Mysteriöses trägt sich zu auf einem Wissenschaftskongress in den Schweizer Alpen. Den Drei-Länder-Thriller muss man für seine Ambitioniertheit würdigen, aber er ist auch furchtbar aufgebläht.
Wer hätte gedacht, dass das Geheimnis der im Superheldenkino so präsenten Multiversen in geheimen Gängen unter den Schweizer Alpen zu finden ist? Niemand. Aber keine Sorge: Auch wenn Timm Krögers aalglatt geratener Science-Fiction-Meta-Noir «Die Theorie von allem» genau das nahelegt, braucht man sich nicht länger damit zu befassen.
Die Geschichte um den jungen Physikdoktoranden Johannes Leinert (Jan Bülow) und seine mysteriösen Erlebnisse auf einem eigentlich nie stattfindenden Wissenschaftskongress in einem eingeschneiten Alpenhotel Anfang der 1960er Jahre dient dem jungen deutschen Filmemacher nur als Vorwand. Dies für eine durchwegs nett anzusehende, aber arg kalkulierte Hommage an das Kino, insbesondere den Film noir und den übersinnlichen deutschen Nachkriegsfilm.
Wie das so ist bei Thrillern dieser Art, dreht sich alles um ein Vakuum, etwas Unheimliches, Ungelöstes. Ob der Film aufgeht oder nicht, hängt vereinfacht daran, wie sehr man sich als Zuschauer für dieses Vakuum begeistert. Leinert jedenfalls wird als Mann präsentiert, der sich nicht gerade der Logik der Dinge verschreibt, sondern dem Unerklärlichen. Er ist Eigenbrötler und Romantiker, und natürlich trifft eine solche Figur auf eine junge, geheimnisvolle Frau, eine Jazzmusikerin in der Almkapelle, Karin (Olivia Ross), die ihn weiter an ein dunkles Mysterium rund um seltsame Wolkenformationen, unterirdische Stollen für den Uranabbau und länger lebende Totgeglaubte führt.
Ebenfalls involviert in mögliche Verschwörungen und private Sinnkrisen sind der Leinerts Doktorarbeit betreuende und stets skeptisch dreinschauende Dr. Strathen (Hanns Zischler) und der dem Alkohol verfallene Prof. Blumberg (Gottfried Breitfuss). Die beiden repräsentieren zwei Extreme des wissenschaftlichen Denkens: das Nüchterne und das nach den Sternen Greifende. Genau diese beiden Extreme verbindet auch der Film. Leider nicht immer auf die beste Art und Weise.
Nüchtern und wirr zugleich
Jedes Bild will beeindrucken. Nie fällt man in jenen traumähnlichen Zustand, den der Film provozieren will. Es ist so, als würde es aus den Bildern ständig schreien: Folge mir, folge mir! Aber gerade weil man das so deutlich hört, bleibt man distanziert. Der Film, eine deutsch-österreichisch-schweizerische Koproduktion, ist zugleich zu nüchtern und zu wirr, zu überlegt und zu ziellos. Für einen Pastiche der Noir-Ästhetik oder der schrulligen deutschen Zombiefilme der 1960er Jahre ist er viel zu glatt, zu sauber. Ein bisschen ist er immer das, was er gerade nicht sein soll.
Am deutlichsten wird das, als gegen Ende die Märchenonkelstimme Dominik Grafs erschallt, um in einem langen Voice-over emotionale Tiefen zu eröffnen, die der Film schlicht nicht hat. Dazu ist Leinerts Liebe zu Karin zu offensichtlich generisch, seine Selbstzweifel zu sehr Drehbuchhandwerk, die sich eröffnenden Rätsel zu vorhersehbar. Ein gutes Beispiel für diese ausgestellte Gemachtheit der Handlung ist eine Szene, in der ein Junge, der das Geheimnis der Stollen kennt, plötzlich ins Bild läuft, um Leinert zur Seite zu ziehen und ihm mehr zu verraten. Warum der Junge das tut, ist dem Film egal. Hauptsache, es darf weitergerätselt werden.
Die titelgebende Theorie ist eine Art MacGuffin, also ein Konstrukt, das nur dazu da ist, die Handlung voranzutreiben. Sie könnte alles und nichts sein. Kröger nutzt das, um einmal mit der Idee mächtiger Nazi-Waffen à la Indiana Jones, einmal mit Atomangst, einmal mit Science-Fiction-Zeitreise-Träumen und einmal, im Stile Fritz Langs, mit dem ultimativen Bösen zu spielen. In irgendeiner Weise hängt sie an den vom Superheldenkino so nervtötend propagierten Multiversen. Es geht also darum, dass es parallele Wirklichkeiten geben könnte und was mit einem Menschen geschähe, würde er bezweifeln müssen, überhaupt noch er selbst zu sein. Den philosophischen und psychologischen Implikationen versucht Kröger gar nicht erst gerecht zu werden. Er möchte vor allem grosses Kino machen.
Ist das Absicht?
Wie sehr sich der Film als Film verstanden wissen will, offenbart sich insbesondere im alles bedeckenden, hochdramatischen Einsatz einer an das klassische Hollywoodkino gemahnenden Filmmusik. Nur hat sich etwas verschoben. Bereits existierende Effekte lassen sich nicht so leicht ins Heute übertragen. Sieht man sich beispielsweise die berühmte Duschszene in Hitchcocks «Psycho» an, vermittelt Bernard Herrmanns Musik Horror. Würde man eine ähnliche Musik in einer ähnlich brutalen Szene heute einsetzen, wäre der Effekt der einer Verfremdung. Man würde aus der Wirklichkeit des Films fallen und diesen als Film wahrnehmen. Das passiert in «Die Theorie von allem» die ganze Zeit, und man fragt sich, ob das beabsichtigt ist.
Aber damit nicht genug mit der Effekthascherei. Auch die Schauspieler scheinen immer zu spielen, dass sie in einem Film spielen. Ihre Dialoge klingen nie so, als ginge es ihnen um etwas, sondern so, als würden sie etwas sagen, um ins Dekor zu passen. Viele Einstellungen wirken wie Zitate, nur dass in ihnen nichts mehr gesagt wird. Versiert wird mit Tiefenschärfe und Low-Angle-Einstellungen hantiert. Das aber ist blosse Grammatik ohne Herz. Es sind leere Hüllen von Bildern, die so wirken, als wären sie vor langer Zeit gedreht und technisch ins digitale Zeitalter überführt worden. Vielleicht ist das auch Absicht und der Film reflektiert sich damit selbst als Teil eines cineastischen Multiversums. Es ist Kröger durchaus zuzutrauen, dass er auch diesen Einfall hatte, schliesslich sind fehlende Ideen kein Problem des Films.
Eigentlich ist es durchaus sympathisch, dass hier jemand einen ambitionierten, eigenwilligen und kinoliebenden Film dreht. In mancher Sequenz, etwa bei einem Skiausflug, ergreift einen dann auch das angenehme Spannungskribbeln, auf das der Film so überdeutlich schielt. Nie aber wird klar, weshalb es diesen stilistischen Überschuss braucht, ausser aus reinem Selbstzweck. Und damit widerspricht «Die Theorie von allem» einer entscheidenden Qualität seiner stilistischen Vorbilder, nämlich deren Effizienz, wenn es um die Wahl der Mittel geht. Direktheit statt Firlefanz und schlichte Präzision statt aufgeblähter Ästhetik, dazu braucht es keine Theorie.