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Wie ein Kind aus einer Arbeiterfamilie zum Prototyp des modernen Fussballers und zur globalen Marke geworden ist.

Alles, was David Beckham anfasst, wird zu flüssigem Gold. So jedenfalls inszeniert ihn der Regisseur Fisher Stevens in der 2023 erschienenen Netflix-Dokumentation «Beckham».

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In einer Szene begleitet das Filmteam den ehemaligen Fussballer auf seinem riesigen Anwesen im Süden Englands. Beckham ist nun unter anderem Bienenzüchter, aber modisch gekleidet wie eh. Er eilt von Brutschrank zu Brutschrank. Und schöpft den Honig ab.

Alles an Beckham wirkt mühelos schön, clean, cool. Wie früher auf dem Rasen. Aber Beckham inmitten von Bienen – das Bild ist noch auf eine andere Weise sinnfällig, es verweist auf seine vielleicht wichtigste Eigenschaft: Hartnäckigkeit. Ihr verdankt der Engländer seinen Erfolg als Fussballer wie als Geschäftsmann. «Becks» war stets ein fleissiger Arbeiter. Wie die Bienen. Er trotzte allen Widerständen.

Dabei hätte Beckham schon früh in seiner Karriere zerbrechen können.

Der Buhmann der Nation

Ein erstes Mal nach der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich. Im Achtelfinal gegen Argentinien flog er nach einer Tätlichkeit gegen Diego Simeone vom Platz, England schied im Penaltyschiessen aus. Der Sündenbock war schnell gefunden: Der Nationaltrainer Glenn Hoddle gab Beckham die Schuld an der Niederlage, die Boulevardmedien lancierten eine beispiellose Kampagne gegen ihn. Die Fans stellten einen Galgen mit einer Puppe von ihm auf, schickten Morddrohungen. Monatelang wurde er in Englands Stadien gnadenlos ausgepfiffen. Mit 23 Jahren war Beckham der Buhmann der Nation.

In der Netflix-Doku sagt Beckhams Frau Victoria, David sei damals «klinisch depressiv» gewesen. Doch er liess sich nicht unterkriegen. In jener Zeit half ihm Alex Ferguson, sein Trainer bei Manchester United. Er hatte Beckham mit 15 Jahren in die Jugendakademie des englischen Rekordmeisters gelotst. Nach dem frühen Wegzug aus dem Elternhaus wurde der Schotte für «Becks» zum wichtigen Förderer und Mentor, einem «zweiten Vater», wie Beckham wiederholt betonte.

Mit seiner autoritären, aber fürsorglichen Art glich Ferguson Beckhams leiblichem Vater. Ted Beckham hatte seinen Junior im Garten einst Tausende Pässe schlagen lassen, damit er zu dem würde, was ihm als Fan von Manchester United verwehrt blieb: Fussballprofi bei seinem Lieblingsverein.

Dass David mit 17 Jahren tatsächlich für Manchester United debütierte, hatte viel mit dem väterlichen Drang nach Perfektion zu tun; der Sohn hatte ihn da längst verinnerlicht. Ferguson belohnte Beckhams Fleiss, indem er ihn rasch zum Stammspieler beförderte. Unter ihm reifte der Mittelfeldspieler zum Spezialisten für Flanken, gezirkelte Freistösse und Flügelwechsel über 60 Meter. Und zum Nationalspieler Englands.

Beckhams Aufstieg verlief rasant, mit ihm wurde Manchester United zur besten Mannschaft Europas: In der Saison 1998/1999 gewann Fergusons Team das Triple aus Meisterschaft, FA-Cup und Königsklasse. Im legendären Champions-League-Final von Barcelona triumphierte ManU 2:1 gegen den FC Bayern – nach zwei Beckham-Eckbällen in der Nachspielzeit.

Die Liebe bugsiert Beckham in den Boulevard

1997 lernte Beckham das «Spice Girl» Victoria Adams kennen. Der Fussballer war damals ein aufstrebendes Talent, Adams mit ihrer Band auf dem Höhepunkt der Musikkarriere. Durch die Beziehung mit «Posh Spice» wurde Beckham zum Pop-Star, er und seine Partnerin wurden zum Dauerthema im britischen Boulevard. Die beiden heirateten 1999 und gaben seither die Schablone für alle späteren Fussball-Showbiz-Paare ab. Keines erreichte nur annähernd den Glamour von «Posh & Becks».

Der Rummel um das Ehepaar nahm stetig zu. Anfangs beschützte Ferguson seinen Spieler noch. Doch dessen Verpflichtungen neben dem Fussballfeld verärgerten ihn zunehmend. Ferguson ordnete alles dem Teamgedanken unter; Beckham wurde mit jeder Saison exzentrischer.

Er hatte ständig neue Haarschnitte, trug extravagante Klamotten, modelte für Herrenunterwäsche, liess sich die Fingernägel lackieren und tätowierte den ganzen Körper. In den frühen 2000er Jahren prägte Beckham eine neue Art von Männlichkeit, die Medien feierten ihn als ersten «metrosexuellen» Mann. Er avancierte zum Stilvorbild einer ganzen Generation und zum Prototyp des modernen Fussballers, der über den Teamspieler hinaus zur eigenen Marke wird.

In der ManU-Kabine eckte er damit an. Ferguson sagt in der Netflix-Doku: «Beckham veränderte sich. Dass er ein Promi wurde, war nicht das, was ich wollte.» Der Spieler sah seinen Wandel pragmatischer. Er habe einfach schon früh verstanden, dass seine Karriere als Fussballprofi irgendwann enden würde und er für die Zeit danach vorsorgen müsse. Diesem Ziel ordnete Beckham alles unter, er wurde in Manchester nicht nur zum Fussballstar, sondern vor allem zum Model, Werbebotschafter – und Promoter in eigener Sache. Doch das führte 2003 zum Bruch mit ManU, seiner grossen fussballerischen Liebe.

Nach einer Niederlage kickte Ferguson einen Schuh durch die Kabine – der traf Beckham am Kopf. Der Spieler wollte auf den Trainer losgehen, Teamkollegen hielten ihn zurück. Nach dem Zerwürfnis ordnete Ferguson den Verkauf der Nummer sieben an. Beckham sagte später, er habe Manchester United nie verlassen wollen und den Verein darum gebeten, bleiben zu dürfen. Vergeblich. Ferguson verschmähte ihn. Weil Beckham, der exzentrische Individualist, grösser als das Team geworden war.

Auch daran hätte er zerbrechen können. Doch erneut fand Beckham einen Umgang mit der verwehrten Anerkennung – er wechselte zu Real Madrid.

In Madrid wird Beckham zum «Galaktischen» – und hat private Probleme

Im Staraufgebot der Königlichen war er allerdings nur einer von vielen. Auf dem Platz hatten sie kaum Verwendung für den Beau, auf seiner Position spielte bereits Luis Figo.

Fussballerisch hatte Beckham, damals 28, den Zenit bereits überschritten. Der mediale Fokus richtete sich nun stärker auf Beckhams Lifestyle als auf dessen Leistungen auf dem Rasen. Klatschblätter berichteten über Affären. Die Medien stellten die Ehe mit Victoria öffentlich infrage, spekulierten über eine Trennung. Für die Beckhams wurde die Zeit in Madrid immer belastender, zumal Paparazzi jede Bewegung von ihnen verfolgten. Victoria fühlte sich nie wohl in Spanien und blieb mit den Kindern, so oft es ging, in England.

Hinzu kam, dass Beckham mit Real nur mässigen Erfolg hatte. Der Klub wirkte Mitte der nuller Jahre saturiert, befand sich im Abschwung. Der einzige bedeutende Titel, den Beckham in seinen vier Jahren in Madrid errang, war die spanische Meisterschaft 2007.

Dennoch war die Liaison für beide Parteien eine kluge Partnerschaft: Beckham profitierte von der enormen Popularität und Reichweite des grössten Fussballklubs der Welt, Real von der Vermarktung eines weiteren «Galaktischen». Die Transferkosten von rund 35 Millionen Euro spielte der Klub allein durch den Verkauf von Beckham-Trikots sowie mit Touren durch Asien und die USA wieder ein. Dort kamen viele Fans nur wegen «Becks» ins Stadion, des ersten Pop-Superstars des Fussballs.

Ab nach Hollywood – unterwegs in unternehmerischer Mission

Doch im Januar 2007 erlebte er auch in Madrid Liebesentzug. Damals gab Beckham bekannt, dass er im Sommer, nach Ablauf seines Vertrages in Madrid, zu Los Angeles Galaxy in die Major League Soccer (MLS) wechseln würde. In Kalifornien erhielt er einen Fünfjahresvertrag, der ihm 250 Millionen Dollar einbrachte.

In Europa wurde sein Entscheid kritisiert. Zu jenem Zeitpunkt gingen Spitzenspieler aus den europäischen Top-Ligen kaum in die USA – schon gar nicht mit Anfang 30. Fabio Capello, sein Trainer bei Real, sagte im Januar 2007 mit Blick auf die letzten gemeinsamen Monate: «Beckham wird nicht mehr für uns spielen, nur noch trainieren.»

Doch der blieb einmal mehr hartnäckig. Schon kurz nach der öffentlichen Degradierung war Beckham wieder Stammspieler, nach der Saison verabschiedete er sich versöhnlich nach Hollywood.

Das fünfjährige Abenteuer in den USA wagte Beckham ebenso wenig aus sportlichen Gründen wie die kurzen Gastspiele bei der AC Milan (2009 und 2010) und Paris Saint-Germain, wo er die Profi-Karriere 2013 beendete. Vielmehr befand er sich in Übersee auf einer unternehmerischen Mission: Beckhams Ankunft löste in den USA eine nie gesehene Fussball-Euphorie aus, er gilt bis heute als Schlüsselfigur für den Aufschwung der amerikanischen Liga. Später folgten ihm weitere Stars wie Zlatan Ibrahimovic, Thierry Henry oder Lionel Messi.

Mit dem Engagement bei Los Angeles Galaxy sicherte sich Beckham die Option, später zu einem stark reduzierten Preis ein eigenes MLS-Team zu gründen. 2018 setzte er das Vorhaben mit Inter Miami in die Tat um. Der Verein ist heute einer der prominentesten MLS-Klubs, beschäftigt Altstars wie Messi, Luis Suarez, Sergio Busquets und Jordi Alba. 2023 sagte Beckham zu seiner Rolle als Miteigentümer von Inter Miami: «Es war eine Reise voller Höhen und Tiefen, aber ich bin stolz, wie es sich entwickelt hat. Wir haben den Fussball in den USA verändert.»

Ein Lebensziel bleibt noch

Eine unstete Reise erlebte Beckham auch privat. Die Affären in Madrid belasteten die Familie mit den vier Kindern ebenso wie die vielen Wohnortswechsel. Die Ehe hielt trotzdem bis heute. «Wir sind Kämpfer», sagt Beckham in der Netflix-Doku über sich und Victoria.

Mittlerweile ist Beckham längst ein erfolgreicher Unternehmer und eine Stilikone. Er hat einen lebenslangen Vertrag mit Adidas, wirbt für Pepsi, H&M, Boss, Gillette und Maserati. «Ich habe das Glück, dass ich im Fussball berühmt wurde, aber ich wollte daraus etwas Langfristiges machen», sagte er einst.

Aus dem Jungen aus einer englischen Arbeiterfamilie ist eine globale Marke geworden.

Nur ein Lebensziel hat Beckham noch nicht erreicht: König Charles III. soll ihn eines Tages zum Sir schlagen. Doch dafür bleibt noch Zeit. Am Freitag feiert David Beckham seinen 50. Geburtstag.

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