Mittwoch, Februar 26

Sie dürfen in der Öffentlichkeit nicht miteinander reden und nicht zur Schule gehen: Fast vier Jahre nach der Machtergreifung der Taliban hat sich die Situation der Frauen in Afghanistan verschlimmert. Es gibt jedoch Widerstand im Kleinen.

Am 15. August 2025 werden vier Jahre vergangen sein, seit die Taliban die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben. Seit die Taliban an der Macht sind, besteht ihr Hauptziel darin, Frauen aus der afghanischen Gesellschaft auszuschliessen. Einer ihrer ersten Schritte war das Verbot, Mädchen über die sechste Klasse hinaus zur Schule zu schicken. In den letzten Jahren gab es keine Abiturientinnen oder Universitätsabsolventinnen in Afghanistan.

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Die Taliban verhängten weitere Einschränkungen, darunter ein Arbeitsverbot für Frauen, das zur Schliessung von Bäckereien führte, die von Frauen geleitet wurden. Dazu kommt ein Verbot, Parks, öffentliche Bäder (Hammams) und Cafés zu besuchen. Sowohl lokalen als auch internationalen NGO wurde es verboten, weibliche Mitarbeiter aus- und weiterzubilden.

Die Taliban lösten auch das Ministerium für Frauenangelegenheiten auf und ersetzten es durch das Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Laster. Frauen dürfen nicht in von Männern moderierten Radio- und Fernsehsendungen auftreten, keinen Sport treiben und nicht ohne männliche Begleitung (Mahram) ins Ausland reisen. Im Oktober 2024 verabschiedeten die Taliban ein weiteres Gesetz, das Frauen verbietet, in der Öffentlichkeit miteinander zu sprechen. Ihre Stimmen dürfen auch nicht während Gebeten von anderen Frauen gehört werden.

Diaspora wird besser behandelt

Für diesen Artikel haben mehrere afghanische Frauen und Männer aus verschiedenen Lebensbereichen in der Diaspora und im Land Auskunft gegeben. Da sind zum Beispiel Soraya und Sediqqua. Ihre Namen sind wie alle anderen Namen geändert. Sie gehören beide der afghanischen Diaspora an und haben ausländische Pässe, mit denen sie Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban besucht haben.

Soraya wollte den Ort besuchen, an dem ihre Mutter ruht, die ein Jahr nach dem Sturz der afghanischen Regierung verstarb. Sie erinnert sich: «Der Flughafen hatte verschiedene Bereiche für Frauen mit ausländischen Pässen, die ohne männliche Begleitung unterwegs waren. Wir wurden von einer Beamtin empfangen, die unsere Pässe kontrollierte und sehr freundlich war. Solange ich meinen Hijab trug, wurde ich in Ruhe gelassen.»

Sediqqua erzählt von ihrem Besuch in Mazar und Kabul mit ihrem Sohn und ihren Enkelkindern. Sie sagt: «Die Einschränkungen für den Hijab variieren je nach Ort. Es hängt davon ab, in welchem Gebiet von Kabul man sich befindet und welche Provinz man besucht. Ich habe keine Burka getragen, und die Mädchen konnten mit einem Tschador, also einem losen Schal auf dem Kopf, herumlaufen.»

Auf die Frage, ob sich die Situation verbessert habe und ob ihre Enkel in Afghanistan studieren könnten, antwortet Sediqqua: «Na ja, ich denke, Schule und Bildung sind eine Angelegenheit, die weit über die Politiker Afghanistans hinausgeht.» Auch externe Akteure des Afghanistan-Konflikts wie die USA oder Katar sprächen beim Thema Bildung mit.

Was das Gespräch mit Soraya und Sediqqua zeigt: Die Taliban versuchen Legitimität zu erlangen, indem sie die Diaspora bewusst besser behandeln. Sie benutzen sie indirekt als Propagandainstrument. Die Welt soll wissen, dass Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban in einer viel besseren Verfassung ist.

Keine Chirurginnen am OP-Tisch

Anders tönen die Erzählungen von Männern und Frauen, die in Afghanistan leben. Ghamai, ein junger afghanischer Journalist, sagt, dass sie wie Gefangene lebten und aus dem Land fliehen müssten, wenn sie sich befreien wollten. Er fügt hinzu: «Ich kann nicht länger als Journalist arbeiten, weil die Werte der Redefreiheit, an die ich glaube und von der ich Gebrauch machen möchte, mich mein Leben kosten könnten.»

Morad, ein anderer Mann, dessen Schwester Krebs hat, erzählt, dass es Ärztinnen in den Krankenhäusern nicht erlaubt ist, zu operieren. Ausserdem gibt es einen Braindrain von qualifizierten Ärzten, so dass er gezwungen ist, hohe Visagebühren zu zahlen, um seine Schwester zur Behandlung nach Pakistan zu bringen.

Da ist Zhuhal, die Nähfabriken leitet, die in Afghanistan von Frauen geführt werden und in denen ausschliesslich Damenbinden hergestellt werden. Sie sagt, dass die Taliban seit ihrer Machtergreifung nach einem einzigen Prinzip regieren: Nach ihrer Auslegung des Islam haben Männer das Sagen, und Frauen sind dazu da, sich den Männern zu unterwerfen.

Frauen werden von den Taliban nicht als Menschen angesehen. Die Taliban haben ihnen alle Menschenrechte und islamischen Rechte genommen – wie das Recht auf Bildung, das im Islam nicht verboten ist.

Zhuhal erklärt weiter, dass Frauen zwar Koranschulen, Supermärkte oder Basare in der Nähe ihres Hauses besuchen dürften, aber wenn sie sich ausserhalb ihres Wohnviertels aufhalten wollten, müssten sie von einem Mann begleitet werden. Sie müssen sich komplett verhüllen, auch die Hände, und Handschuhe tragen. Die Vertreter des Ministeriums für Sitte und Moral überwachen dies streng. Wenn die Sittenwächter in der Öffentlichkeit auch nur den geringsten Ungehorsam feststellen, werden Mädchen und Frauen geschlagen oder verhaftet und auch ihre Väter oder Männer bestraft. Sie müssen Geldbussen zahlen oder werden ebenfalls inhaftiert.

Die Frauen bilden sich im Verborgenen

Während Frauen und Mädchen in Kabul mit ihrer Familie in Restaurants gehen können, dürfen sie in Kandahar das Haus nicht verlassen. Frauen, die auf dem Land leben und aus armen Verhältnissen kommen, haben oft konservativere Männer. Hingegen unterstützen Männer aus der Mittel- und Oberschicht ihre Frauen und Mädchen eher. Sie ermutigen sie, ihre Ausbildung heimlich fortzusetzen. Führen die Männer ein kleines Unternehmen, beteiligen sie ihre weiblichen Familienangehörigen am Geschäft und lassen sie zum Beispiel Näh- und Kunsthandwerksarbeiten ausführen.

«Diesmal haben die Taliban die Veränderungen herbeigeführt, um die Frauen allmählich, Schritt für Schritt, aus der afghanischen Gesellschaft zu verbannen», sagt Zhuhal. Sie widerspricht aber auch den Ausländern, die meinen, afghanische Frauen seien bloss Opfer und hätten keine Macht. «Wir finden Wege, uns und unsere Mädchen zu bilden, wir finden Wege, durch von Frauen initiierte Projekte Einkommen zu generieren.» Die Binden, die Frauen in den Bindenfabriken nähen, verteilen sie in Kabul und anderen Provinzen an benachteiligte Frauen.

Dies ist nur erlaubt, weil die Rolle der Frau darin gesehen wird, im Haus tätig zu sein, Kinder zu gebären und ihrem Mann zu dienen. So werden die Frauen von den Taliban dann auch einzig darin ermutigt, Koranschulen zu besuchen. Die gestiegene Anzahl an Koranschulen ist ein alarmierendes Zeichen dafür, dass die zukünftigen Generationen Afghanistans radikalisiert werden. Das ist nur möglich, wenn Mütter und Schwestern ungebildet und unterdrückt bleiben.

Der Westen verliert an Einfluss

Im Gegensatz zur ersten Taliban-Herrschaft hat die internationale Gemeinschaft das Taliban-Regime nicht anerkannt, obwohl dessen Machtübernahme in Afghanistan eine direkte Folge des Doha-Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban war. Die Vereinigten Staaten haben 21 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern bereitgestellt, das den Taliban seit August 2021 geholfen hat, an der Macht zu bleiben. Die Taliban haben Frauen, die politische Opposition, die Zivilgesellschaft, die Medien und progressive Stimmen eine nach der anderen zum Schweigen gebracht.

Der Westen verliert seinen Einfluss gegenüber China und Russland in Afghanistan. In den Hauptstädten der Welt werden Anstrengungen unternommen, um diese derzeitige politische Pattsituation zu überwinden. Es wird verhandelt, wie eine zukünftige integrative Regierung aussehen könnte, dabei prallen die verschiedenen Interessen aufeinander.

Heute arbeiten Russland, China, Indien oder Iran mit den Taliban zusammen. Diese Länder haben Botschaftsvertretungen in Afghanistan, auch die EU-Mission ist in Kabul, während Donald Trumps Afghanistan-Politik eher zweideutig ist. Die Zunahme der Zahl der Koranschulen, die sich verschlechternden Beziehungen zwischen Pakistan und den Taliban, die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine und die jüngsten wirtschaftlichen Rivalitäten zwischen China und den USA werden sich auf Afghanistan auswirken.

Dies führt zu einer Verunsicherung im Leben von Millionen Afghanen, wobei die afghanischen Frauen den höchsten Preis zahlen. Jeder Tag ist ein neuer Kampf, und es wird den Afghaninnen immer mehr erschwert, dass ihre authentische Stimme gehört wird.

Heela Najibullah promoviert und forscht an der Universität Zürich im Bereich Konflikt- und Friedensforschung. Sie arbeitete als humanitäre Helferin im Bereich Migration und ist die Tochter des ehemaligen Präsidenten Afghanistans, Mohammed Najibullah, der 1996 von den Taliban getötet wurde. Sie lebt seit 1998 mit Unterbrüchen in der Schweiz. – Übersetzt aus dem Englischen von bgs.

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