Mittwoch, Oktober 2

«Shōgun» ist eine der beliebtesten Serien des Jahres. Bei den Emmys hat sie 25 Nominationen erhalten. Woher kommt der Hype?

Am Anfang ist alles zu viel. Wer die erste Folge von «Shōgun» schaut, ist wahrscheinlich überfordert. Es gibt zig Figuren und Schauplätze, da ist zu lautes Geschrei und zu wenig Erklärung. Leute werden gepeinigt, geköpft, ins kochende Wasser geworfen. Aber dranbleiben lohnt sich.

«Shōgun» spielt zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Japan. Wem der Titel der Serie bekannt vorkommt, erinnert sich vielleicht an den gleichnamigen Roman von James Clavell von 1975, auf dem die Serie basiert. Oder an die erste Serienadaption, die in den 1980er Jahren im Fernsehen lief.

Die Geschichte erzählt lose historische Ereignisse nach: Der englische Seefahrer und Protestant John Blackthorne erreicht mit einer kraftlosen Crew und einem faulenden Schiff die Küste Japans. Dort trifft er auf portugiesische Katholiken, die seit Jahrzehnten vom Handel im feudalen Japan profitieren und den Katholizismus im Land verbreiten.

Die amerikanischen Drehbuchautoren von «Shōgun», Rachel Kondo und Justin Marks, hätten es sich leichtmachen können. Der gestrandete Engländer, der sich in einer ihm fremden Welt durchschlagen muss, ist die klassische Heldengeschichte. Das funktioniert eigentlich immer.

Vor 40 Jahren ging die erste Adaption diesen Weg und erzählte alles aus der Perspektive des Engländers. Die Japanerinnen und Japaner sind in Blackthornes Abenteuer bloss Nebenfiguren. Japanische Satzstücke werden nicht einmal übersetzt.

Japan im 17. Jahrhundert

Die neue Serie, 25-fach für einen Emmy nominiert, ist mutiger und anspruchsvoll. Sie gibt den japanischen Figuren und der japanischen Kultur eine Bühne. Der gestrandete Engländer Blackthorne kommt natürlich auch vor. Aber er ist zunächst nur Störfaktor in einem Land, das das grosse Chaos fürchtet. In Japan droht ein Bürgerkrieg. Der Taiko, der Herrscher des Landes, ist gestorben. Sein Erbe ist noch ein Kind und zu jung, um zu regieren. Ein intriganter Machtkampf um den Thron bricht aus.

Eine Hauptfigur der Erzählung ist der Fürst Yoshii Toranaga. Er versucht im Kampf um den Thron mit Kalkül und List, seine Rivalen loszuwerden. Gebannt verfolgt man von Folge zu Folge sein politisches Schachspiel. Es dauert eine ganze Weile, bis man versteht, wer hier wem vertraut und wer eigentlich welche Interessen verfolgt. Dann beginnt man mitzufiebern.

Und Blackthorne? Der wird von Toranaga angeheuert, um seine Armee europäische Kriegstaktiken zu lehren. So macht er Bekanntschaft mit der hochgebildeten Toda Mariko, die seine Übersetzerin wird. Von ihr wird Blackthorne in die Sitten und Gepflogenheiten Japans eingeführt.

Das ist peinlich und rührend. Der grobe, laute Blackthorne passt so gar nicht in die japanische Hochkultur. Er stapft durch die akkurat gepflegten Gärten von Osaka, und beim Essen kann er das feine, japanische Geschirr kaum halten. Er trinkt, rangelt, brüllt.

So führt die Serie geschickt zwei sehr unterschiedliche Kulturen vor. Hier die pflichtbewussten Japaner, die an «Shukumei», an das Schicksal, glauben. Daran, dass im Leben eines Menschen alles vorbestimmt ist. Da der Engländer, der mit seinem Individualismus aneckt, irgendwann ob der japanischen Sitten, Rituale, Weisheiten ausrastet und sagt: «Das Leben bedeutet euch nichts.»

Wie «Game of Thrones», nur besser

Die zehnteilige Serie wurde schon vor Jahren angekündigt und ist ein gigantisches Projekt. Die Produktion kostete die Firma FX laut Berichten über 250 Millionen US-Dollar – ein Produktionsaufwand, der wohl erst seit dem enormen Erfolg der amerikanischen Fantasy-Serie «Game of Thrones» möglich ist.

Die Macher von «Shōgun» arbeiteten mit Historikerinnen und Historikern zusammen, damit sie so viele Details des feudalen Japan wie möglich treffen. Um Fehler aus alten Hollywood-Produktionen zu vermeiden, stellten die Produzenten neben dem amerikanischen Produktionsteam auch ein japanisches an. Dabei mutet die Serie gerade wegen dieser sorgfältigen Darstellung zuweilen eher wie ein Theater an. Die Kostüme, die japanischen Villen, die Natur. Alles ist perfekt inszeniert.

Die Schauspieler sind klug gewählt. Der amerikanische Cosmo Jarvis, der den Seefahrer Blackthorne spielt, wirkt in dieser ganzen Szenerie wunderbar deplatziert. Auch weil Jarvis die Rolle mit Zurückhaltung spielt. Gleichzeitig ist die japanische Schauspielerin Anna Sawai als Übersetzerin Toda Mariko grandios. Sie ist ernst und erhaben. Und obwohl nur Männer um den Thron in Japan kämpfen, ist doch sie die eigentliche Heldin der Serie.

Wer nach epischen, blutigen Kampfszenen sucht, ist bei dieser Serie falsch. «Shōgun» macht es anders als Produktionen wie «Game of Thrones». Genau das ist die grosse Stärke dieser Serie. Sie erzählt auch von den stillen Momenten des Kriegs, ist klug, feinfühlig und zuweilen sogar heiter. Zum Beispiel, als Fürst Toranaga gefragt wird, warum er diesen verfluchten Engländer nicht schon längst getötet habe. Er bringe ihn zum Lachen, sagt Toranaga.

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