Samstag, September 28

Das Bundesverwaltungsgericht weist Beschwerden gegen die Anwendung des Potentatengeldergesetzes ab. Damit könnten bald Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe aus dem Umfeld des gestürzten Janukowitsch-Regimes von der Schweiz nach Kiew fliessen.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Schweiz hierzulande eingefrorene Gelder russischer Oligarchen an die Ukraine überweisen wird. Dennoch könnte Kiew dereinst Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe erhalten, die hierzulande gesperrt sind. Und zwar gestützt auf das Potentatengeldergesetz, das bisher weitgehend wirkungslos blieb. Noch ist das vom Bundesrat vor über zwei Jahren ausgelöste Verfahren allerdings in einer Vorstufe.

Um was geht es? Nach der Maidan-Revolution und dem Sturz des Janukowitsch-Regimes verhängte der Bundesrat Ende Februar 2014 aufgrund seiner Notrechtskompetenzen in der Verfassung eine vorsorgliche Sperre der in der Schweiz liegenden Vermögenswerte des geflüchteten Präsidenten und seiner Entourage.

Damit sollte im Hinblick auf Rechtshilfe- und Strafverfahren verhindert werden, dass diese Gelder – es handelte sich um rund 170 Millionen Franken – abgezogen würden. Die gesetzliche Höchstdauer für die Vermögenssperre ist inzwischen verstrichen. Und die Bundesanwaltschaft, die aufgrund ukrainischer Rechtshilfegesuche sowie wegen Geldwäschereimeldungen aktiv wurde, hat ihre Strafverfahren eingestellt.

Unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine und der damit verbundenen Schwierigkeiten der dortigen Justiz sowie im Bemühen, eine Freigabe der gesperrten Gelder zu vermeiden, griff der Bundesrat im Mai 2022 und im Frühling 2023 zu einem anderen Mittel: Er beauftragte das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) damit, die Einziehung der blockierten Gelder einzuleiten, im Hinblick auf eine Rückerstattung an die Ukraine.

Diese Möglichkeit ist in dem Mitte 2016 in Kraft getretenen Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG) vorgesehen. Das Verfahren ist allerdings kompliziert und kam bisher einzig im Falle von Geldern des 1986 gestürzten Präsidenten von Haiti, Jean-Claude «Baby Doc» Duvalier, zur Anwendung. Wobei der letzte Schritt, die Modalitäten der Rückerstattung der eingezogenen Gelder, nach wie vor ausstehend ist.

Haben die staatlichen Strukturen in der Ukraine versagt?

Im Fall der Ukraine geht es vorerst um die Frage, ob der Bundesrat die Bedingungen für die Sperrung der fraglichen Gelder erfüllt hat. Demnach müssen die Vermögenswerte ursprünglich aufgrund eines Rechtshilfegesuchs des Herkunftslandes sichergestellt worden sein. Zweitens muss ein Versagen der staatlichen Strukturen vorliegen, das es dem Herkunftsland verunmöglicht, die Anforderungen des Rechtshilfeverfahrens zu erfüllen. Im Normalfall ist eine Rückerstattung möglich, wenn im Herkunftsland ein rechtskräftiges Urteil über die Einziehung vorliegt. Und drittens muss die Sperre der Wahrung der Schweizer Interessen dienen.

In am Donnerstag veröffentlichten Urteilen kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass diese Voraussetzungen in zwei Fällen erfüllt sind. Es handelt sich zum einen um Vermögenswerte von Juri Iwanjuschtschenko, einem früheren ukrainischen Parlamentarier und Janukowitsch-Vertrauen, und zum anderen um Gelder des Sohnes des ehemaligen Ministerpräsidenten Mikola Asarow, wie aus den anonymisierten Urteilen hervorgeht.

Umstritten war vor allem die Frage des Versagens der staatlichen Strukturen. Die mit ihren Beschwerden unterlegenen Kontoinhaber stellten in Abrede, dass das Justizsystem in der Ukraine zusammengebrochen sei. Auch nach dem Überfall Russlands habe sich die Lage der Justizbehörden rasch stabilisiert. Allein im letzten Jahr habe die Ukraine 169 Rechtshilfegesuche gestellt. Ex-Präsident Janukowitsch und sein Sohn seien im Dezember 2022 in Abwesenheit verurteilt worden.

Die Richter in St. Gallen folgten aber den Argumenten des EFD und erklärten, es gelte, die konkreten Verfahren unter den jeweils konkreten Umständen zu beurteilen. So sei im Verfahren gegen den aus der Ostukraine stammenden Iwanjuschtschenko von zentraler Bedeutung, dass die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs und der Veruntreuung Sanierungsarbeiten im Verwaltungsbezirk Luhansk beträfen. Also jenem Gebiet der Ukraine, das den Strafverfolgungsbehörden nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahre 2014 nicht oder nicht mehr vollständig zugänglich gewesen sei.

Das EFD stützte sich in beiden Fällen auf Berichte des Basel Institute on Governance, das unter anderem auf kriegsbedingte Personalprobleme und Überlastung der Justizbehörden verwies. Im Fall des Sohnes von Asarow verwiesen seine Anwälte unter anderem auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Oktober 2019, das alle Sanktionen gegen den ukrainischen Ex-Ministerpräsidenten aufhob.

Die politischen Interessen des Bundesrats

Laut dem Bundesverwaltungsgericht ist die Hoffnung auf einen Erfolg der Rechtshilfe aber in beiden Fällen aussichtslos, weshalb ein Schlussstrich gezogen werden müsse. Die Urteile liefern ausserdem Hinweise darauf, dass in den Verfahren auch politische Aspekte eine Rolle gespielt haben. So ging der Verfügung des Bundesrats im Fall Iwanjuschtschenko – es geht um mehr als 100 Millionen Franken und damit um den Löwenanteil der gesperrten Gelder – ein gemeinsamer Antrag des EFD und des Aussendepartements voraus.

Das Gericht selber macht in den kürzlich gefällten Urteilen zur Frage der Wahrung der Schweizer Interessen darauf aufmerksam, dass der Bundesrat mit Ausrichtung der Ukraine Recovery Conference vom Juli 2022 in Lugano und der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock vom kommenden Wochenende eine gewichtige Rolle beim Wiederaufbau der Ukraine auch im internationalen Umfeld spielen wolle.

Noch können die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts beim Bundesgericht angefochten werden, was aufgrund der Vorgeschichte wahrscheinlich ist. In einem nächsten Schritt muss das EFD die Einziehungsklagen in St. Gallen deponieren. Obwohl dies schon bisher möglich gewesen wäre, ist davon auszugehen, dass das Finanzdepartement warten wird, bis die Urteile rechtskräftig sind. Erst dann wird sich das Bundesverwaltungsgericht zur Vermutung der Unrechtmässigkeit des Erwerbs der fraglichen Vermögenswerte äussern. Gegen diesen Entscheid können die Betroffenen wiederum das Bundesgericht anrufen. Die Rückführung der Gelder muss schliesslich in Abkommen mit der Ukraine geregelt werden.

Urteile B_3507/2022 und B_2284/2034 des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. 6. 24 und 22. 5. 24.

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