Freitag, November 22

Der populäre Verteidigungsminister will nicht für die Kanzlerschaft kandidieren. Nun müssen die Sozialdemokraten mit dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz als Spitzenkandidaten in die vorgezogene Bundestagswahl ziehen. Das findet sogar die Konkurrenz gut.

Nach tagelanger Hängepartie ist nun klar, mit wem als Kanzlerkandidaten die SPD in die Bundestagswahl Ende Februar zieht. Es ist Olaf Scholz. Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärte am Donnerstagabend, nicht für eine Kandidatur zur Verfügung zu stehen. Im ZDF sagte er am Abend unter anderem, er habe Scholz die Kandidatur nicht nehmen und ihn nicht zur «lame duck» machen wollen.

Zuvor hatten sich immer mehr Parteimitglieder und Bundestagsabgeordnete für den populären Politiker ausgesprochen. Der noch amtierende Bundeskanzler Scholz hatte jedoch keine Anzeichen gemacht, von seiner Kandidatur abzurücken.

Die Reaktionen auf die Äusserungen von Pistorius fallen daher sehr gemischt aus. Die SPD-Führung äussert sich erleichtert. Die Entscheidung von Pistorius sei souverän und ein grosses Zeichen der Solidarität zur SPD und zu Bundeskanzler Olaf Scholz, sagt die Co-Vorsitzende Saskia Esken. Pistorius sei ein hervorragender Verteidigungsminister, die SPD kämpfe nun auch darum, dass er dieses Amt in der nächsten Regierung weiter ausführen könne.

Aus dem linken Flügel der SPD kommen eher verhaltene Reaktionen. Ralf Stegner, in der Vergangenheit kein Freund von Scholz, sagte der NZZ, die Erklärung von Pistorius sei gut und notwendig gewesen und keinen Tag zu früh gekommen. Stegner hatte die Hängepartie in der Kanzler-Frage in den vergangenen Wochen seit dem Regierungsbruch immer wieder kritisiert. Es gehe nun darum, zu zeigen, dass im Wettbewerb zwischen Scholz und dem CDU-Kandidaten Friedrich Merz der amtierende Kanzler die beste Wahl sei.

Viel Lob für Pistorius

Niels Annen, SPD-Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium und ebenfalls Vertreter des linken Flügels, äussert sich deutlich euphorischer. Er spricht von einer richtigen Entscheidung für den richtigen Kanzler in schwierigen Zeiten. Andere SPD-Politiker äussern sich in ihrer Reaktion weniger zu Scholz als vielmehr zu Pistorius. Er habe Klarheit geschaffen in einer unnötigen Debatte, die er nicht zu verantworten habe, meinte der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Nils Schmid. Einmal mehr habe Pistorius sein «überragendes politisches Format» bewiesen. Seine Kompetenz und sein Verantwortungsbewusstsein stärkten die SPD insgesamt.

Auch Andreas Schwarz, Vertreter des konservativen Seeheimer Kreises und Abgeordneter aus Bayern, lobte Pistorius. Er habe mit seiner Entscheidung für Klarheit in der Kandidatendiskussion gesorgt. Es hätte weder dem Land noch der Partei gutgetan, «wenn wir uns in diesen Zeiten nur mit uns selbst beschäftigen», sagte er. In der Partei sei allen klar, dass die Wahl 2025 die SPD vor grosse Herausforderungen stelle und «wir gemeinsam viel Überzeugungsarbeit und Einsatz leisten müssen».

Weit weniger abgewogen äussert sich der Scholz-Kritiker Joe Weingarten, Abgeordneter aus Rheinland-Pfalz. Er hatte sich zuvor für Pistorius als Kanzlerkandidaten ausgesprochen. Scholz sei bei den Menschen im Land «untendurch». Er bedauere daher die Entwicklung, erklärte Weingarten nun. Es müsse jetzt das Ziel sein, gemeinsam und geschlossen das bestmögliche Wahlergebnis für die SPD zu erlangen.

Die Rede von der Gemeinsamkeit und Geschlossenheit zieht sich durch zahlreiche Reaktionen der SPD. Doch worauf es bei der Bundestagswahl möglicherweise vor allem ankommt, strich der langjährige Oberbürgermeister von Erfurt und frühere SPD-Landesvorsitzende von Thüringen, Andreas Bausewein, heraus. «Die Leute» wählten heutzutage eher Personen und weniger Programme, sagte er dem Magazin «Stern». «Mit Boris Pistorius wären wir da als SPD besser gefahren.»

CDU spricht von deprimierter Lage in der SPD

Von der politischen Konkurrenz gibt es bis anhin nur wenig Reaktionen. Mathias Middelberg, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, sagte, Pistorius wäre für die Union unangenehmer gewesen. Scholz sei dennoch nicht zu unterschätzen, was der Wahlkampf vor drei Jahren gezeigt habe. Damals führte Scholz die SPD zum Sieg, nachdem seine Partei in den Umfragen zuvor teilweise weit hinter der Union gelegen hatte.

Für seine Parteikollegin Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz zeige die Personaldebatte die «deprimierte Lage der SPD», die zugleich «auch viel über die Politikqualität des aktuellen Bundeskanzlers» aussage. Er werde auf offener Parteibühne von seinen Genossen infrage gestellt und zerlegt, äusserte das CDU-Präsidiumsmitglied.

Gut zwei Wochen nach seiner Entlassung aus der Regierung nutzte der FDP-Chef Christian Lindner die Entscheidung von Pistorius, um Kanzler Scholz einmal mehr zu kritisieren. Es sei ihm recht, wenn «Herr Scholz der Kanzlerkandidat der SPD ist», schrieb er auf der Plattform X. Da wüssten die Menschen, was sie bekämen. Und was nicht: Wirtschaftswende.

Kurz nach der Absage von Pistorius bezüglich Kanzlerkandidatur veröffentliche die ARD ihren neuesten Deutschland-Trend. Danach fiel die SPD um 2 Prozentpunkte auf 14 Prozent, gleichauf mit den Grünen, die erst am Wochenende Robert Habeck zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt hatten. Zugleich stieg die Zufriedenheit der Bürger mit der Arbeit von Pistorius um weitere 6 Punkte auf 61 Prozent, während die Popularität von Scholz auf 20 Prozent weiter gefallen ist.

Davon unbeeindruckt kündigte der Co-Parteichef Lars Klingbeil noch am Donnerstagabend an, Scholz am Montag offiziell als Kanzlerkandidaten zu nominieren. Der Kanzler selbst dankte Pistorius für eine «enge Zusammenarbeit» in den letzten Tagen und appellierte erneut an die Geschlossenheit und die Solidarität der Partei.

Im Freitagvormittag hat Scholz bei einer Parteiveranstaltung in Berlin seine erste Wahlkampfrede gehalten. Er betonte, wie besonnen seine Partei in ihrer Reaktion auf den Krieg in der Ukraine gehandelt habe. Die SPD wolle keine Taurus-Marschflugkörper liefern. Dabei bleibe es.

Gleichzeitig betonte Scholz, wie sehr Deutschland der Ukraine mit anderen Waffen und Finanzspritzen geholfen habe. Als weitere Erfolge seiner Regierung zählte er den Bürokratieabbau und die Reformen bei der Migration auf.

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