Montag, September 30

Eigentlich will Stadträtin Simone Brander den Baumbestand erweitern. Doch nun sollen beim Central 100 Jahre alte Bäume weichen. Der Widerstand ist gross: 150 Einsprachen sind eingegangen.

Ein Viertel der Zürcher Stadtfläche soll bis 2050 durch Bäume beschattet werden, lautet das Ziel der Stadt Zürich zur Hitzeminderung. Dies steht in starkem Kontrast zu einer kürzlich getroffenen Entscheidung der Stadt. Ende Juni gab sie bekannt, 63 der 67 Kastanienbäume am Neumühlequai entlang der Limmat zu fällen. Einige sind über 100 Jahre alt.

Der Grund für die Massnahme liegt in den geplanten Bauarbeiten für einen zusätzlichen Wasserkanal. Dieser soll von der Wasserwerkstrasse über die Stampfenbachstrasse hin zum Seilergraben verlaufen, schreibt das städtische Tiefbau- und Entsorgungsdepartement. Um während den Bauarbeiten die Rettungseinsätze der Sanitätsstation am Neumühlequai durchgehend gewährleisten zu können, und Konflikte mit den Baufahrzeugen zu vermeiden, brauche es eine provisorische Fahrspur. Dieser müssen die Kastanienbäume und das Trottoir mehrheitlich weichen.

Die Stadt habe verschiedene Optionen geprüft, die Bäume zu erhalten. Eine Variante sei die Doppelnutzung der Baupiste, schreibt Helen Berg, Leiterin der Kommunikationsabteilung des Tiefbauamtes. Dies würde aber dazu führen, dass täglich zwischen 6 und 18 Uhr etwa 20 Rettungsfahrzeuge die Baustelle passieren würden. Das erfordere eine andere Bauweise, da nicht mit Fertigteilen gearbeitet werden könne, was wegen des höheren Verbrauchs von Beton und Stahl den CO2-Ausstoss erhöhe.

Die Bauzeit würde sich von 50 auf 115 Wochen verlängern und koste zwei bis drei Millionen Franken mehr, schreibt Berg.

Gefällte Bäume sollen durch neue ersetzt werden

Der Widerspruch zwischen den städtischen Zielen zur Hitzeminderung und dem aktuellen Vorhaben bleibt unübersehbar. Erst letztes Jahr verkündete die SP-Stadträtin und Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements Simone Brander, den Anteil der Baumkronen bis 2050 von 15 auf 25 Prozent erhöhen zu wollen.

Doch immer weniger Bäume wachsen auf dem Stadtboden: Zwischen 2018 und 2022 nahm die Schattenfläche in Zürich um 64 Hektaren ab. Das entspricht rund 90 Fussballfeldern. Trotzdem plant die Stadt, eine gesamte Baumreihe an prominenter Lage zu opfern.

Die Stadt argumentiert, dass viele der bestehenden Kastanienbäume in einem schlechten Zustand seien oder das Ende ihres Lebensalters erreicht hätten. Zudem seien die Baumscheiben, also die Flächen um die Baumstämme herum, zu klein und der Wurzelraum biete nach den heutigen Standards zu wenig Platz, damit die Bäume gesund bleiben und gut wachsen könnten.

Die gefällten Kastanienbäume würden nach den Arbeiten durch neue, widerstandsfähigere Arten ersetzt. Zusätzlich soll die Baumreihe um 13 neue Exemplare erweitert werden.

Dank der besseren Wachstumsbedingungen sollten die neuen Bäume in rund 20 bis 30 Jahren die gleiche Grösse und den gleichen Kronenumfang wie die heutigen erreichen, schreibt Helen Berg vom Tiefbauamt. Dies sei jedoch eine grobe Schätzung und könne je nach Standort und Baumart variieren.

Politiker wehren sich

Der Entscheid der Stadt wird stark kritisiert. Aktivistische Vereine wie Klimastadt Zürich oder Stadtgrün sowie die IG-Baumfreunde starteten im Juli eine Petition, um die Fällung der Bäume zu verhindern. Inzwischen haben über 11 400 Personen unterschrieben. Bis zum Ziel fehlen noch 3 600.

Denn nachgepflanzte Bäume benötigten Jahrzehnte, um den ökologischen Nutzen der alten Kastanien zu erreichen, schreibt der Verein Klimastadt Zürich. Kastanien könnten bis zu 300 Jahre alt werden. Selbst wenn einige der 63 Bäume am Neumühlequai geschwächt seien, rechtfertige dies nicht die Fällung der gesamten Baumreihe. «Dass einzelne Bäume durch hitzeresistente Arten ersetzt werden, ist zwar sinnvoll, sollte aber schrittweise über Jahre hinweg erfolgen», schreibt der Geschäftsleiter von Klimastadt Zürich, Markus Keller, auf Anfrage.

Keller schlägt stattdessen vor, die Verkehrsführung der Sanität zu ändern. Eine Option sei, die ruhigere Walchestrasse zu nutzen. Alternativ könnten Einsatzfahrzeuge vorübergehend am Walcheplatz stationiert werden. Andernfalls könnte die Ambulanz über den bestehenden Rad- und Fussgängerweg, der auf der Limmatseite mit einer provisorischen Rampe verbreitert würde, zur Walchetreppe geleitet werden. Auch für den geplanten Kanalbau hat Keller einen Vorschlag: Er plädiert für eine unterirdische Bauweise. So bliebe die Oberfläche unberührt und die Bäume könnten stehen bleiben.

Widerstand gegen das Vorhaben der Stadt zeigt sich auch in der Politik. Die Gemeinderatsmitglieder Matthias Renggli (SP), Markus Knauss (Grüne) und Anna Graff (SP) haben eine schriftliche Anfrage beim Stadtrat eingereicht. Darin fordern sie genaue Antworten rund um die Fällung der grosskronigen Rosskastanien, unter anderem zum Zustand der Bäume, zu möglichen Verzögerungen des Bauprojekts oder der Vereinbarkeit der Fällung mit den städtischen Klimazielen sowie der Strategie zur Erhöhung des Baumbestands.

FDP-Gemeinderat Andreas Egli bedauert die Rodung der Bäume ebenfalls, wie er auf Anfrage sagt. Er kann den Entscheid der Stadt aber nachvollziehen. Egli bezeichnet die Situation als eine «schwierige Sache», zu der es keine vernünftigen Alternativen gebe. Die Stadt habe eine umfassende Prüfung und Interessenabwägung vorgenommen. Das Ergebnis sei offenbar eindeutig. Und: «Viele der Bäume befinden sich bereits heute in einem schlechten gesundheitlichen Zustand, weil der Wurzelraum zu klein ist. Sie müssten in den nächsten Jahren ohnehin ersetzt werden.»

Gutachten zeigt: Ein Drittel der Bäume ist in schlechtem Zustand

Das bestätigt ein Baumgutachten aus dem Jahr 2022, das der NZZ vorliegt. Das Gesuch wurde vom Tiefbauamt in Auftrag gegeben und vom Baumbüro in Albisrieden durchgeführt. Dieses untersuchte 65 Rosskastanien entlang des Neumühlequais im Detail.

Laut dem Gutachten sind zehn Bäume aufgrund von Schädlingen, Blatt- und Wurzelverlust in einem so schlechten Zustand, dass sie ohnehin gefällt werden müssen. 16 Bäume werden nur einige Jahre überleben, 21 Bäume mittelfristig. Die übrigen 18 Exemplare sind hingegen gesund und wären auch in mehr als zehn Jahren noch vital.

Ein Drittel der alten Bäume könne somit schon jetzt als «stark geschädigt bis absterbend» bezeichnet werden, heisst es im Gutachten. Der Bestand habe sich innerhalb der letzten fünf Jahre deutlich verschlechtert. Es sei davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren noch mehr Bäume absterben dürften, gerade wenn es länger anhaltende heisse und trockene Witterungsperioden gebe.

Den Vorschlag Kellers, die Sanität umzuleiten, lehnt Egli ab. «Gerade im Bereich der Blaulichtorganisationen riskiert man schnell, dass zusätzliche Fahrminuten tödlich sein könnten.»

Der Zeitplan für das Vorhaben der Stadt, die Bäume zu fällen, ist langfristig angelegt: Die Bauarbeiten sollen frühestens 2028 beginnen. Laut dem Tiefbauamt der Stadt Zürich sind inzwischen 150 Einwendungen eingegangen, die von der Stadt geprüft und beurteilt werden. Erreicht die Petition ihr Ziel, wird sie am 11. September vor dem Stadthaus übergeben. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Gegenseite den Entscheid der Stadt tatsächlich kippen wird.

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