Für Anleger, die auf Aktien im Aufwärtstrend setzen, könnte es derzeit nicht besser laufen – zumindest bei deutschen Valoren und europäischen Banktiteln. Mit dem Momentum Screen identifiziert The Market die starken Aktien, deren Trend zu folgen sich besonders lohnen kann.
Es ist die Zeit der Trendfolger. Der deutsche Leitindex Dax ist am Montag – die Marke von 24’000 im Blick – bis auf ein Allzeithoch von 23’935 Punkte gestiegen. Das entspricht einem Plus seit Jahresanfang von gut 20%. Zur Erinnerung: Kurz nach Donald Trumps «Tag der Befreiung» Anfang April und den reziproken Zöllen des US-Präsidenten sackte der Dax noch bis auf 19’671 Zähler ab. Zum Jahreswechsel stand er bei 19’909 Punkten.
Entsprechend stark präsentieren sich die Aktien aus dem Dax im Momentum Screen. Mit ihm identifiziert The Market die Valoren, die sich in einem Aufwärtstrend befinden. Sie setzen diesen oft fort. Die starken Aktien sollten allerdings immer auch attraktiv bewertet sein, um das Risiko abzufedern.
Die Idee des Momentum Screen
In den Tabellen des Momentum Screen sind Aktien bekannter Indizes nach relativer Stärke sortiert. Je stärker das Kursmomentum, sprich, je nachhaltiger der Aufwärtstrend, desto weiter oben sind sie zu finden. Ein solcher Trend setzt sich häufig fort («The trend is your friend»). Messen lässt er sich anhand der relativen Stärke nach Levy (RSL). Die Kennzahl setzt den aktuellen Aktienkurs ins Verhältnis zum Durchschnittskurs der vergangenen 26 Wochen (multipliziert mit 100). Aktien, deren Kurs deutlich über dem Mittelwert liegt, haben Momentum. Gute RSL-Werte beginnen bei über 105 bis 110 (5 oder 10% über dem Durchschnittskurs) oder liegen über dem Mittelwert für den Gesamtmarkt. Um das Risiko der Methode abzufedern, sollten die Aktien zudem fundamental attraktiv bewertet sein, weshalb sich auch entsprechende Kennzahlen wie zum Beispiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) in den Tabellen wiederfinden. Der Momentum Screen kombiniert so Trendfolge mit Value Investing.
Spitzenreiter nach relativer Stärke ist jedoch gar nicht der Dax, sondern sind nach wie vor der polnische WIG und neu der österreichische ATX. Stark trumpfen zudem der Ibex (Spanien) mit vielen Bankaktien und die deutschen Nebenwerte-Barometer MDax und SDax auf.
Im ATX sind die Kreditinstitute Erste Group Bank 📈 und Bawag 📈 sowie der Öl- und Gasriese OMV 📈, drei Schwergewichte, die zusammen für rund 47% des zwanzig Aktien umfassenden Index stehen. Viertgrösster Titel im ATX ist Andritz 📈, eine Empfehlung von The Market. Die Aktien des Spezialanlagenbauers locken mit überproportional steigenden Serviceumsätzen und hohen Kapitalrenditen, schrieben wir Mitte März.
Äussert schwach sind nach wie vor die US-Aktien. Sie erscheinen im Vergleich zu europäischen Valoren an Attraktivität zu verlieren.
Der Dax ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der für die nächsten zwölf Monate geschätzten Gewinne von 16 im Vergleich zum langjährigen Mittel von 12 zwar recht hoch bewertet, gegenüber dem US-Markt liegt der Abschlag allerdings bei immer noch rund 27%. (Ähnlich sieht die Relation bei europäischen Aktien aus.) Das ist zunächst einmal ein gewohntes Bild: US-Aktien sind in der Vergangenheit häufig teurer gewesen. Doch die Unterschiede beim Wachstum der US-Ökonomie und der deutschen Volkswirtschaft könnten schrumpfen, erwartet man am Markt – und damit wäre die Prämie für US-Aktien womöglich überzogen.
Der Impuls in Deutschland kommt durch das geplante Infrastrukturprogramm, die anvisierte Verbesserung der Standortfaktoren für die Industrie und die höheren Verteidigungsausgaben. Während die US-Zölle nur als Drohkulisse zu dienen scheinen, rücken in den Vereinigten Staaten nun der Staatshaushalt und die Staatsverschuldung in den Mittelpunkt. Denn die Ratingagentur Moody’s hat die Kreditwürdigkeit der USA um eine Stufe von Aaa auf Aa1 gesenkt. Sie folgt damit S&P und Fitch. Die Bonität der USA liegt jetzt etwa gleichauf mit der von Österreich und unter der von Deutschland oder der Schweiz. Das lässt den Dollar und US-Aktien fallen, während die Zinsen steigen.
Im Dax sind die vorderen Tabellenplätze in festen Händen.
Die Aktien des Tabellenführers und Rüstungskonzerns Rheinmetall 📈 haben mittlerweile die Kursmarke von 1700 € durchbrochen. Bei aller Wachstumsfantasie, günstig sind sie sicher nicht mehr. Das KGV auf Basis des für die nächsten zwölf Monate geschätzten Gewinns liegt bei stolzen 50. Werte jenseits von 40 sind generell mit Vorsicht zu geniessen, signalisieren sie doch häufig eine Überbewertung.
Wenn es nach dem langjährigen Marktbeobachter Alfons Cortés geht, haben die Valoren von Rheinmetall zudem ein «schlechtes Momentum». So nennt Cortés das Phänomen, bei dem die Bollinger-Bänder weit auseinanderdriften. Derzeit liegt das obere Band bei 1644 €, die Rheinmetall-Valoren notieren darüber. Das dürfte kaum nachhaltig sein. Einen Absturz muss es aber auch nicht geben. Am wahrscheinlichsten ist wohl eine Seitwärtsbewegung. Sieben der bei Bloomberg erfassten Analysten rufen allerdings schon ein Kursziel von 2000 € und mehr aus. Noch läuft die Rally.
Beim Tabellenzweiten, dem Energietechnikkonzern Siemens Energy 📈 war zuletzt vor allem ein Verkauf eines Insiders auffällig. So veräusserte nicht irgendein Manager, sondern Aufsichtsratschef Joe Kaeser Aktien in einem Gesamtwert von fast 1,4 Mio. € zu einem Durchschnittskurs von 75.64 €. Jetzt könnte der Verkauf von dem früheren, langjährigen Siemens-Chef natürlich private Gründe gehabt haben, aber verkaufen würde Kaeser sicher nicht, wenn er – als gut informierter Insider – die Aktien für günstig halten würde. Mit anderen Worten das Kursniveau bei Siemens Energy könnte vorerst seinen Höhepunkt erreicht haben. Die Aktien sind derzeit mit einem KGV von 36 bewertet. Der historische Durchschnitt liegt bei 35.
Einige Leerverkäufer sehen das wohl ähnlich. In der jüngsten Analyse von The Market tauchen die Aktien von Siemens Energy im Dax an fünfter Stelle der grössten Shortpositionen auf.
Der Energietechnikkonzern hatte Mitte April die Prognose für das Geschäftsjahr angehoben, was den Kurs beflügelte. Unter anderem soll der Umsatz nun 13 bis 15% wachsen, statt wie zuvor angepeilt 8 bis 10% und der Nettogewinn bis zu 1 Mrd. € betragen.
Die Valoren der von Unicredit umworbenen Commerzbank 📈 wurden am vergangenen Freitag ex Dividende (0.65 €) gehandelt und behaupten im Momentum Screen dennoch Platz drei im Dax. Auf dem Aktionärstreffen betonte CEO Bettina Orlopp die Eigenständigkeit des Kreditinstituts und schwörte alle Anteilseigner ein, der Bank treu zu bleiben. «Wir sind zuversichtlich, dass wir mit unserer Strategie als starke Kraft am Bankenmarkt noch mehr Wert für alle schaffen», so Orlopp.
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) liessen durch ihre Sprecher mitteilen, dass sie auf die Eigenständigkeit pochen. Der Bund hält noch rund 12% an der Commerzbank. Bei einem Treffen mit der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni am vergangenen Samstag war die Commerzbank laut Merz jedoch kein Thema. Die Übernahmefantasie ist unter Anlegern im Moment ohnehin in den Hintergrund getreten, wie The Market bereits im vergangenen Momentum Screen schrieb.
Im Zentrum steht derzeit die Geschäftsentwicklung – und die verläuft prächtig. Deutschlands zweitgrösstes Kreditinstitut blickt auf das beste Quartalsergebnis seit dem ersten Quartal 2011 zurück. Deshalb will die Commerzbank zu Beginn des dritten Quartals einen Antrag für einen neuen Aktienrückkauf stellen. Sie erwartet zudem zum Jahresende neu eine harte Kernkapitalquote (CET1) von «mindestens 14,5%» (zuvor: «mehr als 14%»).
Die Commerzbank-Aktien sind mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,0 bewertet – so hoch wie zuletzt 2009.
Unter den Schweizer Valoren hat sich Avolta 📈 (vormals Dufry) hinter dem Klimaspezialisten Belimo 📈 und vor dem Schokoladenkonzern Lindt & Sprüngli 📈 im Momentum Screen einsortiert.
Beim Reisedetailhändler machen Übernahmespekulationen die Runde. Wie Sky News gemeldet hat, sei Insidern zufolge der Finanzinvestor CVC Capital Partners an Avolta interessiert und biete 6 Mrd. £ (aktueller Börsenwert: 5,8 Mrd. £). Ein etwaiges Übernahmeangebot könnte in Kooperation mit der Milliardärsfamilie Benetton erfolgen, die nach der Fusion von Autogrill und Dufry im Jahr 2023 eine grosse Minderheitsbeteiligung an Avolta hält.
Allerdings wird die Prämie von 11% auf den Aktienkurs vor Bekanntwerden am Markt als zu gering angesehen, um die Benetton-Familie und andere Aktionäre von der Idee zu überzeugen. Auch der niedrige Streubesitz wird als problematisch für einen Deal erachtet.
Operativ läuft es beim Basler Duty-Free- und Autobahn-Shopbetreiber so gut, dass er trotz US-Zöllen und geopolitischer Unsicherheit den mittelfristigen Ausblick bestätigt hat. Dazu gehört bis 2027 ein jährliches organisches Umsatzwachstum von 5 bis 7%. Im ersten Quartal sank die Verschuldung (Nettoverschuldung/Kern-Ebitda) deutlich auf das 2,2-fache, gegenüber dem Faktor 2,6 im Vorjahr. Die Rendite auf das investierte Kapital (ROIC) ist im Gegenzug gestiegen und liegt jetzt bei immerhin 4,8%.
The Market empfahl Avolta im Februar vergangenen Jahres auf die Beobachtungsliste zu nehmen. Jetzt erscheinen die Aktien mit Schwung attraktiv, sind sie doch nur mit einem KGV von 14 bewertet.
Ins Auge stechen im aktuellen Momentum Screen zudem besonders die folgenden Unternehmen.
- Klarer Spitzenreiter im MDax ist Renk 📈. Der Rüstungszulieferer hat seit Februar mit Alexander Sagel einen neuen Chef. Das Augsburger Unternehmen glänzte zuletzt damit, seinen Auftragseingang im ersten Quartal verdoppelt und einen Rekordauftragsbestand von 5,5 Mrd. € erreicht zu haben.
- Der Internetdienstleister United Internet will seinen Anteil am Mobilfunker 1&1 📈 von 80,8% auf bis zu 90% aufstocken. Dafür bietet er 18.50 € je 1&1-Papier. Das hat den Aktien des Mobilfunkanbieters aus dem SDax ordentlich Schwung verpasst. United Internet beabsichtige weder den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages noch ein Delisting oder einen Squeeze-out, heisst es.
- Ob Société Générale 📈 im französischen Leitindex CAC oder Banco Santander 📈, Unicredit 📈 und BBVA 📈 im Euro Stoxx 50, europäische Banken haben derzeit besonders viel Kursmomentum.
- Im Dow Jones Industrial hat der Flugzeugbauer Boeing 📈 seine Tabellenführung ausgebaut. The Market wies bereits im vergangenen Momentum Screen auf den Titel hin. Boeing profitierte von Trumps Saudi-Arabien-Besuch: Am Ende stand ein Verteidigungsabkommen über fast 142 Mrd. $ und eine Bestellung des staatlichen Flugzeugvermieter AviLease über bis zu 30 Maschinen des Typs 737 Max. Ferner soll sich Boeing im Strafverfahren um den Absturz zweier Flugzeuge desselben Typs Presseberichten zufolge mit dem US-Justizministerium auf einen Vergleich verständigt haben und rund 445 Mio. $ in einen Opfer-Entschädigungsfonds einzahlen.
Über diesen Link gelangen Sie zum Dokument mit sämtlichen Tabellen.
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Der Autor hält Aktien von Commerzbank und Rheinmetall.