Montag, September 30

In Bereichen, die von psychologischen Schwankungen, Irrationalität und Zufälligkeit beeinflusst werden, ist es gefährlich, sich auf Prognosen zu verlassen. Politik und Wirtschaft sind zwei dieser Bereiche, und Investieren ist ein weiterer.

Anmerkung der Redaktion: Die englische Originalversion dieses Artikels wurde letzte Woche verfasst, bevor US-Präsident Biden seine Kandidatur für eine Wiederwahl aufgab.

Der Anstoss für meine Memos kann jeweils aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen stammen. Dieses Memo wurde durch einen Artikel in der «New York Times» vom Dienstag, 9. Juli, inspiriert. Was mir auffiel, waren ein paar Worte im Untertitel: «Sie hat keine Zweifel.» Das Zitat stammte von Ron Klain, dem ehemaligen Stabschef der Biden-Administration. Das Thema lautete, ob Präsident Biden weiterhin für die Wiederwahl kandidieren sollte. Und mit «sie» im Untertitel war Jen O’Malley Dillon gemeint, Bidens Wahlkampfleiterin. Im Artikel wurde sie mit den Worten zitiert: «Joe Biden wird gewinnen, Punkt», und zwar machte sie diese Aussage in den Tagen vor der Debatte gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump am 27. Juni.

Und damit hatte ich das Thema für dieses Memo: Es geht mir nicht darum, ob Biden seinen Wahlkampf fortsetzen oder aufgeben wird – oder ob er gewinnt, wenn er seine Kampagne weiterzieht. Vielmehr befasse ich mich mit der Frage, wie man keine Zweifel haben kann. Angesichts der ungewissen Halbwertszeit von Bidens Kandidatur ist dies ein weiteres Memo, in dem ich mich kurzfassen werde.

Die Wahl dieses Themas erinnert mich an eine andere Gegebenheit. Ich hörte damals, wie eine hoch qualifizierte Person absolute Gewissheit ausdrückte. Ein anerkannter Experte für internationale Politik sagte zu einer Gruppe, der ich angehörte, es bestehe «eine 100%- Wahrscheinlichkeit, dass die Israelis die Atomwaffen des Irans noch vor Jahresende «ausschalten» werden». Der Sprecher schien ein echter Insider zu sein, und ich hatte keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Doch das war 2015 oder 2016, und ich warte immer noch darauf, dass seine Aussage «vor Jahresende» eintritt (zu seiner Verteidigung: Er sagte nicht, in welchem Jahr).

Wie ich in meinem Memo «The Illusion of Knowledge» vom September 2022 angedeutet habe, gibt es keine Möglichkeit, dass ein Makro-Experte eine Prognose erstellt, die all die vielen Variablen, die unserem Wissen nach die Zukunft beeinflussen werden, und zugleich zufällige Einflüsse, die wir gar nicht kennen können, korrekt berücksichtigt. Aus diesem Grund habe ich bereits in der Vergangenheit argumentiert, dass Anleger und andere Personen, die den Unwägbarkeiten künftiger makroökonomischer Entwicklungen ausgesetzt sind, Begriffe wie «wird», «wird nicht», «muss», «kann nicht», «immer» und «nie» vermeiden sollten.

Politik

Als die US-Präsidentschaftswahlen von 2016 anstanden, waren sich fast alle über zwei Aspekte sicher: a) Hillary Clinton wird gewinnen, aber falls b) Donald Trump durch eine Laune des Schicksals gewinnen sollte, würde der Aktienmarkt einbrechen. Die Experten, die sich am wenigsten sicher waren, sagten, dass Clinton mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% gewinnen würde, und die geschätzte Wahrscheinlichkeit ihres Wahlsiegs nahm von diesem Niveau aus weiter zu.

Dennoch gewann Trump, und der US-Aktienmarkt stieg in den folgenden vierzehn Monaten um mehr als 30%. Die meisten Prognostiker reagierten darauf, indem sie ihre Modelle adjustierten und versprachen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Meine Antwort war: «Wenn dies nicht ausreicht, um uns davon zu überzeugen, dass wir a) nicht wissen, was passieren wird, und wir b) nicht wissen, wie die Märkte auf das reagieren werden, was tatsächlich passieren wird, dann weiss ich auch nicht weiter.»

Schon bevor die Präsidentschaftsdebatte vor drei Wochen zu einem heiss diskutierten Thema wurde, äusserte sich niemand, den ich kenne, sehr zuversichtlich über den Ausgang der Wahlen. Heute würde Frau O’Malley Dillon ihren Standpunkt bezüglich der Gewissheit eines Siegs von Biden wahrscheinlich abschwächen und erklären, dass sie vom Ausgang der Debatte überrumpelt wurde. Doch genau das ist der Punkt! Wir wissen nicht, was passieren wird. Zufälle kommen vor.

Manchmal laufen die Dinge so, wie es die Leute erwartet haben. Sie schliessen dann daraus, dass sie wussten, was passieren würde. Und manchmal weichen die Ereignisse von den Erwartungen der Leute ab. Dann sagen sie, dass sie Recht gehabt hätten, wenn nur nicht ein unerwartetes Ereignis eingetreten wäre. In beiden Fällen bestand jedoch die Chance für etwas Unerwartetes – und damit für eine fehlerhafte Prognose. Im letzteren Fall trat etwas Unerwartetes ein, im ersteren nicht. Das sagt aber nichts über die Wahrscheinlichkeit aus, ob etwas Unerwartetes eintritt.

Makroökonomie

Im Jahr 2021 vertrat die US-Notenbank die Ansicht, dass sich die damalige Inflationswelle als «vorübergehend» erweisen würde. Nachfolgend definierte sie «vorübergehend» als temporär, als nicht fest verankert und als wahrscheinlich selbstkorrigierend. Ich denke, das Fed hätte Recht behalten, wenn es genug Zeit gehabt hätte. Die Inflation hätte sich womöglich in drei oder vier Jahren von selbst zurückgebildet. Dies, nachdem a) die Covid-19-Hilfsgelder, die den sprunghaften Anstieg der Konsumausgaben verursacht hatten, aufgebraucht waren und b) sich die globalen Lieferketten normalisiert hatten. (Hätte sich das Wirtschaftswachstum allerdings nicht verlangsamt, wäre damit das Risiko einhergegangen, dass sich in diesen drei bis vier Jahren eine Inflationspsychologie festgesetzt und noch stärkere Gegenmassnahmen erforderlich gemacht hätte). Da sich die 2021 gemachte Einschätzung der US-Notenbank jedoch nicht bestätigte und ein längeres Zuwarten unhaltbar wurde, sah sie sich gezwungen, eines der historisch schnellsten Programme zur Erhöhung der Zinsen zu lancieren, was tiefgreifende Auswirkungen nach sich zog.

Mitte 2022 galt es als so gut wie sicher, dass die Zinserhöhungen des Fed eine Rezession auslösen würden. Es schien plausibel, dass der drastische Anstieg der Zinsen die Wirtschaft erschüttern würde. Ausserdem geht aus der Geschichte deutlich hervor, dass umfangreichere Zinserhöhungen der Zentralbanken fast immer zu einer Kontraktion der Wirtschaft führen und nicht zu einer «weichen Landung». Und dennoch ist es bisher nicht zu einer Rezession gekommen.

Der Konsens unter den Marktbeobachtern bestand Ende 2022 stattdessen darin, dass a) die Inflation nachlassen und das Fed damit die Möglichkeit haben würde, mit Zinssenkungen zu beginnen, und (b) Zinssenkungen es der Wirtschaft ermöglichen würden, eine Rezession zu vermeiden, oder gewährleisten würden, dass ein potenzieller Abschwung mild und von kurzer Dauer sein würde. Dieser Optimismus löste Ende 2022 eine Rally am Aktienmarkt aus, die bis heute anhält.

Und trotzdem: Die für 2023 erwarteten Zinssenkungen, welche die Grundlage für die Rally bildeten, blieben aus. Als dann im Dezember 2023 der Zinsausblick des Fed-Gremiums drei Lockerungen für 2024 in Aussicht stellte, wurden die Optimisten, die den Markt anheizten, noch deutlich zuversichtlicher und rechneten mit sechs Zinssenkungen. Die Hartnäckigkeit der Inflation hat bisher jedoch jede Zinssenkung verhindert, und das Jahr 2024 ist bereits mehr als zur Hälfte vorbei. Nun hat sich der Konsens auf eine erste Lockerung im September geeinigt. Und der Aktienmarkt erreicht laufend neue Höchststände.

Die Optimisten würden heute wahrscheinlich sagen: «Wir hatten Recht. Seht euch diese Kursgewinne an!» Doch was die Zinssenkungen betrifft, lagen sie schlichtweg falsch. Mir ruft das alles nur ein weiteres Mal in Erinnerung, dass wir nicht wissen, was passieren wird oder wie die Märkte auf das, was passieren wird, reagieren werden.

Conrad DeQuadros von Brean Capital, mein Lieblingsökonom (was für ein Oxymoron!), hat für dieses Memo einen interessanten Aspekt zum Thema Schlussfolgerungen von Ökonomen geliefert:

«Ich verwende den Anxious Index des Philly Fed (die Wahrscheinlichkeit eines Rückgangs des realen Bruttoinlandprodukts im nächsten Quartal) als Indikator dafür, dass eine Rezession abgeschlossen ist. Zum Zeitpunkt, an dem mehr als 50% der befragten Ökonomen für das nächste Quartal einen Rückgang des realen Bruttoinlandprodukts prognostizieren, ist die Rezession vorbei oder steht kurz vor dem Ende.» (Hervorhebung hinzugefügt)

Mit anderen Worten: Das Einzige, was man mit Gewissheit sagen kann, ist die Schlussfolgerung, dass Ökonomen sich nicht mit Gewissheit äussern sollten.

Märkte

Wer zu den wenigen Leuten gehörte, die im Oktober 2022 korrekt vorhersagten, dass das Fed die Zinsen in den nächsten zwanzig Monaten nicht senken würde, lag absolut richtig … und wer sich aufgrund dieser Vorhersage von der Börse fernhielt, hat einen Gewinn von etwa 50% des S&P 500 verpasst. Optimisten hinsichtlich Zinssenkungen hingegen lagen mit ihren Prognosen grundfalsch, sind heute aber wahrscheinlich wesentlich reicher. In der Tat ist es also ausgesprochen schwierig, das Verhalten der Märkte richtig einzuschätzen. Ich möchte an dieser Stelle aber keine Zeit dafür aufwenden, die verschiedenen Fehler zu katalogisieren, die sogenannte Marktkenner begehen.

Stattdessen möchte ich mich darauf konzentrieren, warum so viele Prognosen zu den Märkten fehlschlagen. Die Performance einer Volkswirtschaft und eines Unternehmens mag zwar zu Vorhersagbarkeit tendieren, zumal die Kräfte, die darauf Einfluss nehmen, etwas … sagen wir einmal … mechanisch sind. In dieser Hinsicht kann man mit einem gewissen Mass an Sicherheit festhalten: «Wenn A eintritt, dann folgt B». Prognosen haben hier also eine gewisse Chance, sich als korrekt zu erweisen. Das ist aber meistens dann der Fall, wenn die bestehenden Trends unvermindert anhalten und die Extrapolation funktioniert.

Märkte unterliegen jedoch stärkeren Schwankungen als Volkswirtschaften und Unternehmen. Weshalb? Weil psychologische Aspekte oder die Emotionen der Marktteilnehmer enorm wichtig und unvorhersehbar sind. Dank erneuter Hilfe von Conrad DeQuadros kann ich die grössere Schwankungsbreite von Märkten folgendermassen veranschaulichen:

Standardabweichung der jährlichen prozentualen Veränderungen über 40 Jahre:

  • BIP: 1.8%
  • Unternehmensgewinne: 9.4
  • Kurs des S&P 500: 13.1

Woran liegt es also, dass die Aktienkurse so viel stärker steigen und fallen als die fundamentale Entwicklung von Volkswirtschaften und Unternehmen? Und weshalb lässt sich das Verhalten der Märkte so schwer vorhersagen und hat oft scheinbar nichts mit wirtschaftlichen Ereignissen und den Fundamentaldaten der Unternehmen zu tun? Die «Wissenschaften» auf dem Gebiet Finanzen – Ökonomie und Finance – gehen davon aus, dass jeder Marktteilnehmer ein homo oeconomicus ist: jemand, der rationale Entscheidungen trifft, um sein finanzielles Eigeninteresse zu maximieren. Die entscheidende Rolle, die Psychologie und Emotionen spielen, führt jedoch häufig dazu, dass diese Annahme falsch ist. Die Stimmung der Anleger schwankt enorm stark und überlagert den kurzfristigen Einfluss der Fundamentaldaten. Aus diesem Grund erweisen sich relativ wenige Marktprognosen als richtig, und noch weniger sind sie «aus dem richtigen Grund richtig».

* * *

Derzeit machen Experten alle möglichen Prognosen über die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Viele ihrer Schlussfolgerungen scheinen gut begründet und klingen sogar überzeugend. Wir hören und lesen Aussagen derjenigen, die glauben, dass Biden aussteigen sollte oder nicht aussteigen sollte; derjenigen, die glauben, dass er es tun wird oder nicht tun wird; derjenigen, die glauben, dass er gewinnen kann, wenn er im Rennen bleibt; und derjenigen, die glauben, dass er sicher verlieren wird. Es ist offensichtlich, dass Intelligenz, Bildung, Zugang zu Daten und die Fähigkeit zu analytischem Denken nicht ausreichen, um korrekte Prognosen zu erstellen. Viele dieser Kommentatoren verfügen über solche Eigenschaften, aber natürlich werden sie nicht alle richtig liegen.

Im Lauf der Jahre habe ich oft die weisen Worte von John Kenneth Galbraith zitiert. Von ihm stammt der Ausspruch: «Es gibt zwei Arten von Prognostikern: diejenigen, die nichts wissen, und diejenigen, die nicht wissen, dass sie nichts wissen.» Ich verwende dieses Zitat immer wieder. Ein weiteres Lieblingszitat von Galbraith stammt aus seinem Buch «A Short History of Financial Euphoria». Bei der Beschreibung der Gründe für «euphorische Spekulation und den programmierten Zusammenbruch» geht er auf zwei Faktoren ein, «die in unserer Zeit oder in vergangenen Zeiten kaum beachtet wurden. Einer davon ist die extreme Kurzlebigkeit des finanziellen Gedächtnisses». Auch ich führe diesen Faktor oft an.

Ich kann mich aber nicht erinnern, jemals über Galbraiths zweiten Faktor geschrieben zu haben, seinen Aussagen nach «der trügerische Zusammenhang von Geld und Intelligenz». Wenn Menschen reich werden, nehmen andere an, dass sie klug sind. Und wenn Investoren erfolgreich sind, wird oft angenommen, dass ihre Intelligenz zu ähnlich guten Ergebnissen in anderen Bereichen führen kann. Ausserdem glauben erfolgreiche Investoren oft an die Potenz ihres eigenen Intellekts und äussern sich zu Themen, die nichts mit Investieren zu tun haben.

Der Erfolg von Investoren kann aber auch das Ergebnis einer Reihe von Glücksfällen oder eines vorteilhaften Umfelds sein und nicht das Ergebnis eines besonderen Talents. Sie mögen intelligent sein oder auch nicht, oft wissen sie jedoch nicht mehr als die meisten anderen über Themen ausserhalb der Geldanlage. Dennoch halten sich viele von ihnen mit ihrer Meinung nicht zurück, und ihren Ansichten wird in der breiten Bevölkerung oft ein hoher Wert zugemessen. Das ist der trügerische Teil, Galbraiths zweiter Faktor. Und gerade heute erleben wir einige Investoren, die sich mit Überzeugung zu allen Aspekten der Wahlen und damit verbundenen Themen äussern.

Es ist hier viel über diejenigen gesagt worden, die Gewissheit ausstrahlen. Wir alle kennen Menschen, die wir als «oft im Unrecht, aber nie im Zweifel» beschreiben würden. Das erinnert mich an ein anderes meiner Lieblingszitate, eines das (vielleicht nicht ganz korrekt) Mark Twain zugeschrieben wird: «Es ist nicht das, was wir nicht wissen, das uns in Schwierigkeiten bringt, sondern das, was wir mit Sicherheit wissen, sich aber als falsch herausstellt.»

Mitte 2020, als sich die Pandemie zu einem mehr oder weniger gewohnten Phänomen entwickelte, verlangsamte ich mein Tempo im Vergleich zum März und April, als ich jede Woche ein Memo schrieb. Im Mai nutzte ich die Gelegenheit für zwei Memos, die nichts mit Covid zu tun hatten und die den Titel «Uncertainty» und «Uncertainty II» trugen. Darin räumte ich dem Thema intellektuelle Demut viel Platz ein. Obwohl sich diese Memos mit einem meiner Lieblingsthemen beschäftigten, gab es kaum Reaktionen darauf. Daher werde ich ein wenig aus «Uncertainty» zitieren und Ihnen hoffentlich einen Grund geben, sich die Memos noch einmal anzusehen.

Hier ist ein Abschnitt aus dem Artikel, durch den ich zum ersten Mal auf das Thema intellektuelle Demut aufmerksam geworden bin:

«Nach der Definition der Autoren ist intellektuelle Demut das Gegenteil von intellektueller Arroganz oder Eitelkeit. Im allgemeinen Sprachgebrauch ähnelt sie Weltoffenheit. Intellektuell demütige Menschen können feste Überzeugungen haben, sind sich aber ihrer Fehlbarkeit bewusst und bereit, sich in grossen und kleinen Angelegenheiten eines Besseren belehren zu lassen.» (Alison Jones, «Duke Today», 17. März 2017)

… Einfach ausgedrückt bedeutet intellektuelle Demut zu sagen: «Ich bin mir nicht sicher», «Die andere Person könnte Recht haben» oder sogar «Ich könnte falsch liegen». Ich denke, dass dies eine essentielle Eigenschaft für Investoren ist; ich weiss, dass sie bei den Menschen, mit denen ich gerne zu tun habe, vorhanden ist …

Keine Aussage, die mit «Ich weiss es nicht, aber …» oder «Ich könnte falsch liegen, aber …» beginnt, hat jemals jemanden in grössere Schwierigkeiten gebracht. Wenn wir zugeben, dass wir uns unsicher sind, werden wir nachforschen, bevor wir investieren, unsere Schlussfolgerungen doppelt überprüfen und mit Umsicht vorgehen. In guten Zeiten verhalten wir uns vielleicht suboptimal, aber es ist unwahrscheinlich, dass wir durchdrehen oder zusammenbrechen. Andererseits werden Menschen, die sich sicher sind, möglicherweise auf diese Zurückhaltung verzichten – und wenn sie sich sicher sind und falsch liegen, kann das Ergebnis, wie das Zitat von Mark Twain nahelegt, katastrophal sein …

… Voltaire hat es vor 250 Jahren möglicherweise am besten gesagt: Zweifel ist kein angenehmer Zustand, aber Gewissheit ist absurd.

In Bereichen, die von psychologischen Schwankungen, Irrationalität und Zufälligkeit beeinflusst werden, ist schlichtweg kein Platz für Gewissheit. Politik und Wirtschaft sind zwei dieser Bereiche, und Investieren ist ein weiterer. In diesen Bereichen kann niemand zuverlässig vorhersagen, was die Zukunft bringt, aber viele Menschen überschätzen ihre Fähigkeiten und versuchen es trotzdem. Der Verzicht auf Gewissheit kann Sie vor Schwierigkeiten bewahren. Ich empfehle Ihnen nachdrücklich, danach zu handeln.

P.S.: Die Grand-Slam-Tennisturniere des vergangenen Sommers hatten mich zu meinem Memo «Fewer Losers, or More Winners?» inspiriert. Auch das Endspiel der Damen in Wimbledon am Samstag vor einer Woche lieferte einen Beitrag für dieses Memo. Barbora Krejcikova setzte sich gegen Jasmine Paolini durch und gewann den Titel. Vor dem Turnier wurde Krejcikova in den Wettbüros bloss eine Quote von 125:1 auf den Sieg eingeräumt. Mit anderen Worten: Die Leute waren sich sicher, dass sie nicht gewinnen würde. Die meisten Leute, die auf das Spiel wetteten, mögen zu Recht an Krejcikovas Potenzial gezweifelt haben. Doch wie es scheint, hätten sie sich bei ihren Prognosen nicht ganz so sicher sein sollen.

Und da wir gerade von Unvorhersehbarem sprechen: Ich will es nicht versäumen, das Attentat auf Donald Trump zu erwähnen; ein Ereignis, das durchaus schwerwiegendere und weitreichendere Folgen hätte haben können. Selbst jetzt, nachdem es passiert ist und Trump einer ernsthaften Verletzung entgangen ist, kann niemand mit Sicherheit sagen, wie es sich auf die Wahlen (obwohl es derzeit Trumps Chancen zu verbessern scheint) oder die Märkte auswirken wird. Wenn überhaupt, dann bestärkt es mich in meinem Fazit: Prognosen zu machen, ist grösstenteils ein Spiel für Verlierer.

Bei diesem Gastbeitrag handelt es ich um eine Übersetzung des jüngsten Memos von Howard Marks. Die englische Originalfassung sowie ein dazugehöriger Podcast sind unter diesem Link auf der Website von Oaktree Capital abrufbar.

Howard Marks

Howard Marks ist Co-Chairman von Oaktree Capital Management. Seit der Gründung von Oaktree 1995 ist er dafür verantwortlich, dass sich die US-Investmentgesellschaft nach den Kernprinzipien ihrer Anlagephilosophie richtet. Er pflegt einen engen Kontakt zu Kunden hinsichtlich Anlageprodukten sowie Strategien. Zudem bringt er seine Erfahrung ein, wenn es um fundamentale Entscheide zu Investitionen und der Unternehmensausrichtung geht. Howard Marks ist in der internationalen Finanzbranche für seine «Memos» an Oaktree-Kunden bekannt. Warren Buffett hat dazu einmal gesagt: «Wenn ich ein Memo von ihm in meiner Mailbox sehe, ist es das Erste, was ich öffne und lese. Ich lerne dabei immer etwas.»
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