Sonntag, September 14

Der Mensch ist aus krummem Holz geschnitzt, hinter Fassaden ist es selten ordentlich, und die Rente ist ohnehin ein Graus: Im beschaulichen Nürnberg spielt sich ein halber Horrorfilm ab.

Frankenland ist Auenland. Zwischen Aschaffenburg und Ansbach rinnt die Zeit gemächlicher dahin als in anderen Regionen der Republik. Der weiche fränkische Zungenschlag mit seinen stimmhaften Konsonanten dämpft sprachliche Schärfe. Man versteht zu leben, hier ist es gut, hier isst es sich gut. Lässig schiesst der bayrische Ministerpräsident Markus Söder ein Selfie vor dem Nürnberger Rostbratwurststand.

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Das alles sind freilich Klischees – und als solche höchstens drei viertel wahr. Sagt sich auch der Franken-«Tatort», der mit dem Autor und Regisseur Max Färberböck einmal mehr angetreten ist, um das Idyll zu stören. Von wegen ruhige Rückkehr aus der Sommerpause der Fernsehverbrechen: Die doppeldeutig betitelte Episode «Ich sehe dich» ist – mindestens – ein halber Horrortrip in menschliche Abgründe.

Die Nettesten sind oft die Schlimmsten

Da taucht eine Leiche in einem «Wahnsinnsloch» von Schlamm auf, bei einem Waldstück, das ebenso in der Netflix-Serie «Dark» zu finden sein könnte. Zwei Jahre ruht das Gerippe da schon, einst war es eine Seele von Mensch. Der Fahrradhändler Andy, der Liebe, Hilfsbereite, Sanfte. Der mit niemandem Streit hatte und in der Kirche schöne Lieder auf Gitarre und Orgel angestimmt hat. Da weiss man genau: Hier stimmt etwas gewaltig nicht, die Nettesten sind ja im Krimi oft die Schlimmsten.

Fabian Hinrichs als Kommissar Felix Voss muss nach dem Abschied der wunderbaren Dagmar Manzel im Oktober 2024 alleine antreten – und zieht sich zudem beim Duschen eine Gelenksprengung der Schulter zu. Acht Wochen Reha, keine Autofahrten, keine Action. Der sich schief bewegende Ermittler ist womöglich der erste symbolische Hinweis, aus welch krummem Holz der Mensch im elften Franken-Fall geschnitzt ist.

Die heile Welt ist blosse Fassade

Und ein Drehbuchkniff, damit neben der Kollegin Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) noch ein Sidekick auftauchen kann: Der grantelnde, kurz vor der Pensionierung stehende Polizist Fred muss als Chauffeur für den Invaliden herhalten. Der bayrische Kabarettist Sigi Zimmerschied, bekannt aus dem Passauer Scharfrichterhaus und als Polizeichef aus den Eberhofer-Krimis, spielt diesen stummen Diener mit dem stoischen Blick von einem, dem alles wurscht ist. «Wie ist es so kurz vor dem Ruhestand?» – «Na ja, wie Schwimmen. Ohne Wasser.» Thema erledigt.

Bereits Freud wusste: Im Unheimlichen steckt das Wort «Heim» drin, das Vertraute, Bekannte. Die heile Welt ist blosse Fassade. Und so schickt die doppeldeutig betitelte «Ich sehe dich» ihre Figuren auf psychologische Geisterbahnfahrt in stilisierte Wohnzimmer und in den Keller. Die alte Mutter erscheint am Treppenabsatz, die blinde Freundin (Mavie Hörbiger) zittert ängstlich. In der ersten Hälfte funktioniert der Thrill atmosphärisch mit geschickt gesetzten Kameraperspektiven und spannungsvoller Musik. Doch das ganz tiefe Entsetzen, es bleibt aus.

«Tatort» aus Franken: «Ich sehe dich», am Sonntag, 14. September, um 20.15 Uhr in der ARD und um 20.05 im SRF.

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