Sonntag, Dezember 1

Die erneut aufkommenden Ängste vor einer US-Regionalbankenkrise spiegeln sich im Gegensatz zu 2023 nicht in den Bankenindizes. Im Gegenteil: Financials zählen mit Industrie und Technologie zu den stärksten Sektoren.

Die letzte Konsolidierung des MSCI Welt dauerte von Anfang August bis Ende Oktober 2023 und «kostete» den Weltaktienindex vorübergehend 10,8%. Seither ist er um 24% gestiegen und steht 11% über dem Stand bei Konsolidierungsbeginn.

Ein derartiger Zuwachs für einen so breit aufgestellten Index in rund sechs Monaten ist viel. Aber nicht beunruhigend viel, weil die sogenannten «internen Daten» sehr gut sind: Es gibt Unterschiede in der Entwicklung der Sektoren und der Industrien, die immer wieder konsolidieren. Gleichzeitig erfasste der Kaufwille auch schwächer gewesene Industrien. Diese kleine Rotation hat dafür gesorgt, dass auf der aggregierten Ebene des MSCI Welt seit November kein einziger Monat im Minus endete.

Die drei besten Sektoren sind immer noch Financials, Industrials und Information Technology. Langsam scheinen die Bullen in Materials die Oberhand zu gewinnen. Steigende Kurse weist auch Health Care auf. Relativ zum MSCI Welt bleibt dieser Sektor bisher aber schwach. Die neuere Kursdynamik signalisiert jedoch eine Abnahme der relativen Schwäche, was ein Vorbote für eine Erholung des Sektors relativ zum MSCI Welt ist.

Es gibt nur einen Sektor, in dem die Perlen sehr dünn gesät sind, und das ist Utilities. Ein weiterer Sektor, in dem sie selten anzutreffen sind, ist Consumer Staples. Das bedeutet, dass der Markt die vielfach empfohlene Bevorzugung defensiver Sektoren nicht honoriert.

Gerne möchte ich ein paar Worte verlieren zu den drei besten Sektoren und zum möglichen Maverick Materials.

Schon wieder wird eine US-Bankenkrise diskutiert

In den Medien war neulich wiederholt zu lesen, dass sich bei kleinen und mittelgrossen US-Banken neue Bedenken hinsichtlich ihrer Stabilität eingestellt haben. Wenn dem so ist, so hat es keine Spuren im US-Bankensektor hinterlassen. Das ist ein grosser Unterschied zu 2023, als die ausgeprägte relative Schwäche des DJ US Banks sowohl zum DJ Stoxx Europe 600 Banks als auch zum S&P 500 signalisierte, dass gute Spürnasen sich von der US-Bankenlandschaft fernhielten:

Relative Schwäche dieses Ausmasses hat entweder vom Markt erkannte wirtschaftliche Gründe, oder – wie George Soros meint – die wirtschaftliche Schwäche wird durch die Kursverläufe herbeigeführt oder wenigstens beeinflusst.

In der abgebildeten Grafik zeigt das erste untere Fenster die relative Entwicklung zum DJ Stoxx Europe 600 Banks und das zweite jene zum S&P 500. Zu beiden Messlatten hat im November 2023 eine moderate relative Stärke eingesetzt. Zur Erinnerung: Was lange Zeit relativ schwach gewesen ist und in neuerer Zeit relative Stärke aufbaut, ist meistens eine lukrative Investition.

Der Kurs-Chart ist volumengewichtet. Gelb markiert ist die Verkaufspanik, die den Weg zu einer siebenmonatigen Bodenbildung ebnete. Hier wiederholt sich einmal mehr die Botschaft des Marktes, dass der Verkauf in einer Panik eine schlechte Idee ist, wenn man über eine lange Zeit an einer schwachen Position festgehalten hat. Eine Panik nach einer langen Schwächephase signalisiert Kapitulation. Nach der Kapitulation kommt das Aufräumkommando.

Die drei grossen Industrien des MSCI Financials sind Banken, Capital Marktes und Versicherer. Sie weisen sehr ähnliche marktgenerierte Daten auf. Es sind Daten, die eine starke technische Verfassung aller drei Industrien verraten. Die kleineren Industrien halten tapfer mit.

Industrieaktien gehören zur Elite

Der nächste Sektor, den ich kurz besprechen möchte, ist Industrials. Dieser Sektor gehört strukturell weiterhin nicht nur zu den drei besten unter den elf MSCI-Sektoren, sondern wird, wenn man sich nur mit den kapitalgewichteten Indizes auseinandersetzt, auch massiv unterschätzt. Gemessen am MSCI Welt hält er nämlich auf zwölf und sechs Monate nur knapp mit, und über drei und einen Monat hat er nur leicht besser abgeschnitten.

Diese Messung verdeckt jedoch die Qualität des Sektors. Das liegt daran, dass nur wenige Konstituenten eine wirklich hohe Kapitalisierung aufweisen. Die besten Industrieaktien halten jedoch mit dem Momentum der hochkapitalisierten Konkurrenten aus anderen Sektoren mit und laufen deutlich besser als der MSCI Welt. Der Markt scheint sich sicher zu sein, dass die Umstände positiv für Industrieunternehmen sind. Der gleich gewichtete MSCI Industrials setzte sich bereits im Mai des letzten Jahres deutlich positiv vom gleich gewichteten MSCI Welt ab.

In den Siebzigerjahren bildete man Gruppen von Konsum- und Kapitalgüter-Industrien. Es sind nun ganz klar die Kapitalgüter, die im Markt bevorzugt werden. Das passt in eine Zeit der militärischen Aufrüstung, der Subventionen und staatlich verbürgten Kredite für Investitionen in Dekarbonisierung und Verlegung industrieller Kapazitäten.

Information Technology und ein Sonderfall

Ein Sonderfall stellt die Halbleiterindustrie innerhalb des MSCI Information Technology dar, und hier insbesondere der DJ US Semiconductor Index. Dieser Bereich erfüllt alle Voraussetzungen einer spekulativen Blase – allerdings nicht jene, die nach meiner Erfahrung ein Ende einer Blasenbildung indizieren. Auch nach einem Anstieg von 84% seit Anfang November 2023 gibt es in meinem Verständnis keine Hinweise darauf, dass diese Blase vor dem Platzen steht. Über die Symptome, die dem Platzen einer Blase vorangehen, habe ich mich in früheren Beiträgen ausführlich geäussert.

Financials, Industrials und Information Technology weisen eine Marktbreite von rund 80% auf. Momentum und Marktbreite sind in allen Regionen und Industrien auf vergleichbar hohem Niveau. Daraus kann geschlossen werden, dass die Umstände als positiv für diese drei Sektoren angesehen werden. Derart aufgestellte Märkte sind wenig anfällig auf negative Nachrichten.

Hier kommt ein aufmüpfiger Maverick daher

Von einer ganz anderen Qualität geprägt ist Materials. In diesem Sektor befinden sich Industrien, deren einzige Gemeinsamkeit die ist, dass sie zyklisch sind. Selbst innerhalb der einzelnen Industrien gibt es Gruppen, die sich hinsichtlich ihrer Zyklizität unterscheiden, wie z.B. Basischemie und Spezialchemie.

Die Marktbreite dieses Sektors liegt nur knapp über 50%. Construction Materials und Containers & Packaging sind die besten Industrien. Die grösste Auswahl an guten Aktien bietet die grösste Industrie, nämlich Chemicals.

Mit Sperberaugen werde ich Metals & Mining beobachten, eine weitere Industrie im Sektor. Der Grund ist ganz einfach der, dass in meinem Verständnis die sieben Monate dauernde Auseinandersetzung zwischen Bullen und Bären im Goldmarkt zugunsten der Bullen ausgegangen ist:

Goldminenaktien haben auch auf die belebtere Goldnachfrage reagiert. Allerdings befinden sie sich noch nicht in neuen Aufwärtstrends. Goldminen bewegen sich mit deutlich höherem Momentum als Gold – und zwar in beide Richtungen.

Wenn sich meine Einschätzung bestätigt, dass sich im Goldpreis ein grösserer Aufwärtstrend einstellt, werden Goldminen eine Bonanza darstellen. Doch wegen ihrer hohen Volatilität muss man die Investitionsquote der eigenen Risikotoleranz entsprechend angemessen halten.

Der Markt bestellt seinen eigenen Zensor

So kommt auch der heutige Versuch, die Gegenwart auf den Punkt zu bringen, zu einem insgesamt sehr positiven Ergebnis. Die Gegenwart ist das Einzige, was man in einem dynamischen komplexen System feststellen kann. Solange die permanenten Veränderungen sich innerhalb definierter Normen halten, kann man davon ausgehen, dass sich die Gegenwart fortsetzt.

Werfen Sie nochmals einen Blick auf die Abbildung des DJ US Banks: Die «Gegenwart» war relative Schwäche während eines Jahres, bis ein exogenes Ereignis Anlass der Bären war, vor den Marktkräften zu kapitulieren und ihre Bestände auf den Markt zu werfen. Die «neue Gegenwart» war danach, auf den Trümmern der Baisse den Boden für eine Hausse vorzubereiten. Die Hausse, die aus den Trümmern erwachsen ist, ist die seitherige Gegenwart. Sie gilt, bis die Marktdaten signalisieren, dass sie verworfen werden muss.

Was ich überspitzt als «Gegenwart» bezeichne, ist nichts anderes als die Struktur, die sich im Markt aus Versuch und Irrtum einstellt und weitgehend definiert, welche Meldungen das System an sich heranlässt und welche es weitgehend ignoriert. In diesem Sinne gibt es faktisch eine Art Zensur, die das System selber generiert.

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
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