Donnerstag, Dezember 26

Unscheinbar, unprätentiös, doch brutal erfolgreich – die Polin dominiert das Frauentennis. Das passt nicht allen.

Es war so etwas wie der vorgezogene Final im Stade Roland-Garros: Der Zweitrundenmatch zwischen Iga Swiatek und Naomi Osaka am French Open bot grossartigen Sport und liess die Herzen der Tennis-Romantiker auf dem leider nur halb voll besetzen Court Philippe Chatrier am Mittwochabend höherschlagen.

Und auch die aktive Tennis-Bubble bekam an diesem verregneten Tag in Paris mit, dass da gerade etwas Aussergewöhnliches vonstattenging. Viele Spieler schrieben hinterher in den sozialen Netzwerken, dass der Match wohl der beste der jüngeren Geschichte im Frauentennis gewesen sei.

Das Spiel der vielen Wendungen endete mit einer überraschenden Siegerin. Swiatek, die Weltranglistenerste, war wie immer die grosse Favoritin. Aber die Polin war eigentlich schon ausgeschieden. Im dritten und entscheidenden Satz lag sie 2:5 zurück, hatte sogar einen Matchball gegen sich. Dann versagten Osakas Nerven. Mit einfachen Fehlern schenkte die Japanerin den Sieg her. 6:7, 6:1 und 5:7 ging das Drama aus.

Bis auf die Box von Swiatek war gefühlt das ganze Stadion aufseiten der 26-jährigen Aussenseiterin, die lange aus dem Geschäft war. Im vergangenen Jahr bekam Osaka, die in den USA lebt, ein Kind. Im Ranking steht sie nur noch auf Position 134. Schon vor der Geburt hatte sie sich immer wieder Auszeiten genommen. Was viele vergessen: Osaka war auch schon einmal die Nummer 1 der Weltrangliste, sie hat vier Grand-Slam-Titel gewonnen. Und ja, Osaka war vor ein paar Jahren das neue Gesicht des Frauentennis. Zu gerne hätten die Fans am French Open sie länger in diesem Turnier gesehen.

Manchmal tagelang nicht ansprechbar

Genau diese Typen fehlen dem Sport ja. Viele Fans erhoben sich eher betrübt von ihren Sitzen und traten den Heimweg an. Osaka selbst vergoss ein paar Tränen. Swiatek hatte mit ihrer Willensstärke noch einmal den Kopf aus der Schlinge gezogen. Auf der Pressekonferenz hinterher spulte sie souverän und eher emotionslos ihr bekanntes Programm ab. «Nicht perfekt spielen, aber gewinnen. Das ist das beste Gefühl, was man im Tennis haben kann», sagte Swiatek. Oder das hier: «Performing when it counts», diese Maxime habe ihr ihre Psychologin Daria Abramowicz vor dem Match mit an die Hand gegeben.

Abzuliefern, wenn es darauf ankommt, ist eine besondere Gabe. Im Profisport besitzen sie wirklich nur die Besten. Swiatek ist schon lange die Beste. Mit grossem Vorsprung führt sie seit über hundert Wochen die WTA-Rangliste an. Das ist eine grosse Leistung. Allein das French Open gewann sie drei Mal (2020, 2022, 2023), dazu kommt noch der Major-Titel am US Open vor zwei Jahren. Swiatek ist auch deshalb so erfolgreich, weil es ihr immer wieder gelingt, sich während eines Turniers und auf dem Court in eine Art permanenten und fokussierten Erledigungsmodus zu versetzen. Sie ist dann tagelang gar nicht richtig ansprechbar. Undenkbar zum Beispiel bei Aryna Sabalenka, ihrer grossen Kontrahentin, die manchmal eher zu viel als zu wenig von sich preisgibt.

Swiatek vs Osaka Round 2 Highlights | Roland-Garros 2024

Es ist keine Frage, Swiatek ist ein Superstar im Tennis. Aber eigentlich passt dieses Label gar nicht zu der 23-Jährigen. Denn es gibt bei ihr dieses immer mitschwingende Gefühl, dass etwas fehlt. Kritiker sagen, Swiatek ermangele es am nötigen Charisma, um auch nur in die Nähe von anderen Topspielerinnen wie Sabalenka, der Amerikanerin Coco Gauff oder eben auch Osaka zu kommen.

Die drei Genannten sind Erscheinungen. Sabalenka ist extrovertiert, für jeden Spass zu haben und schrill. Gauff und Osaka vereint ihr Pop-Star-Image. Beide zeigen sich abseits des Courts extravagant, tragen coole Kleidung und scheuen sich nicht, auch einmal Haltung zu nichtsportlichen Themen zu demonstrieren. Sabalenka, Gauff und Osaka leuchten. Swiatek schillert nicht. Sie wirkt immer ein bisschen wie ein braves und sehr normales Mädchen.

Gauff, die US-Open-Siegerin von 2023, hat ihr das am Rande des Turniers in New York einmal zum Vorteil ausgelegt: «Ich kenne Iga von vielen Junioren-Turnieren. Damals war sie noch weit hinten im Ranking. Jetzt ist sie die Nummer 1, und ich muss wirklich sagen, dass sich an ihr nichts geändert hat – ausser ihrem Tennis.» Dazu könne man ihr eigentlich nur gratulieren, so Gauff weiter.

Swiatek ist vielleicht die unprätentiöseste Nummer 1, die das Frauentennis je hatte. Sie mag auch die grossen Auftritte nicht. Auf Pressekonferenzen oder bei den On-Court-Interviews überschlägt sich ihre Stimme regelmässig. Im sogenannten Player-Bereich sieht man sie fast nie. Und wenn, dann eher versteckt in einer Ecke und mit dem Rücken zu allen, die an ihr vorbeimüssen. Wenn man Swiatek doch einmal irgendwo entdeckt, spielt sie entweder mit ihrer Psychologin auf einem Minibrett Schach, oder sie macht Koordinationsübungen. «Ich brauche diese Art des Zur-Ruhe-Kommens, es lenkt mich ab und lässt mich allen Stress vergessen», hat sie einmal gesagt.

Sie ist auf der Tour gefürchtet

Swiatek ist im Tenniszirkus eine Aussenseiterin. Das liegt an ihr selbst und ihrem Verhalten – und sicher auch an ihrem vernichtenden Spielstil. Ihre Bewegungen sind immer schnell, ihre Schläge brutal hart. Viele Punkte baut die Polin um ihren druckvollen Vorhand-Topspin-Schlag auf. Hinzu kommt ein überragendes Return-Spiel. Diese Art der Spiel-Aggressivität macht es ihren Gegnerinnen extrem schwer.

In diesem Tennisjahr hat Swiatek in ihren Matches 23 Mal einen Satz zu null gewonnen. In ihrer gesamten Karriere hat sie in knapp über 40 Prozent ihrer Matches Sätze entweder 6:0 oder 6:1 gewonnen. Das sind sensationelle Werte. Swiatek ist eine brutale Tennisspielerin, die wie keine Sportlerin vor ihr gelernt hat, auch den Kopf als Waffe einzusetzen. Auch deshalb ist sie auf der Tour so gefürchtet. «Meine Arbeit ist eben nicht, Matches zu gewinnen. Das ist das Ergebnis meiner Arbeit. Verwechseln Sie nicht Arbeit und Ergebnis. Meine Arbeit ist, meine Beine gut zu bewegen, richtig zu atmen, mich auf den Ball zu konzentrieren und auf meine Schlagtechnik. Ob ich den Match gewinne oder verliere, das liegt ja nicht allein an mir. Das liegt auch an meiner Gegnerin», hat Swiatek einmal dem Magazin «Red Bulletin» gesagt.

Es sind Sätze, die sich glatt anhören. Und die auch etwas roboterhaft wirken. Osaka hat nach ihrer unglücklichen Niederlage gegen Swiatek erzählt, dass sie in ihr Tagebuch, das sie immer bei sich trägt, den Satz «Ich bin stolz auf dich» geschrieben habe. Derartige intime Einblicke in ihr Seelenleben würde man von der Regentin des Frauentennis niemals bekommen. Aber sie fährt damit ja gut. Vermutlich auch wieder am French Open, ihrem Lieblingsturnier. Schon bald wird Swiatek wieder in den Erledigungsmodus schalten. Augen zu und durch. Die Show können gerne die anderen übernehmen.

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