Die Diversity-Kriterien in der städtischen Kulturpolitik sorgen für Irritation.

Thomas Mann hätte dieses Jahr seinen 150. Geburtstag gefeiert. Zu Ehren des deutschen Schriftstellers mit ausgeprägtem Schweiz-Bezug – er lebte in Küsnacht, Erlenbach und Kilchberg – plante eine Zürcher Theatergruppe eine szenische Würdigung. Für die Inszenierung beantragte sie Fördergelder von der Stadt Zürich. 30 000 Franken wollte sie für eine Neuinterpretation von Manns «Mario und der Zauberer».

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Doch die städtische Kulturabteilung lehnte das Gesuch ab. Das ist ihr gutes Recht, schliesslich verteilt sie Steuergelder und sollte sorgsam damit umgehen. Stutzig macht die Begründung des Entscheids, über die die Tamedia-Zeitungen berichteten und die auch der NZZ vorliegt.

Qualitativ genüge das Konzept nicht, urteilte eine mehrköpfige Fachkommission. Unter anderem wegen der geplanten Besetzung des Stücks. Wörtlich heisst es: «Basierend auf dem eingereichten Gesuch erachtet die Kommission den Versuch, die Mechanismen der Herabsetzung von Minderheiten durch die Rolle des Performers von einer von der Kommission als white passing cis-Mann gelesenen Person erklären zu lassen, als nicht überzeugend.»

Übersetzt ins Deutsche: Die Kommission kritisiert, dass die Figur des Erzählers im Stück von einem weissen Mann hätte gespielt werden sollen.

Mit «white passing», so schreibt es die Stadt, sei gemeint, dass eine Person «als weiss gelesen wird». Wobei mit «weiss» – um die Sache noch komplizierter zu machen – die Positionierung und soziale Zuschreibung als «weiss» in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft gemeint sei. Ein «cis-Mann» ist gemäss Definition der städtischen Theaterbeauftragten eine Person, die bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugewiesen wurde und sich auch als Mann identifiziert.

FDP will es genauer wissen

Die Begründung wirft Fragen auf. Fragen, die nun ein politisches Nachspiel haben. Die FDP hat im Stadtparlament eine Anfrage eingereicht. Sie will vom Stadtrat und von der für Kultur zuständigen Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) wissen, nach welchen Kriterien die Förderbeiträge verteilt würden und wie die Fachkommission arbeite. Konkret fragen die Freisinnigen: «Ist es Aufgabe einer Kommission, die Besetzung einer Rolle anhand von Kriterien wie Hautfarbe, Geschlecht und Identität zu beurteilen?»

Den Tamedia-Zeitungen teilt die Stadt mit, dass man keine Stellung zu einzelnen Fördergesuchen nehme, weil diese nicht öffentlich seien. Ablehnende Entscheide erfolgten aber «aufgrund der inhaltlichen Überprüfung der transparent kommunizierten Kriterien». Ein Sprecher Mauchs schreibt: «Die Besetzung einer Rolle kann dabei durchaus in die Beurteilung mit einfliessen.»

Die Vergabe von Kulturgeldern anhand von Diversity-Merkmalen sorgt in Zürich immer wieder für Kritik. So bemängelte eine Jury vor anderthalb Jahren etwa die fehlende «gendergerechte Sprache» im Kleintheater Keller 62.

In der NZZ sagte der mittlerweile 95-jährige Schwulenaktivist Ernst Ostertag, der dem Keller 62 verbunden ist: «Wenn gendergerechte Sprache zum Kriterium für Subventionen wird, hat das höchst fragwürdige, geradezu diktatorische Züge.» Diversity sei im Keller 62 schon gelebt worden, als es den Begriff noch gar nicht gegeben habe.

Theaterleute kritisieren Bürokratie

Andere Theaterleute wie Daniel Rohr, der das Theater Rigiblick seit zwanzig Jahren erfolgreich und mit wenig Subventionen führt, kritisieren die städtische Förderpraxis grundsätzlich: «Je mehr Publikum man anzieht, desto weniger Fördergelder gibt es», sagte Rohr in einem NZZ-Interview. Das seien falsche Anreize. Hinter vorgehaltener Hand werde in der Szene zudem immer wieder gesagt, dass die Jurys in der Stadt Zürich nur eine B-Besetzung hätten, weil die «schweren Kaliber» gar keine Zeit hätten, seitenweise Konzepte zu lesen.

Christian Jott Jenny, auch er ein umtriebiger Theatermacher, hält die Kulturpolitik in Zürich für «überbürokratisiert und übertechnokratisiert», wie er der NZZ sagte. Es würden luftige Leitbilder, Gutachten und Studien produziert, aber es fehlten echte Macher mit Bühnenerfahrung. «Stattdessen entscheiden studierte Kulturmanager über Dinge, von denen sie wenig Ahnung haben.»

Jenny schlägt eine «radikale Vereinfachung» vor. Als Vorbild könnten die nordischen Staaten dienen. Dort verfügt ein für eine gewisse Zeit ernannter Intendant über ein Budget, das er unbürokratisch für Projekte einsetzen kann. So brauchte es nicht für jeden Antrag zig Kommissionssitzungen.

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