Montag, September 30

Der Greenback hat sich in den vergangenen Tagen deutlich abgewertet – vor allem zum Yen, aber auch zum Franken und zum Euro. Das ist erst der Anfang einer grösseren Bewegung, denn angesichts baldiger Zinssenkungen in den USA setzt ein neuer Zyklus an den Devisenmärkten ein.

Im grossen Bild der Dinge stehen die Zeichen auf Veränderung. Wir vermuten, dass die seit Langem erwartete Trendwende beim Dollar kurz bevorsteht. Der Grund: In den USA neigt sich das bisherige Regime aus straffer Geldpolitik und lockerer Fiskalpolitik dem Ende zu.

Die Abschwächung des Preisdrucks in den letzten drei Monaten stärkt die Zuversicht des Federal Reserve, dass sich die Inflation auf das Ziel von 2% zurückbildet. Jerome Powell, der Chef der US-Notenbank, gab zum Abschluss der Fed-Sitzung Ende Juli das bisher deutlichste Signal, dass er die Zinsen an der nächsten Sitzung wahrscheinlich senken wird.

Die Markterwartungen hinsichtlich einer lockeren Geldpolitik könnten am Wirtschaftssymposium in Jackson Hole Ende August bestätigt werden. Der sprunghafte Anstieg der US-Arbeitslosenquote nach einer Reihe anderer schwacher Arbeitsmarktdaten hat die Erwartungen für einen «Doppelschritt» von 50 Basispunkten zu Beginn des kommenden Zinssenkungszyklus verstärkt.

Die Lockerung der Geldpolitik in Ländern mit hohem Einkommen dürfte sich in den nächsten Monaten beschleunigen, mit Ausnahme von Japan. Der Konsens geht davon aus, dass dieser Zyklus nicht nur nächstes Jahr anhalten, sondern sich auch bis ins Jahr 2026 fortsetzen wird. Nimmt man die jüngere Vergangenheit als Anhaltspunkt, wird die weitere Entwicklung des Dollars jedoch primär von der US-Geldpolitik abhängen und weniger von Zinssenkungen anderer Zentralbanken.

Dieses Muster liess sich gut im vierten Quartal 2023 beobachten, und dann ebenso bei der Trendumkehr in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres, als der Markt die Erwartung aggressiver Zinssenkungen revidierte. Im Dezember 2023 signalisierte das Fed drei Zinssenkungen für 2024. Die Märkte rechneten bis Mitte Januar 2024 mit mehr als sechs. Der Dollar sackte im vierten Quartal 2023 drastisch ab, erholte sich dann aber im ersten Quartal 2024 ebenso schnell, als die Märkte ihre Erwartungen auf Zinssenkungen dämpften.

Auf die Gefahr hin, die Dinge etwas allzu sehr zu vereinfachen, rechnen wir deshalb damit, dass die bevorstehende Wende in der US-Geldpolitik einen ähnlichen Abwärtsdruck auf den Dollar ausüben wird wie gegen Ende des letzten Jahres.

Veränderungen in der Grosswetterlage

Mit Blick auf das makroökonomische Umfeld sind zwei neue Faktoren im Spiel. Seit der US-Präsidentschaftsdebatte Ende Juni und dem anschliessenden Attentat hielten viele Beobachter eine zweite Amtszeit Donald Trumps für praktisch unvermeidlich. Trump und sein Vize-Kandidat J.D. Vance sind der Ansicht, dass der feste Dollar die Wettbewerbsfähigkeit Amerikas untergrabe und andere Länder ihre Währung absichtlich schwach halten würden, um ihre Exportwirtschaft zu bevorteilen.

Dieses Narrativ, das die USA als Opfer darstellt und zugleich eine Kampfansage ist, scheint bei vielen Amerikanerinnen und Amerikanern auf Anklang zu stossen. Mit dem Entscheid von Präsident Biden, seine Kandidatur zurückzuziehen, hat sich die Dynamik im Rennen um das Weisse Haus jedoch verändert. Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es so aus, dass der Ausgang der Wahlen am 5. November knapp wird und sich in einigen wenigen Swing States (Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Georgia und Arizona) entscheiden könnte.

Der zweite neue Faktor ist die Abschwächung des US-Arbeitsmarkts. Die Sahm Rule, wonach die amerikanische Wirtschaft in eine Rezession abgleitet, wenn der Dreimonatsdurchschnitt der Arbeitslosenquote um 0,5 Prozentpunkte über den Tiefststand der letzten 12 Monate steigt, ist erfüllt.

Die bisherige Fed-Politik wurde in einer Periode festgelegt, in der sich die amerikanische Wirtschaft überhitzte. Dieses Risiko besteht heute nicht mehr. Das Fed wird die Zinsen deshalb wahrscheinlich stärker lockern, als es in seiner letzten Prognose Mitte Juni angedeutet hatte.

Das Erbe von Bretton Woods

Angesichts dieser Entwicklungen erscheint es lohnenswert, sich etwas mit der Geschichte zu befassen. Die Rolle Dollars als globale Reservewährung wurde Amerika nicht von ausländischen Mächten aufgezwungen. Vielmehr wurde sie von US-Regierungsvertretern und US-Banken nach dem Zweiten Weltkrieg freiwillig gesucht und bewusst übernommen.

Das Grundgerüst dafür wurde an der Bretton-Woods-Konferenz im Sommer 1944 festgelegt. Diesen Monat sind es 53 Jahre her, dass das Bretton-Woods-System durch die unilaterale Abkopplung des Dollars von Gold zusammengebrochen ist. Seither haben sich die US-Regierung und amerikanische Unternehmen bemüht, die Funktion des Dollars als Reservewährung zu erhalten, was in der Ära freier Wechselkurse gelungen ist.

Die globale Rolle des Dollars wurde in Washington stets als integrales Instrument der amerikanischen Machtprojektion verstanden. Darüber hinaus setzen ihn die USA seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als Waffe ein, um die Finanzierung von Terrorismus zu unterbinden und um Staaten zu sanktionieren, die versuchen, amerikanischen Interessen zu schaden.

Das Ausmass solcher Sanktionen führt in der Weltgemeinschaft zu wachsender Besorgnis. US-Finanzministerin Janet Yellen hat vor wenigen Wochen eingeräumt, dass Massnahmen dieser Art die Dominanz des Dollars letztlich schwächen könnten. Dies, weil sich andere Staaten verstärkt veranlasst sehen, Umgehungslösungen zu finden; das heisst, auf andere Zahlungssysteme auszuweichen, die nicht vom Dollar oder vom Federal Reserve abhängen.

Die Opec und der Petrodollar

Die merkantilistische Handelspolitik im Fall einer zweiten Amtszeit Trumps würde den Dollar in einer Phase zusätzlich schwächen, in der sich ohnehin eine Trendwende im US-Währungszyklus abspielt. Wie wir verschiedentlich argumentiert haben, war der Dollar gemäss dem OECD-Richtmass zur Kaufkraftparität zuletzt gegenüber dem Yen und dem Euro stärker überbewertet als am Vorabend des Plaza-Abkommens von 1985, als die G5-Staaten (Kanada und Italien waren ausgenommen) eine Intervention koordinierten, um die US-Valuta abzuwerten.

Die bevorstehende zyklische Abwertung des Dollars sollte jedoch nicht mit einer generellen «Entdollarisierung» des globalen Finanzsystems verwechselt werden. Die Dominanz des Dollars hängt auch nicht entscheidend davon ab, dass er zur Fakturierung und Abrechnung von Handelsgeschäften genutzt wird, selbst wenn kein US-Unternehmen an der Transaktion beteiligt ist.

In der Echokammer des Internets ist viel darüber spekuliert worden, dass ein angeblich seit fünfzig Jahren bestehendes Abkommen zwischen den USA und Saudi-Arabien über die Denominierung des Ölpreises in Dollar abgelaufen sei. Eine solche Vereinbarung existierte nie, und selbst wenn ein Teil der Opec-Länder andere Währungen bei der Preisbildung akzeptieren würde, würde dies die Vormachtstellung des Dollars nicht in Frage stellen.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise haben ihre Währungen an den Dollar gekoppelt. Das hat zur Folge, dass sie ihre Geldpolitik an das Federal Reserve auslagern. Entsprechend dürften die beiden Opec-Staaten mit hoher Wahrscheinlichkeit den Lockerungsmassnahmen des Fed folgen, wenn es die Zinsen im September senkt; ebenso Hongkong, dessen Währung nach wie vor an den Dollar gekoppelt ist.

Der Eurodollar-Markt als Trendverstärker

Was die Gerüchte über ein angebliches Petrodollar-Abkommen betrifft, gibt es jedoch einen wahren Kern: Der Ursprung des Dollar-basierten Welthandels und der Grund dafür, dass der Greenback trotz des Zusammenbruchs des festen Wechselkursregimes von Bretton Woods das globale Zahlungsmittel blieb, dürfte tatsächlich im Nahen Osten liegen.

Ende Oktober 1956 – wenige Tage, nachdem sowjetische Panzer in Ungarn eingefahren waren – marschierten Grossbritannien, Frankreich und Israel in Ägypten ein. Die USA sahen sich von der Offensive überrumpelt und spielten darauf ihre finanziellen Stärken gegenüber Grossbritannien aus. Sie drohten, das britische Pfund zu verkaufen und ein Hilfspaket des IWF zu blockieren. Grossbritannien hatte zuvor um internationale Unterstützung ersucht, da es um den Paritätserhalt des Pfunds im Bretton-Woods-System kämpfte.

Als Moskau sah, wie Amerika seinen engsten Verbündeten behandelte, und die eigene Verwundbarkeit Russlands bedachte, transferierte es seine Dollar-Reserven aus den USA zu britischen Clearing-Banken. Somit entstand, leicht vereinfacht dargestellt, der Eurodollar-Markt; sprich ein Offshore-Handelsplatz für Dollar. Bereits wenige Jahre später recycelte Moskau seine Einnahmen aus dem Verkauf von Getreide und Öl durch die Kreditvergabe im Eurodollarmarkt.

Eine wichtige Rolle spielten ebenso kommerzielle Interessen amerikanischer und britischer Banken. Der Offshore-Dollarmarkt lag ausserhalb der US-Regulierungshoheit. Er war daher nicht an die Verordnung Q gebunden, die Einlagenzinsen deckelte. Aufgrund des Drucks auf das britische Pfund weitete sich die Zinsspanne zwischen britischen und amerikanischen Anleihen aus. Britische Banken konnten sich somit über den Eurodollar-Markt Dollar statt Pfund leihen und an Carry-Trades verdienen.

Dies hatte zur Konsequenz, dass das Handelsvolumen im Eurodollar-Markt überproportional expandierte. Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich halten nicht-amerikanische Banken heute etwa 50 Bio. $ in Dollar-denominierten Schulden. Wenn der Kurs der US-Valuta steigt, erhöhen sich dadurch die Kosten zur Bedienung dieser Kredite.

Der Eurodollar-Markt ist in diesem Zusammenhang ein Trendverstärker: Steigt der Dollar gegenüber einer bestimmten Währung, müssen die betreffenden Dollar-Schuldner ihre eigene Währung verkaufen und mehr Dollar aufnehmen, um höhere Kreditkosten zu begleichen. Dadurch erhält der Dollar wiederum weiteren Auftrieb. In Phasen, in denen die Zinsen hingegen sinken und sich der Dollar abschwächt, ziehen günstigere Kreditkosten mit der Zeit ausländische Unternehmen und Staaten an – und der Zyklus beginnt von Neuem.

Bei diesem Gastbeitrag handelt es sich um eine Übersetzung des jüngsten Marktausblicks von Marc Chandler. Die englische Originalfassung ist unter diesem Link abrufbar.

Marc Chandler

Marc Chandler ist Chefstratege und Partner beim Broker Bannockburn Global Forex. Er befasst sich seit über dreissig Jahren mit den Devisenmärkten und zählt zu den profiliertesten Experten, wenn es um die makroökonomische Grosswetterlage geht. In Chicago aufgewachsen, hat Chandler einen Studienabschluss in internationaler Wirtschaftspolitik und Geschichte an der Northern Illinois University und der University of Pittsburgh gemacht. Heute lehrt er als Dozent an der New York University. Von 2005 bis 2018 war er für die Devisenstrategie der Privatbank Brown Brothers Harriman & Co verantwortlich. Zuvor arbeitete er in gleicher Funktion für HSBC Bank USA sowie Mellon Bank. Unter dem Titel «Political Economy of Tomorrow» hat er 2017 sein zweites Buch veröffentlicht. Er verfasst den populären Marc to Market Blog.
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