beklagen die anderen, im Tram sei kaum noch Schweizerdeutsch zu hören. Auch wird den Expats vorgeworfen, Parallelgesellschaften zu bilden und die Mieten in der Stadt in die Höhe zu treiben.

Denn die meisten von ihnen sind äusserst zahlungskräftig. Um sie herum hat sich darum eine eigene Branche gebildet. Sogenannte «Relocator» unterstützen die ausländischen Fachkräfte dabei, sich in der Schweiz niederzulassen. Der Dachverband Swiss Association of Relocation Agents, kurz Sara, schätzt, dass es in der Schweiz rund fünfzig solcher Firmen gibt, die gemeinsam mehrere Millionen Franken Umsatz erwirtschaften.

Firmen stellen grosszügige Budgets bereit

«Gerade bei hohen Kadern sind die Budgets der Firmen sehr grosszügig», sagt René Rey. Seine Firma Sgier + Partner, die zu den Pionierinnen der Branche zählt, ist seit über zwanzig Jahren in der Expat-Betreuung tätig. Plant ein Unternehmen im Ausland, einen Mitarbeiter in die Schweiz zu entsenden, übernimmt die Agentur in Zusammenarbeit mit der Partnerfirma Packimpex sämtliche Schritte: von der Erstellung eines Arbeitsgesuchs bis hin zur Suche einer Wohnung und zur Organisation eines Integrationskurses.

Ein Tag «Homefinding», der neben der Besichtigung verschiedener Wohngebiete und -objekte auch Vertragsverhandlung und Umzugsorganisation umfasst, kostet bei Packimpex 2200 Franken. Einführungen in den neuen Wohnort, den öffentlichen Nahverkehr und die Möglichkeiten zur Kinderbetreuung gibt es ab 1000 Franken. Ähnlich viel kostet das Schulpaket, das Terminvereinbarungen und Begleitung zu Schulbesichtigungen umfasst.

Das Ziel: «Die Leute sollen direkt anfangen können und sich praktisch um nichts kümmern müssen», erklärt Rey. Sgier + Partner betreibt eine 24-Stunden-Hotline, bei der Kunden sich mit allen Anfragen melden können.

Auch Partner werden unterstützt

Oft gehören dazu sehr persönliche Dinge. «Auswandern ist ein Abenteuer für die ganze Familie.» Die Erfahrung zeige, so Rey, dass der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin den grössten Einfluss auf Gelingen oder Scheitern eines Auslandsaufenthaltes habe. Relocation-Agenturen bieten daher oft besondere Unterstützung für Partner an, etwa Sprachkurse oder Hilfe bei der Jobsuche.

Die Unterstützung bei der Eingewöhnung läuft bis zu drei Monate. Ein Bankkonto eröffnen, einen Führerschein beantragen, das System der Abfallentsorgung erklären, Telefon- und Internetanschluss organisieren: Die Relocator haben viel zu tun.

Expats starten in das «Abenteuer Auswandern» deutlich komfortabler als andere Migranten. Warum das so ist, wird bei einem Blick auf ihren Lebenslauf klar: Die Mehrheit sind Führungskräfte, meist in einer mittleren Kaderposition.

Alle wollen in Zürich wohnen – aber nicht um jeden Preis

Weil sich in Schweizer Städten viele internationale Unternehmen niederlassen, ist die Expat-Dichte im internationalen Vergleich hoch. Doch nicht nur deswegen: Anfang des Monats hat die internationale Unternehmensberatung Mercer Zürich zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt, noch vor dem ewigen Spitzenreiter Wien. Mit Genf, Bern und Basel haben es drei weitere Schweizer Städte in die Top Ten geschafft.

Zürich stehe bei den Expats auf Platz eins der Schweizer Städte, sagt Evgeniy Timoshenko, Managing Partner beim Versicherungs- und Finanzberater Simplecare. «Aber wenn sie dann die Mieten sehen, sind die ganz erschrocken.»

So wird aus einem Relocator oftmals ein Standortberater: «Die meisten wissen gar nicht, dass sie ausserhalb der Stadt nicht nur weniger Miete zahlen, sondern auch bei Steuern und Versicherungen sparen», erklärt Timoshenko. Oft mache er Kunden mehrere Vorschläge: einen für Zürich, einen für Küsnacht, einen für Zug und einen für Wollerau. «Dann sehen sie erst, wie gross die Unterschiede sind.»

Timoshenko und sein Team beraten Expats bei allen Fragen zu Versicherungen und Steuern – helfen aber gemeinsam mit Partnerfirmen auch weiter, wenn es darum geht, eine Wohnung zu finden oder einen Umzug zu organisieren. «Ich habe Kunden, die kenne ich seit zehn Jahren. Ich bekomme mit, wenn sie zusammenziehen, eine Familie gründen oder sich scheiden lassen», erzählt er.

Firmen finden in der Schweiz kein Personal

Das Geschäft der Agenturen ist ständig im Wandel. Für Timoshenkos Firma hat die Corona-Pandemie einen Einschnitt bedeutet, viele Aufgaben fielen weg. «Dafür hat das Geschäft nach dem Ende der Pandemie wieder enorm angezogen. Die Leute werden gebraucht, viele Firmen finden in der Schweiz nicht ausreichend Personal.»

In manchen Branchen zeigt sich das besonders deutlich: Laut einer Untersuchung des Basler Büros für volkswirtschaftliche Beratung (BSS) sind etwa bei Physikern und Chemikern zwei Drittel der neu rekrutierten Erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländer. Die Auswertung bezieht sich auf Personen, die weniger als drei Jahre in diesem Betrieb arbeiten. Nicht alle von ihnen sind zwingend Expats, manche dürften auch davor in der Schweiz gewohnt haben.

Doch die hohe Zahl verdeutlicht, wie stark sich Schweizer Unternehmen bei der Stellenbesetzung im Ausland bedienen müssen. Auch bei Mathematikern und Statistikern reicht der Pool von Schweizer Arbeitskräften bei weitem nicht, 59 Prozent der Neurekrutierten haben einen ausländischen Pass. Bei den Biologen sind es 57 Prozent.

«Expats sind nicht einfach Kosten, sondern eine Investition», findet René Rey. Entsendungen gebe es immer häufiger nicht nur bei internationalen Konzernen, sondern auch bei kleinen und mittleren Unternehmen. Der Dachverband Sara schätzt, dass jedes Jahr 30 000 bis 50 000 Expats in die Schweiz kommen.

Manche brechen ab, aber viele bleiben

Ob sich diese Investition für die Unternehmen lohnt, hängt auch davon ab, ob die Expats das Projekt durchziehen. Situationen im Privatleben, aber auch Unzufriedenheit im Zielland können dazu führen, dass ein entsendeter Arbeitnehmer frühzeitig heimkehrt.

In einem Ranking der Expat-Plattform «Internations» aus diesem Jahr landete die Schweiz trotz den vielen Expats nur auf Platz 34 von 53. Zwar sammelte das Land Punkte für seine Lebensqualität und das Lohnniveau. Doch die Aspekte Wohnen und Sozialleben wurden von den Teilnehmern als negativ eingestuft. 62 Prozent gaben an, dass es schwierig sei, einheimische Freunde zu finden.

«Es ist schon so, dass viele Expats in einer Bubble leben», sagt Evgeniy Timoshenko. «Ich höre von vielen, dass sie Schwierigkeiten haben, Freunde zu finden, und dass sich ihr Leben fast nur nach der Arbeit ausrichtet.» Doch so einsam, findet Timoshenko, könne das Leben in der Schweiz gar nicht sein. «Fast alle unserer Kunden bleiben länger, als sie am Anfang geplant hatten. Sie bauen sich ein Umfeld auf, finden einen Partner.»

Auch René Rey hat die Erfahrung gemacht, dass viele seiner Kunden im Land bleiben wollen. Für seine Firma ist das ein Vorteil: «Wir unterstützen die Leute auch bei C-Bewilligungen oder bei der Einbürgerung.» Den Agenturen geht die Arbeit also nicht aus.

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