Dienstag, Oktober 22

Der Filmemacher Erich Langjahr begleitet die an Krebs erkrankte Michèle Bowley über mehrere Jahre auf verschiedenen Etappen ihrer letzten Reise. Diesen offenen Umgang mit dem Sterben ist man von Dokumentarfilmen nicht gewohnt.

Michèle Bowley hat das Sterben zu ihrem Lebensinhalt gemacht. Schon als Kind töpferte die umtriebige Baslerin jene Urne, in die ihre Überreste später kommen sollten. Aus ihrer ausgestellten und glaubwürdigen Heiterkeit spricht Trotz gegenüber der unheilbaren Krebserkrankung. Sterben muss man, aber das Wie ist entscheidend.

Fast aufgeregt blickt sie ihrem Ende entgegen, als wäre es eine weitere Etappe auf ihrer Reise. Meist sitzt sie gegenüber der Kamera und erklärt, was ihr gerade widerfährt: Bestrahlung, Diagnosen, Umzüge, Vorträge, ein geschriebenes Buch, Spirituelles, Bürokratisches, Zwischenmenschliches. Der eigene Tod als Projekt, das Sterben als komplexer Vorgang im Leben eines Menschen.

Bowley leitete das Programm für Psychische Gesundheit im Amt für Gesundheit des Kantons Zug, die psychische Auseinandersetzung mit der eigenen Erkrankung ist ihr wichtig, wiederholt betont sie ihre geistige Kontrolle über den eigenen Zustand. Sie lächelt viel, ist voller Tatendrang trotz der schwerwiegenden Diagnose von Hirnmetastasen.

Der Filmemacher Erich Langjahr folgt ihr über mehrere Jahre auf verschiedenen Etappen ihrer letzten Reise, begleitet ihren Körper bis zum friedlichen und doch tabubrechenden Bild ihres Leichnams im offenen Sarg. Man ist diesen offenen Umgang mit dem Sterben nicht gewohnt aus dem dokumentarischen Kino. Langjahr schafft es, einen Menschen im vielleicht intimsten Moment, dem der letzten Atemzüge, mit Respekt zu filmen, ohne den Blick abzuwenden.

Kollektive Verdrängung

In westlichen Kulturen werden Krankheit und Tod bis heute tabuisiert. Hinter sich spiegelnden Fenstern leben an Chemotherapie angeschlossene Patienten in einer Parallelgesellschaft. Sofern sie es sich leisten können, erwartet sie ein Ende in Palliativpflege, während draussen das Leben ganz normal weiterzugehen scheint. Diese Trennung in das Gesunde und das Kranke hat Vor- und Nachteile. Einer der Nachteile äussert sich auch im Kino, denn der körperliche Zerfall wird verkrampft ausgespart in Bildern, eine kollektive Verdrängung dämonisiert das, was allen von uns widerfährt, ein ungesundes Verhältnis entsteht.

Dagegen kämpft Langjahr mit seinem Film «Die Tabubrecherin» an, seine Bilder ringen dem Tod ein wenig Leichtigkeit und Normalität ab. Nach seiner Arbeit «Geburt» aus dem Jahr 2009 vollzieht er auch einen Bogen im eigenen Werk, vom Anfang zum Ende des Lebens. Wiederholt schwenkt die Kamera auf Bowleys Hände, ein wenig so, als könne man ihrem strahlenden Gesicht nicht trauen, als würde der Körper noch etwas anderes erzählen als die Wörter.

Kampf zwischen Körper und Geist

Die sich ineinander verschränkenden Finger berichten von der Arbeit, der es bedarf, um dem Tod mit einem Lächeln ins Auge zu blicken. Sie zeigen etwas hinter der erstaunlichen Kontrolle, die Bowley trotz der Extremsituation über ihr Bild behält: vielleicht den Schmerz, den Kampf zwischen Körper und Geist.

Dennoch ist es weniger ein Film über Bowley als ein Film mit ihr. Das zeigt sich beispielsweise in einer Szene, in der die Protagonistin vor der Kamera einschläft. Man spürt, hier gibt es ein Vertrauen, ein Zulassen zwischen Protagonistin und Film, das auch ihrer Beziehung zum Sterben entspricht. Man erkennt eine enge Bindung zwischen Langjahr und Bowley.

In manchen Szenen droht diese Nähe in eine klischeebehaftete Esoterik mit Landschaftsbildern und lieblicher Musik zu fallen, aber schnell erkennt man, dass dieser Film schlicht alle Aspekte dokumentiert, die für Bowley wichtig sind. Derart lösen sich die Widersprüche zwischen Glauben, Pragmatik, Gefühlen, Machtlosigkeit, Akzeptanz und Würde zu einem bewegenden Bild des menschlichen Daseins auf.

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