Am Montag und am Dienstag finden die Hearings der Parteien statt. Im Vorfeld bemühen sich beide Kandidaten um ein neues Profil. Bei der Beurteilung der Probleme im Verteidigungsministerium sind sie sich hingegen weitgehend einig.
Martin Pfister ist ein zurückhaltender Mann, ein Historiker. Die Geschichtswissenschaften sind ein sicherer Ort für Menschen, die sich nicht gerne exponieren. Die Gegenwart ist, wie der Eklat um Selenski im Weissen Haus gezeigt hat, unberechenbar. Die Vergangenheit hat den Vorteil, dass sie bereits hinter uns liegt.
Doch Pfister ist nicht nur Geschichtswissenschafter, er ist auch amtierender Regierungsrat und Oberst in der Armee. Er weiss, dass im Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) keine Historienforschung gefragt ist.
In erster Linie muss der Laden aufgeräumt werden. Seit Viola Amherd ihren Rücktritt als Verteidigungsministerin angekündigt hat, verging kaum ein Tag ohne neue Enthüllungen: Der Chef der Armee, Thomas Süssli, will auch gehen, Christian Dussey, der glücklose Direktor des zahnlosen Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), ebenfalls. In der Ruag zog ein Kadermitglied unbemerkt ein System der Selbstbereicherung auf, und zwischen dem Finanzdepartement der FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter und dem VBS kriselt es.
Seit Tagen decken Vertraute des einen wie des andern Lagers die jeweilige Gegenseite mit Beschuldigungen und Verdächtigungen ein. Neueste Enthüllung: Im Sommer beauftragte das VBS eine Zürcher Anwaltskanzlei mit einer Administrativuntersuchung. Sie sollte zeigen, ob der Armeechef Süssli von Indiskretionen im Zusammenhang mit dem von Finanzministerin Karin Keller-Sutter angekündigten Sparpaket wusste. Süssli wurde entlastet, das gegenseitige Misstrauen blieb.
Martin Pfister: «Ich bin eine Alternative zu Markus Ritter»
Mehr Unruhe ist fast nicht denkbar, und deshalb macht Martin Pfister das, was ihm seine Berater geraten haben: Er zeigt Kante. In einem Interview mit der NZZ sagte er am Freitag: «Ich habe realistische Chancen. Ich bin eine Alternative zu Markus Ritter, denn ich habe Regierungs- und militärische Führungserfahrung.» Zwei Tage später legte er im «Sonntags-Blick» noch einmal nach und präsentierte einen Drei-Punkte-Plan zur Reorganisation des VBS.
Pfisters Drei-Punkte-Plan für das VBS
- Die Sicherheitslage braucht eine Gesamtsicht, die der Bundesrat definiert. Sie muss eine verbindliche Perspektive schaffen und die Prioritäten neu setzen. Damit wären die politischen Leitlinien für die dringliche Weiterentwicklung der Armee gegeben.
- Es muss Ruhe und Vertrauen geschaffen werden. Die Vorfälle müssen alle lückenlos aufgeklärt, die entsprechenden Lehren gezogen und Massnahmen getroffen werden. Gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit muss grösste Transparenz geschaffen werden. Die Projekte, die in Schieflage sind, müssen aufgearbeitet und korrigiert werden.
- Es braucht strukturelle Veränderungen. Das VBS muss besser aufgestellt werden.
Und Markus Ritter? Der Rheintaler Meisterlandwirt und Wirtschaftsingenieur ist das Gegenteil eines Historikers. Mehr in der Gegenwart verankert als der 57-jährige langjährige Nationalrat kann man kaum sein. Als Präsident des Bauernverbandes verantwortete er mit dem Abwehrkampf gegen die zwei Agrarinitiativen von 2021 die erfolgreichste bürgerliche Politkampagne seit Jahren.
Als Kollateralschaden resultierte ein Nein zum CO2-Gesetz, über das gleichzeitig abgestimmt wurde. Obwohl der Bauernverband die Ja-Parole zum Klimagesetz beschlossen hatte, schadete Ritter die verlorene Abstimmung nicht. Im Gegenteil: Weil der Bauernverband eine Art natürliches politisches Gegengewicht zum erfolgreichen Schweizerischen Gewerkschaftsbund bildet, erhielt Ritter ein Angebot der grossen Wirtschaftsdachverbände, die eine langfristige «strategische Partnerschaft» zum Ziel hat.
Ritter, der grosse «Deal-Maker»
Spätestens seit dem Ja zu einer 13. AHV-Rente zeigt der Pakt allerdings Risse. Ritter hatte versprochen, die Bauernfamilien von einem Nein zu überzeugen. Das gelang nicht. In Landwirtschaftskreisen überwogen die Sympathien für den Sozialausbau deutlich.
Unter der Bundeshauskuppel gilt Markus Ritter als grosser «Deal-Maker». Sein Einfluss ist gross, das Misstrauen ihm gegenüber ebenfalls. Den Grünen ist Ritter in ökologischen Fragen zu konservativ, die SP hat nicht vergessen, dass Ritter 2023 gegen den damaligen Bundesratskandidaten Jon Pult lobbyierte.
Ritter, der so schnell redet, wie er denkt, weiss, dass er in der Bundesversammlung nicht nur gute Karten hat. In der SVP hat er zwar viele Unterstützer, aber in der FDP und der eigenen Mitte-Fraktion sieht es anders aus. Der Freisinn will nicht noch einen Bauernvertreter in der Landesregierung, und in der Mitte hat sich Ritter mit seiner direkten Art nicht nur Freundinnen gemacht.
Während sein Mitbewerber aus der Zentralschweiz rhetorisch aufdreht, macht Ritter auf Anraten seines Spin-Doctor Lorenz Furrer das Gegenteil. Er passt seine Rhetorik an. In der «Weltwoche» gab er kurz nach seiner Nomination noch den markigen Macher, der für sein Heimatland sterben würde. Inhaltlich machte er klar, dass er von einer solidarischen Neutralität, wie sie Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis vorschwebt, wenig hält.
Wörtlich sagte er: «Als neutraler Kleinstaat müssen wir darauf achten, auf Distanz zu bleiben und nicht zwischen die grossen Blöcke zu geraten. (. . .) Wir erleben gerade einen Bruder-Klaus-Moment. Das gilt nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich. Schauen Sie sich um: Die Entwicklungen in der EU machen mir grosse Sorgen.»
Drei Wochen später tönt er deutlich vorsichtiger. In der NZZ sagte er zur Frage der Neutralität: «Wir sind ein kleines, neutrales Land, und wir bieten überall unsere Guten Dienste an. Aber in solchen Diskussionen können wir nicht viel gewinnen. Wir sind zwar wirtschaftlich relativ stark und ein Land, das respektiert wird. Aber in einen kommunikativen Konflikt sollten wir uns nicht begeben.»
Über die Europäische Union äussert er sich so: «Die EU hat Probleme, beispielsweise mit der Bürokratie. Einige Staaten haben zurzeit auch keine stabilen politischen Mehrheiten. Es ist wichtig, dass wir diskutieren können, aber ich bin grundsätzlich für ein gutes Verhältnis zur EU. Sie ist unser wichtigster Handelspartner. Wir brauchen deshalb eine Vertrauenskultur.»
Inhaltlich sagt er dasselbe, aber er sagt es zurückhaltender; wenn man so will: magistraler.
Und wie will er die Probleme im VBS und in der Armee angehen? Auch hier geht Ritter sprachlich vom Gas. Seine Forderungen entsprechen zwar weitgehend dem Drei-Punkte-Plan Pfisters, aber Ritter formuliert auch hier bedacht.
So will Markus Pfister das VBS aufräumen
- Der Bundesrat muss eine Gesamtstrategie für die Wiederaufrüstung der Armee präsentieren. Dazu sollen die verschiedenen Bedrohungsszenarien nach Wahrscheinlichkeit gewichtet werden.
- Ich würde mich jede Woche mit jedem Chefbeamten austauschen, bis alle Probleme ans Licht gekommen sind und wir Lösungen haben. Dazu kommt das Politische: Bis zum Sommer muss die rüstungspolitische Strategie im Bundesrat auf den Tisch kommen, bis im Herbst die sicherheitspolitische Strategie.
- Man muss sich auf ein Zielbild einer verteidigungsfähigen Armee einigen. Die Armeestrukturen müssen neu definiert werden.
Wer die besseren Karten hat, werden die Hearings der Bundeshausfraktionen zeigen, die am Montag beginnen und bis Dienstag dauern. Angesichts der vielen Enthüllungen und Entwicklungen, die in den vergangenen Tagen an die Öffentlichkeit drangen, müssen die beiden Kandidaten in erster Linie beweisen, dass sie führungsfähig und auch -willig sind. Weiter werden sie ihre Vorstellungen für eine Neustrukturierung im VBS und ihre Ideen für eine wehrfähige Armee vorstellen müssen. Zudem geht es bei Hearings immer auch um die Kompetenz in den wichtigsten politischen Dossiers und um den persönlichen Auftritt. Wie wirken die Kandidaten? Freundlich oder distanziert? Selbstbewusst oder bescheiden? Und nicht zuletzt: Wie gut sind die Fremdsprachenkenntnisse?
Die Hearings haben schon über manche Politkarriere entschieden. So stolperte die SP-Favoritin Eva Herzog bei den Wahlen 2022 an ihrer auf den ersten Blick strengen Art. Elisabeth Baume-Schneider wirkte zugänglicher und eroberte damit prompt die Herzen vieler SVP-Politiker.
Wer neuer Verteidigungsminister wird, entscheidet sich am Tag der Ersatzwahl am 12. März. Dass noch ein Sprengkandidat nominiert wird, erscheint heute unwahrscheinlich. Die meisten Parteien haben zu viel zu verlieren, wenn sie sich nicht ans Drehbuch halten. Die Bundesversammlung wird sich zwischen dem noch weitgehend unbekannten Martin Pfister und dem in Bern schon fast notorischen Markus Ritter entscheiden müssen.