Montag, November 25

Soweit wir wissen, ist die Sonne der einzige Stern in der Milchstrasse, der Bewusstsein hervorgebracht hat. Doch das Leben, wie wir es kennen, hat ein Ablaufdatum – und das kommt schon relativ bald.

Die Sonne ist eine Spätzünderin. Sie entstand in einer Zeit, in der Sterngeburten schon eine Seltenheit waren. Das Universum war bereits 9 Milliarden Jahre alt, als sie ihre ersten Lichtstrahlen auf die Reise schickte. Unzählige Sterngenerationen waren schon vor ihr gekommen. Ein regelrechter stellarer Babyboom hatte bereits 5 Milliarden Jahre vor ihr eingesetzt und war schon lange wieder abgeklungen.

Die Sonne entstand zusammen mit vielen Geschwistern, die aber im Lauf der Milliarden Jahre auseinanderdrifteten und sich schon lange aus den Augen verloren haben. Heute lebt sie in einer fremden Nachbarschaft. In dieser ist sie ein überdurchschnittlich heller und massereicher Stern. Von den knapp 60 Sternen im Umkreis von 15 Lichtjahren gibt es nur drei, die heller sind als sie: Sirius, Procyon und Alfa Cen A. Die meisten im grossen Rest sind rote Zwergsterne mit nur einem Bruchteil der Masse und Leuchtkraft unserer Sonne. In dieser Gesellschaft ist sie also ein stattlicher, auffälliger und auch ein recht seltener Stern.

Ein Stern, der Bewusstsein antreibt

Nicht nur die Sonne, sondern auch unser Planetensystem ist, wie wir in den letzten Jahren festgestellt haben, eher etwas Besonderes, jedenfalls nicht die Regel. Dazu kommt etwas, das noch weit aussergewöhnlicher ist: Das Licht und die Wärme der Sonne haben auf der Erde einen Prozess in Gang gesetzt, der zuerst zu einzelligem, dann zu komplexerem und schliesslich zu bewusstem Leben geführt hat. Das Licht der Sonne nährt dieses Leben und liefert die Energie für alle Lebensprozesse, insbesondere jene, die in unserem Hirn ablaufen. Die Sonne ist ein Stern, der Bewusstsein antreibt.

Das Aussergewöhnlichste in unserem Sonnensystem sind also die belebte Erde und wir Menschen. Man kann einwenden, dass dies eine sehr anthropozentrische Sicht ist, und viele mögen die Menschheit auch für alles andere als aussergewöhnlich halten. Trotzdem sind es wohl nur sehr wenige Sterne, die intelligentes Leben beherbergen. Wir befinden uns hier im Reich der Spekulation, aber die Indizien deuten darauf hin, dass es in der ganzen Galaxis nicht viele Sterne gibt, die einen solchen Prozess antreiben. Die Sonne ist einer davon, und vielleicht ist sie sogar der einzige in unserer Milchstrasse, der das tut.

Um den Fluss des Lebens in Gang zu halten, braucht es nur einen winzigen Bruchteil der Sonnenenergie. Das meiste wird gebraucht, um die Erde zu wärmen und auf einer Temperatur zu halten, bei der Wasser weder verdampft noch gefriert. Das Leben selbst braucht aber auch Energie. Es muss Lebewesen geben, die Licht verwerten können: Das sind natürlich die Pflanzen. Mithilfe des Sonnenlichts verwandeln sie Kohlendioxid und Wasser in pflanzliche Biomasse, also in komplexe organische Moleküle. In der Nahrungskette folgen auf die Lichtesser die Pflanzenesser, zum Beispiel Weidetiere. Diese wiederum werden von Fleischfressern verzehrt, und dabei wird Sonnenenergie in biologisch verwertbarer Form weitergegeben. Die ursprünglich von Pflanzen aufgenommene Sonnenenergie wird in der Nahrungskette verteilt und treibt so die gesamte Biosphäre an – letztlich auch die Denkprozesse im menschlichen Hirn.

Eine sich verändernde Sonne

Die Sonne ist seit Milliarden von Jahren eine zuverlässige Quelle von Licht und Wärme für alle Erdbewohner. Doch wird sie das auch weiterhin sein? Die Frage kann beantwortet werden, denn die Sonne ist berechenbar. Und dies über Jahrmilliarden hinweg. Wir kennen die Gesetze der Physik, die einen Stern regulieren, und können damit Modelle entwickeln, die der realen Sonne recht nahe kommen. Wir haben deshalb eine ziemlich gute Vorstellung, wie sich die Sonne in Zukunft verhalten wird, wie lange sie noch zu leben hat und wie sie enden wird.

Man kann das Leben der Sonne grob in drei Abschnitte unterteilen. Ganz am Anfang und auch gegen Ende ihres Lebens geht sie jeweils durch kurze, aber turbulente Phasen: Geburtswehen und Todeszuckungen. In diesen Zeiten wird das Sonneninnere radikal umgebaut, und auch ihr Äusseres ändert sich schnell und drastisch. Dazwischen liegt eine lange, geruhsame Epoche, in der Veränderungen nur ganz langsam vor sich gehen. Wir befinden uns jetzt etwa in der Mitte dieser Phase, die insgesamt ungefähr 9 bis 10 Milliarden Jahre andauern wird.

Doch auch in dieser stabilen Phase verändert sich etwas: Die Helligkeit der Sonne nimmt langsam zu. Heute scheint sie etwa 30 Prozent intensiver als in ihren Anfängen. Erstaunlicherweise hat es die Erde aber geschafft, über diese Zeit ihre Temperatur konstant zu halten. Warum das so ist, hat wohl mit einem variablen Treibhauseffekt zu tun, der die zunehmende Energiezufuhr durch die Sonne kompensierte, aber die genauen Ursachen dafür bleiben ein Rätsel.

Lebensbedingungen im Sonnensystem

Die Sonne wird also heller, und zwar um ein Prozent alle 100 Millionen Jahre. Das scheint sehr wenig, doch auf das Ökosystem der Erde hat das langfristig drastische Auswirkungen. Die Temperatur auf der Erde wird langsam ansteigen, und das Leben, so wie wir es kennen, kann nur noch etwa 500 bis 800 Millionen Jahre weitergehen. Dann werden die meisten Pflanzen absterben, weil es zu wenig CO2 in der Atmosphäre haben wird.

Ohne Pflanzen verlieren auch alle Landtiere die Lebensgrundlage. Die Meere werden deutlich schrumpfen, doch in ihnen wird Leben vorerst weiterhin möglich sein. Bald werden aber auch sie verdunsten. Zuerst werden die komplexeren Lebensformen verschwinden, die einfacheren, also Mikroorganismen, werden länger überleben. Die Reihenfolge wird genau umgekehrt sein wie bei der Entstehung und Verbreitung des Lebens auf der Erde. Die zuletzt gekommenen, höheren Organismen werden als Erste verschwinden, und die, die zuerst da waren, werden als Letzte aussterben. Das Wort aus der Bibel, «Die Ersten werden die Letzten sein», ist hier ganz unerwartet prophetisch.

Die Erde wird in spätestens einer Milliarde Jahren nur noch eine lebensfeindliche, ausgetrocknete Wüstenlandschaft sein. Von den insgesamt etwa 5 Milliarden Jahren, in denen Leben auf der Erde möglich ist, sind schon mehr als vier Fünftel vergangen. Wir sind also spät dran. Allerdings muss uns das nicht beunruhigen, denn der Rest ist immer noch ein immens langer Zeitraum.

Ist das Leben auf der Erde ausgestorben, werden für lange Zeit im ganzen Sonnensystem nirgendwo günstige Lebensbedingungen herrschen. Die Sonne hat dann allerdings erst knapp ihre Lebensmitte überschritten. Sie scheint noch fast weitere vier Milliarden Jahre in einer Art, die kaum unterscheidbar ist von der heutigen, ausser dass ihre Helligkeit etwas zugenommen hat.

Auf allen Planeten und Monden unseres Sonnensystems wird die Temperatur ansteigen. Während es auf der Erde zu heiss wird, entstehen auf dem heute zu kalten Mars lebensfreundlichere Bedingungen. In etwa 2,5 Milliarden Jahren wird der Mars auftauen und warm genug sein für flüssiges Wasser. Von der Temperatur her werden die Lebensbedingungen dort für sehr lange Zeit günstig sein. Falls es auch genügend Wasser gibt, könnte neues Leben entstehen.

Doch eine Neuentwicklung wäre vielleicht gar nicht nötig, denn irdische Mikroben könnten sich bereits auf dem Mars befinden. Mikrobiologisches Leben kann durch den interplanetaren Raum wandern. Schlägt zum Beispiel ein Asteroid auf der Erde ein, wie es immer wieder vorkommt, so gibt es zwar grosse Verwüstungen, es werden aber auch Gesteinstrümmer in den Weltraum hinausgeschleudert, auf denen irdische Mikroben mitreisen. Die Mikroben werden im Weltall tiefgefroren, bleiben aber überlebensfähig. Einige der Gesteinstrümmer treffen – vielleicht erst nach Millionen von Jahren – auf den Mars. Dort ist es jetzt für irdisches Leben zu kalt, doch wenn die Temperatur steigt, würden die Mikroben zu neuem Leben erwachen.

Dass es in der zweiten Lebenshälfte der Sonne auf dem Mars nochmals zu einem Aufblühen des Lebens mit irdischer DNA kommen wird, ist gut möglich. Ob es aber lange überdauern kann, bleibt fraglich. Ein Problem ist, dass das auftauende Wasser schnell verlorengehen wird, genauso wie es in der Vergangenheit des Mars schon einmal geschehen ist.

Endzeit der Sonne

Gegen Ende des Lebens der Sonne werden sich die Ereignisse überstürzen – zumindest was stellare Zeitmassstäbe angeht. Die greise Sonne wird dann ein völlig anderes Gesicht zeigen als heute. Sie wird sich gewaltig aufblähen, ein intensives oranges Licht ausstrahlen und Tausende Male heller scheinen als heute. Sie wird die innersten Planeten Merkur und Venus umhüllen und verschlucken. Nach heutigem Wissensstand wird es auch der Erde so ergehen, denn die Sonne wird so gross werden, dass sie auch die Erdbahn erreicht. Die Erdseite in Flugrichtung wird sehr heiss werden und zu verdampfen beginnen. Die Erde wird abgebremst, stürzt tiefer in die Sonnenhülle und verdampft schliesslich ganz. Sie wird vollständig in einzelne Atome aufgelöst, die sich mit dem Sonnenmaterial vermischen.

Für Äonen spendete die Sonne der Erde Licht und Wärme und gab ihr ein wohltemperiertes Klima. Doch nun, kurz vor ihrem Ende, gewissermassen mit ihren letzten Atemzügen, wird sie die Erde verschlingen.

Durch das ganze Sonnensystem läuft eine Hitzewelle. Selbst auf Jupiter, Saturn und Uranus wird es zu heiss sein für flüssiges Wasser. Auf Triton, dem grossen Mond von Neptun, und auch auf Pluto könnte es hingegen flüssiges Wasser geben und vielleicht sogar grosse Meere. Die Zeit ist aber zu kurz, um neues Leben entstehen zu lassen.

Die Sonne bläht sich auf, bis ein kritischer Punkt erreicht ist. In ihrer kühlen und extrem ausgedehnten Hülle können auf einmal Staubkörner kondensieren. Die zunehmend stärkere Strahlung aus dem Sterninneren drückt immer mehr auf diesen Staub, und langsam beginnt sich die gesamte äussere Hülle vom Stern abzuheben. Zwanzig Prozent der Sonnenmasse, inklusive der vaporisierten Erde, schieben sich mit zunehmender Geschwindigkeit in den umgebenden Weltraum hinaus. Das meiste Material, das ehemals die Erde ausmachte, wird zurück ins Weltall hinausgeschickt in einer Form, die derjenigen ähnlich ist, aus der elf Milliarden Jahre zuvor das Sonnensystem entstanden war.

Die Sonne, von ihrer Hülle entblösst, zeigt nun ihr extrem heisses Inneres. Sie hat zum letzten Mal ihr Antlitz völlig verändert. Das Kernfeuer in ihr ist erloschen, und sie schrumpft auf eine Grösse vergleichbar der Erde. Sie ist zu einem weissen Zwergstern geworden.

Die Kombination von sehr heissem Stern und wegdriftender Sternhülle führt zu einem spektakulären Phänomen, das man als «planetarischen Nebel» bezeichnet. Es ist wie ein Abschiedsgruss eines Sterns an seinem Lebensende. Der kleine, aber sehr heisse Überrest der Sonne sendet starkes ultraviolettes Licht aus, das die wegdriftende Hülle anstrahlt und zum Leuchten bringt. Es entstehen so Gebilde von fast blumenhafter Schönheit, die allerdings nur ein paar zehntausend Jahre überdauern. Sie expandieren langsam und verlieren sich im umgebenden Weltraum.

Der heisse Überrest des Sterns überdauert viel länger. Es braucht viele Milliarden Jahre, bis er ganz erloschen ist. Am Ende bleibt ein dunkler Zwerg, der sich kaum noch von der Schwärze des Weltalls abhebt.

Postsolares Zeitalter

Das Sonnensystem wird dann nur noch die Planeten Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun enthalten sowie die Kleinplaneten des Kuipergürtels, also zum Beispiel Pluto. Sie werden auf Umlaufbahnen kreisen, die etwa doppelt so gross sind wie heute, und sie werden alle gefroren sein. Die inneren Planeten Merkur, Venus und die Erde mitsamt dem Mond sind von der Sonne geschluckt und aufgelöst worden. Zusammen mit einem grossen Teil der Sonnenhülle ist ihr Material wieder ins Weltall hinausgeschleudert worden. Dort wird es wohl für viele Millionen Jahre durch die Galaxis driften, bis es vielleicht von neuem zu einem Teil eines Sterns oder eines Planetensystems wird.

Zum Autor: Hansruedi Schild ist pensionierter Astrophysiker. Er hat an der ETH Zürich promoviert und später an Sternwarten wie dem Observatoire de Genève und dem Royal Greenwich Observatory die Welt der Sterne erforscht. Jetzt als Pensionär betrachtet er den Sternenhimmel gelegentlich immer noch, aber mit etwas bescheideneren Mitteln, nämlich einem leichten Feldstecher.


Sterngeschichten

Sterne sind nicht nur hübsche Lichtpunkte am Abendhimmel. Viele von ihnen haben eine eigene Geschichte, einen eigenen Charakter, sogar fast schon eine eigene Persönlichkeit. Davon ist in unserer Serie «Sterngeschichten» die Rede.

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