Sonntag, September 29

Nur drei Monate nach der Zinswende senkt die Schweizerische Nationalbank erneut den Leitsatz. Zwingende Gründe gibt es nicht.

Es gibt Notenbanken, die Überraschungen um jeden Preis verhindern wollen. Sie nehmen die Marktteilnehmer an der Hand und bereiten sie sorgsam auf ihre geldpolitischen Entscheide vor. Zu ihnen gehören das amerikanische Fed oder die Europäische Zentralbank (EZB). Und dann gibt es die Schweizerische Nationalbank (SNB). Sie lässt sich ungern in die Karten blicken und hält wenig davon, im Vorfeld eines Entscheids vielsagende Andeutungen zu machen. Entsprechend oft kommt es zu Entschlüssen mit unklarem Ausgang, so auch diesen Donnerstag.

Die Inflation ist jüngst wieder gestiegen

So waren die Meinungen geteilt, ob die SNB ihren ohnehin schon sehr niedrigen Leitzins erneut senken würde, nachdem sie vor drei Monaten als erste grosse Notenbank die Zinswende eingeleitet hatte. Dass sie nun tatsächlich nachdoppelt und die Geldpolitik weiter lockert, ist insofern überraschend, als die Massnahme keinesfalls als zwingend erscheint. Dies auch deshalb nicht, weil sich die SNB gern ihrer Stabilitätskultur rühmt; im Zweifel misst sie also dem Kampf gegen die Inflation meist mehr Gewicht bei als der Verbilligung des Geldes.

Für einmal liegen die Dinge aber anders. Jedenfalls ist der Entscheid mit Blick auf die Inflation erklärungsbedürftig. Denn seit dem Zinsentscheid im März ist die Schweizer Teuerung nicht gesunken, sondern gestiegen. Das Niveau von 1,4 Prozent mag im internationalen Vergleich niedrig sein. Tatsache bleibt: Die Inflation verharrt in der oberen Hälfte des Zielbandes von 0 bis 2 Prozent. Kommt hinzu, dass die Teuerung derzeit vor allem von inländischen Dienstleistungen herrührt, und diese Inflation ist erfahrungsgemäss besonders schwierig wegzubringen.

Auch das konjunkturelle Umfeld taugt kaum als Erklärung. Die Schweizer Wirtschaft mag zwar nur moderat wachsen. Sie hat in den letzten paar Quartalen aber positiv überrascht, und die Arbeitslosigkeit verharrt auf niedrigem Niveau. Und weil auch in Europa die Konjunktur jüngst wieder an Schwung gewonnen hat, rechnet selbst die SNB damit, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz mittelfristig durch eine stärkere Auslandnachfrage schrittweise verbessern werde. Das ist kein Umfeld, das nach monetärer Anschubhilfe ruft.

Der Franken erstarkt – und normalisiert sich

Auch seitens anderer Zentralbanken stand die SNB nicht unter Zugzwang. Zwar hat diesen Monat die EZB erstmals seit 2019 die Leitzinsen gesenkt. Sie signalisierte aber gleichzeitig, dass sie mit weiteren Zinssenkungen keine Eile hat, zumal die Inflation im Euro-Raum noch nicht den Zielwert erreicht hat. In den USA wiederum verschiebt das Fed die Zinswende seit Monaten. Die zögerliche Gangart beidseits des Atlantiks hätte es der SNB erlaubt, den Zins unangetastet zu lassen.

Bleibt als einzige Erklärung der Wechselkurs. Er spielt in einer kleinen Volkswirtschaft naturgemäss eine wichtige Rolle. Tatsächlich hat der Franken in den vergangenen Wochen an Wert gewonnen. Die Erstarkung spiegelt zum Teil aber eine Normalisierung, zumal der Franken zwischen Januar und Mai zu den schwächsten Währungen gehört hatte. Wenn nun die SNB erneut zu einer Abwertung des Frankens beiträgt, mag dies die Exporteure freuen. Damit verbunden ist aber die Gefahr, dass über höhere Importpreise auch die Inflation wieder anziehen könnte.

Gewiss, Geldpolitik ist die Kunst des Abwägens. Selten ist eine Ausgangslage völlig klar, auch dieses Mal nicht. Doch je nebliger die Sicht, desto empfehlenswerter, für Unabsehbares etwas Pulver trocken zu halten. So ist es durchaus möglich, dass die Verunsicherung rund um Frankreichs Wahlen oder eine andere – heute noch unsichtbare – Krise den Franken bald wieder hochschnellen lässt. Dann muss die SNB den Zins senken können, ohne gleich wieder bei Negativzinsen zu landen. Spielraum hierzu hat sie nun ohne zwingenden Grund verkleinert.

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