Donnerstag, Oktober 10

Die Bundesregierung halbiert das Budget für Waffenlieferungen, weil nicht mehr Geld da ist. Doch der Grund dürfte eher der Widerstand der SPD-Fraktion gegen die Ukrainehilfe sein.

Am Freitag hat sich die deutsche Regierung nach monatelangem Ringen auf den Haushalt für das kommende Jahr geeinigt. Selten in der Geschichte Deutschlands hat ein Kabinett so spät im Jahr und nach derart unwürdigem Streit seine Ausgabenpläne vorgelegt.

Einen Tag nach der Bekanntgabe ist klar, wer bei der «Ampel»-Verständigung als Verlierer vom Platz geht. Es ist die Ukraine. Für das ums Überleben kämpfende Land sieht die deutsche Haushaltsplanung für dieses, vor allem aber für das nächste Jahr kein neues Geld mehr vor. Das hat massgeblich mit Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Sozialdemokraten zu tun.

Es ist nicht so, dass Deutschland der Ukraine nun gar keine Militärhilfe mehr leistet. In diesem Jahr stehen 8 Milliarden Euro zur Verfügung, die allerdings bereits weitgehend ausgegeben oder konkret in Aufträgen an die Rüstungsindustrie gebunden sind. Dabei handelt es sich etwa um gepanzerte Fahrzeuge, Kampfpanzer, Ersatzteile und Munition, aber auch um drei Flugabwehrsysteme vom Typ Iris-T einschliesslich der dafür benötigten Lenkflugkörper. Für den Verteidigungskampf der Ukraine ist diese Militärhilfe von enormer Bedeutung.

Andere Länder müssen einspringen

Dennoch hat die Bundesregierung ihre Hilfe für das kommende Jahr halbiert. Dann sollen nur noch 4 Milliarden Euro zur Verfügung stehen – bei einem Gesamthaushalt von 480 Milliarden Euro. Auch diese 4 Milliarden sind grösstenteils bereits fest gebunden. Für die Ukrainer ist das aus zwei Gründen problematisch: Zum einen müssen sie künftig generell mit einer geringeren Militärhilfe aus Deutschland klarkommen. Zum anderen ist diese Hilfe unflexibel.

Sollte die Ukraine im kommenden Jahr durch die Entwicklungen auf dem Gefechtsfeld etwa mehr Bedarf an Lenkflugkörpern für die Flugabwehr haben, wird sie ihn nicht über Deutschland decken können. Für den Fall kurzfristiger Bedarfe müssten andere Länder einspringen. Noch problematischer dürfte es für die Ukraine in den Jahren nach 2026 werden. Die Ampel-Regierung sieht dann Stand jetzt nur noch ein Zehntel der derzeitigen Militärhilfe vor. Allerdings wählt Deutschland 2025 einen neuen Bundestag. Dieser könnte die Pläne dann wieder ändern.

Geht es nach der aktuellen Regierung, ist dies aber gar nicht notwendig. Sie rechnet damit, dass sich die Ukrainehilfe in den kommenden Jahren mit anderem Geld finanzieren lässt. Es handelt sich dabei um einen 50-Milliarden-Kredit der G-7-Staaten an die Ukraine. Er soll sich aus den Erträgen russischer Vermögen finanzieren, die nach dem Überfall im Februar 2022 im Westen beschlagnahmt worden sind.

Hilfe «solange wie nötig»

So hatten es die G-7 auf ihrem Gipfel im Juni in Italien beschlossen und so geht es auch aus einem Schreiben von Finanzminister Christian Lindner an das deutsche Aussen- und Verteidigungsministerium von Anfang August hervor. Dieses Schreiben liegt der NZZ vor. Lindner äussert darin die Erwartung, dass die Ukraine mit diesem Geld «einen wesentlichen Teil ihres militärischen Bedarfs decken wird». Darüber hinaus, so der Finanzminister, habe die Regierung mit ihren Haushaltsplänen «nochmals klar zum Ausdruck gebracht», dass Deutschland die Ukraine «solange wie nötig unterstützen» werde.

Das kann man so sehen. Vier Milliarden Euro sind viel Geld, wenngleich der Vergleich mit dem aktuellen US-Hilfspaket in Höhe von 61 Milliarden Dollar eher bescheiden ausfällt. Doch die Absicht der Bundesregierung, Militärhilfe für die Ukraine künftig mit Zinserträgen aus eingefrorenem russischem Vermögen zu finanzieren, birgt enorme Risiken. Zwar soll das 50-Milliarden-Dollar-Darlehen zunächst zum Grossteil von den USA bereitgestellt werden. Doch der Plan sieht vor, den Kredit dann mit den Zinserträgen aus russischem Staatsvermögen zu tilgen. Es soll sich dabei um mehr als 200 Milliarden Dollar handeln, die von der EU eingefroren wurden.

Diese Pläne sind nicht unumstritten. Kritikern zufolge könnten sich internationale Anleger aus Europa zurückziehen, wenn die EU auf Zufallsgewinne der Banken zugreift, bei denen das russische Vermögen liegt. Im Vorfeld des G-7-Gipfels hatte sich die amerikanische Regierung sogar dafür ausgesprochen, das gesamte eingefrorene russische Guthaben für den Wiederaufbau und die Militärhilfe der Ukraine zu nutzen. Dagegen stellte sich die deutsche Regierung mit dem Argument, dass bei aller moralischer Begründbarkeit dieser Massnahme grundlegende völkerrechtliche Prinzipien wie die Staatsimmunität gewahrt bleiben müssten.

Gibt es einen Plan B?

Unabhängig davon scheint derzeit unklar, wie der Beschluss der G-7 umgesetzt werden soll. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) berichtete am Samstag, in der Bundesregierung sei unklar, wie viel Zeit vergehen werde, bis das Geld fliesse. Der Haushaltsexperte der SPD, Andreas Schwarz, sagte der NZZ, dass aktuell viele Gespräche über den 50-Milliarden-Kredit ohne konkrete Ergebnisse geführt würden. «Die Frage wird sein, wie die Bundesregierung der Ukraine helfen will, wenn der Plan doch nicht aufgeht. Gibt es dann einen Plan B?»

Das scheint insbesondere für Bundeskanzler Scholz derzeit kein Thema zu sein. Laut der FAZ gehe das Kanzleramt fest davon aus, dass der Kredit komme. Mehr Geld für die Ukraine soll es jedenfalls nicht geben. Das bekam unlängst auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius zu spüren. Pistorius, in Umfragen weitaus beliebter als Scholz, wollte der Ukraine in diesem Jahr zusätzliche Militärhilfe im Umfang von gut 4 Milliarden Euro gewähren. Dafür hatte sein Ministerium dem Kanzleramt eine Bedarfsliste der Ukrainer vorgelegt. Bundestagsabgeordneten zufolge seien es nicht zuletzt Scholz und sein Umfeld gewesen, die diese Pläne gestoppt haben.

Es gibt dafür zwei mögliche Erklärungen. Die eine lautet, dass Finanzminister Lindner gegen die Mehrausgaben gewesen sei und Scholz keinen weiteren Konflikt mit ihm wollte. Lindner pocht immer wieder auf Haushaltsdisziplin. Die andere Erklärung hat mit der Situation in der SPD zu tun. Die sozialdemokratische Fraktion im Bundestag mit ihren 207 Abgeordneten wird von Rolf Mützenich geführt und soll zu weiten Teilen auf dessen Linie sein.

Der dem linken SPD-Flügel zugehörige Mützenich hat sich mehrfach gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen und für Verhandlungen mit Russland plädiert. Für seine Aussage, ob es nicht an der Zeit wäre, «dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann», bekam er im Frühjahr anhaltenden Applaus seiner Fraktion. Gut zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland und ein Jahr vor den Bundestagswahlen scheint Scholz immer weniger in der Lage zu sein, seine Partei von der Notwendigkeit einer fortgesetzten umfassenden Hilfe für die Ukraine überzeugen zu können.

Namentliche Abstimmung angekündigt

Für die oppositionelle Union sind Scholz und seine Regierung damit endgültig an ihrer «vollmundigen Ankündigung» gescheitert, der Ukraine solange wie nötig zu helfen. So sagt es der stellvertretende Fraktionschef und aussenpolitische Experte Johann Wadephul. Er kündigt an, die Bundestagsabstimmung über den Haushalt 2025 zur «Stunde der Wahrheit für die Ampel in der Ukraine-Frage» zu machen. «Wir werden der Koalition eine namentlich Abstimmung zu den Militärhilfen für die Ukraine nicht ersparen können», sagt Wadephul.

Das bedeutet, dass sich auch die Abgeordneten von Grünen und Liberalen persönlich positionieren müssen. Sie hatten wiederholt Kritik an der ihrer Ansicht nach zögerlichen Haltung von Scholz bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine geäussert. Besonders augenscheinlich war dies bei der Debatte um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern geworden. Beide Regierungsfraktionen hatten sich dafür ausgesprochen, diese Waffen der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Als darüber jedoch im Bundestag abgestimmt wurde, stellten sie sich mehrheitlich an die Seite von Scholz und der SPD.

Am Freitag hat der deutsche Kanzler ein Schreiben an die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion verschickt. Darin informierte er über die Ergebnisse der Haushaltsverhandlungen mit den Grünen und der FDP. Am Ende des Textes machte Scholz deutlich, wer offenkundig am Haushalt entscheidend mitgewirkt hat. «Ich danke insbesondere Rolf (Mützenich; Anm. d.Red.) und den beiden Parteivorsitzenden für die enge Abstimmung und Beratung während der Verhandlungen mit unseren Koalitionspartnern in der Regierung», schrieb Scholz.

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