Nach einer Eskalation der Gewalt auf den Strassen hat das Militär die Premierministerin fallengelassen. Hasina blieb nur der Rücktritt und die Flucht. Auf den Strassen feiern die Demonstranten ihren Sturz, doch die Zukunft des Landes ist ungewiss.
Über Wochen haben die Studenten in Bangladesh gegen die autoritäre Regierungschefin Sheikh Hasina demonstriert, dann ging alles ganz schnell: Unter dem Druck der Proteste trat die Premierministerin am Montag zurück und verliess in einem Flugzeug fluchtartig das Land. Während die Menge Hasinas Amtssitz in Dhaka stürmte und ausgelassen ihren Sturz feierte, verkündete das Militär die Einsetzung einer Übergangsregierung. Nach 15 Jahren findet damit Hasinas Macht ein ebenso abruptes wie unrühmliches Ende.
Vorausgegangen war eine dramatische Eskalation der Gewalt auf den Strassen. Bei Zusammenstössen am Sonntag wurden rund hundert Menschen getötet, darunter ein Dutzend Polizisten. Die Regierung entsandte neben Polizei, Armee und Grenzschutz auch regierungsnahe Schlägertrupps gegen die Demonstranten. Regierungsgegner setzten ihrerseits Polizeiwachen und andere staatliche Einrichtungen in Brand und attackierten Büros der regierenden Awami League.
Sheikh Hasina reagierte mit unverminderter Härte: Sie verhängte eine landesweite Ausgangssperre und schränkte die Internetverbindung ein. Viele Websites waren am Montag nicht zu erreichen, darunter auch die Seiten wichtiger Zeitungen. Die Protestbewegung liess sich aber nicht einschüchtern und rief zu einem «Marsch auf Dhaka» auf. Trotz der geltenden Ausgangssperre folgten Hunderttausende Menschen dem Aufruf und marschierten auf das Regierungsviertel zu.
Sheikh Hasina hat die Proteste noch weiter angeheizt
Hatten sich die Proteste der Studenten ursprünglich nur gegen eine umstrittene Quotenregelung gerichtet, die Anhänger der Awami League bei der Vergabe von Stellen im Staatsdienst bevorzugte, zielten die Demonstrationen am Ende auf die Regierungschefin selbst. «Ein Punkt, eine Forderung, der Rücktritt von Sheikh Hasina», skandierten die Demonstranten. Sie machen die Premierministerin für die Brutalität der Sicherheitsdienste verantwortlich, die seit Mitte Juli bereits rund 200 Menschen das Leben gekostet hatte.
Statt den Dialog mit den Studenten zu suchen, setzte Hasina allein auf Härte. Mitte Juli heizte sie die Proteste zusätzlich an, als sie die Studenten als «Razakars» bezeichnete – ein Schimpfwort in Bangladesh, das so viel wie Landesverräter bedeutet. Später bezeichnete sie die Demonstranten als «Kriminelle» und warf der Opposition vor, die Proteste auszunutzen, um ihre Regierung zu stürzen. Bis zuletzt zeigte sie kein Mitgefühl für die Opfer der Repression.
Nachdem es der Regierung zunächst gelungen war, mit einer tagelangen Ausgangssperre und der Abschaltung des Internets die Proteste einzudämmen, flammten diese am Freitag wieder auf. Zusätzlich angeheizt wurde die Stimmung durch die Fotos und Videos der Gewalt, die nach der Wiederherstellung der Internetverbindung die sozialen Netzwerke fluteten. Viele Studenten waren nicht bereit, sich mit den begrenzten Zugeständnissen der Regierung zufriedenzugeben.
Am Ende liess das Militär die Regierung fallen
Nach einem Urteil des Obersten Gerichts hatte die Regierung zwar die umstrittene Quote im Staatsdienst, die Angehörige der Veteranen des Unabhängigkeitskriegs von 1971 bevorzugte, von 30 auf 5 Prozent gesenkt. Den Demonstranten reichte dies aber nicht. Die Gewalt der Sicherheitskräfte zeigte in ihren Augen überdeutlich, zu welcher Brutalität Sheikh Hasina bereit ist, um an der Macht zu bleiben. Für viele Demonstranten war klar, dass die 76-Jährige gehen muss.
Noch am Montagmorgen sah es nach einem weiteren Tag der Gewalt aus, als sich Hunderttausende im Zentrum von Dhaka versammelten. Doch gegen Mittag kamen erste Gerüchte auf, dass Hasina zurücktreten werde. Während der Armeechef Waker-Uz-Zaman eine Ansprache an die Nation ankündigte, rückte die Menge auf ihren Amtssitz Gana Bhaban vor. Wenig später wurde gemeldet, dass sich Hasina in einem Helikopter von ihrer Residenz an einen sicheren Ort abgesetzt habe.
Am frühen Nachmittag trat dann der Generalstabschef vor die Kameras und verkündete, Sheikh Hasina sei zurückgetreten. Es werde nun eine Übergangsregierung gebildet. Welche Rolle das Militär bei Hasinas Rücktritt gespielt hat, blieb zunächst unklar. Offen war insbesondere, ob es sich um einen Militärputsch handelte und die Generäle selbst die Macht übernehmen würden. Offensichtlich war jedoch, dass die Armeechefs angesichts der Eskalation der Gewalt nicht länger bereit waren, die unbeliebte Premierministerin zu stützen.
Überall feiern die Leute in den Strassen den Sturz von Hasina
Sheikh Hasina flog am Nachmittag mit ihrer Schwester in einem Flugzeug in die indische Grenzstadt Agartala. Der grosse Nachbar zählt zu Hasinas wichtigsten Unterstützern. Es war aber unklar, ob die gestürzte Premierministerin dort bleiben würde. Womöglich reist sie weiter zu ihrem Sohn in den USA oder nach Grossbritannien, wo ihre Schwester lebt.
In Dhaka stürmte unterdessen die Menge Hasinas Residenz. Aufnahmen zeigten, wie ausgelassene Demonstranten Möbel und andere Objekte aus ihrem Amtssitz davontrugen. Überall in den Strassen feierten Leute den Sturz Hasinas. Das Fernsehen zeigte, wie eine Menge eine überlebensgrosse Statue von Hasinas Vater, Bangladeshs Staatsgründer Mujibur Rahman, attackierte.
Wirtschaftlich hatten die Proteste zuletzt einen wachsenden Preis gefordert. Besonders der wichtige Textilsektor, der für den Grossteil der Exporte des südasiatischen Schwellenlands aufkommt, erlitt erhebliche Einbussen. Nach der erneuten Verhängung einer Ausgangssperre blieben viele Textilfabriken geschlossen. Auch der Transport der Waren in die Häfen war wegen der Strassensperren nicht länger möglich. Es drohten damit Verluste in Milliardenhöhe bei den Exporten.
Schon oft hat das Militär in Dhaka die Macht übernommen
Sollte das Militär die Macht übernehmen, wäre dies nichts Neues. In der 53-jährigen Geschichte von Bangladesh gab es schon oft Phasen der Militärherrschaft. So wurde Hasinas Vater Mujibur Rahman 1975 mit seiner Familie von unzufriedenen Offizieren ermordet, nachdem er zunehmend autoritäre Tendenzen entwickelt hatte. Nur Hasina und ihre Schwester überlebten das Massaker. Zuletzt hatten die Generäle von 2006 bis 2008 die Macht in Bangladesh inne.
Damals flog Hasina vorübergehend zu ihren Verwandten in die USA und Grossbritannien. Nach ihrer Rückkehr wurde sie festgenommen und wegen Korruption, Erpressung und Mordes angeklagt. Später kam sie auf Kaution frei und konnte 2008 an den Wahlen teilnehmen, die sie mit ihrer Awami League gewann. Ihr Sohn Sajeeb Wazed Joy sagte der BBC, seine Mutter strebe kein politisches Comeback an. Mit ihrem Rücktritt und der Flucht dürfte die Ära von Sheikh Hasina in Bangladesh unwiederbringlich zu Ende sein.

