Die Schweiz wird den Wiederaufbau der Ukraine kaum mit Geldern unterstützen, die aufgrund der Russland-Sanktionen gesperrt sind. Das Bundesgericht entscheidet aber demnächst über einen anderen Weg für die Rückführung von über 130 Millionen Franken nach Kiew.
Auf Schweizer Banken lagern über 14 Milliarden Franken, die aufgrund der Sanktionen gegen Russland gesperrt worden sind. Unabhängig von der Kontroverse, ob dies im internationalen Vergleich viel ist oder ob die Schweiz nicht viel höhere russische Vermögen einfrieren könnte, stellt sich die Frage, was mit diesen Geldern dereinst passiert. Wäre es nicht naheliegend, damit den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren?
Dafür fehlt es sowohl in der Schweiz wie auch auf internationaler Ebene an einer Rechtsgrundlage. Im Falle der blockierten Vermögenswerte der russischen Zentralbank hat die EU beschlossen, die ausserordentlichen Gewinne auf den beim europäischen Zentralverwalter Euroclear liegenden Vermögen zum grössten Teil der Ukraine zur Verfügung zu stellen.
Die Übernahme dieser Lösung durch die Schweiz wäre aber wirkungslos, wie der Bundesrat im März in der Fragestunde des Nationalrats bekräftigte. Denn die hiesige Situation unterscheide sich grundsätzlich von jener in der EU. Im Gegensatz zur EU werden die Vermögenswerte der russischen Zentralbank nicht vom Zentralverwahrer SIX SIS AG, sondern von Geschäftsbanken in Form von liquiden Mitteln gehalten. Da diese Vermögenswerte keine sogenannte Windfall-Profits generieren, stehen auch keine ausserordentlichen Gewinne zur Verfügung.
Verfahren tritt in die entscheidende Phase
Drei Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat der Bundesrat im Mai 2022 jedoch Schritte eingeleitet, um andere Gelder in dreistelliger Millionenhöhe an die Ukraine zurückzuerstatten. Dieses Verfahren, um das es seither ruhig geworden ist, tritt nun in die entscheidende Phase. Es geht nicht um Gelder russischer Oligarchen oder der russischen Zentralbank, sondern um Vermögenswerte von Personen aus dem Umfeld des früheren ukrainischen Regimes von Viktor Janukowitsch, die nach der Maidan-Revolution von 2014 gesperrt worden waren.
Mit eingefrorenen Vermögen von über 100 Millionen Franken sticht der Fall des früheren ukrainischen Parlamentariers und Janukowitsch-Vertrauten Jurij Iwanjuschtschenko heraus. Nach Anzeigen von Banken an die Geldwäscherei-Meldestelle des Bundes wurde im April 2014 auch die schweizerische Bundesanwaltschaft (BA) aktiv und eröffnete ein Strafverfahren wegen Geldwäscherei, das im Juni gleichen Jahres auf den Tatbestand der Beteiligung an einer kriminellen Organisation ausgeweitet wurde.
Nach umfangreichen Ermittlungen und einem Rechtshilfeverkehr mit der Ukraine, mit Lettland und mit Monaco stellte die BA das Verfahren am 25. Januar 2022 aber ein. Sie stützt sich auf die Bestimmungen der Strafprozessordnung, wonach die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen und das Verfahren einstellen kann, wenn die Straftat bereits von einer ausländischen Behörde verfolgt wird.
Die Vermögenswerte – neben Bankkonten von mehr als 100 Millionen Franken auch eine Eigentumswohnung – blieben im Rechtshilfeverfahren aber gesperrt. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine verschlechterten sich die Möglichkeiten der ukrainischen Behörden auf eine Strafverfolgung des 2014 untergetauchten Beschuldigten massiv. Deshalb leitete der Bundesrat im Mai 2022 das Einziehungs- und Rückerstattungsverfahren gemäss dem 2016 in Kraft getretenen Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG) ein.
Betroffen sind auch weitere Vermögenswerte von Personen aus dem Umfeld von Ex-Präsident Janukowitsch, namentlich von dessen Sohn Aleksandr, dem früheren Ministerpräsidenten Asarow und von dessen Sohn sowie dem Geschäftsmann Kurtschenko.
Testfall für das Potentatengeldergesetz
Das SRVG war die Antwort auf die Häufung von Vermögenssperren per Notrecht während des Arabischen Frühlings. Allerdings kam die «Lex Ben Ali» oder «Lex Mubarak» weder bei den blockierten tunesischen Geldern noch bei jenen aus Ägypten oder in einem anderen Fall zum Tragen.
Die Konstruktion, mit der illegal erworbene Vermögenswerte trotz Scheitern der Rechtshilfe eingezogen und an den betroffenen Staat zurückgeführt werden können, kam bisher einzig bei den im Jahr 1986 eingefrorenen Geldern des haitianischen Duvalier-Clans zum Tragen. Und zwar gestützt auf einen Vorgängererlass des SRVG, der die Schweiz 2013 von der Schmach befreite, 6,5 Millionen Dollar für die Duvalier-Erben freizugeben.
Die gesperrten Ukraine-Gelder sind deshalb auch ein Test für das bisher weitgehend wirkungslos gebliebene SRVG. Insgesamt sind Vermögenswerte von mehr als 130 Millionen Franken betroffen. In einem ersten von mehreren Verfahrensschritten geht es um die Rechtmässigkeit der vom Bundesrat verfügten Sperren.
Nach Auskunft des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) sind die Sperren in zehn Fällen, die fünf Fallkomplexe und Vermögenswerte von rund 15,5 Millionen Franken betreffen, inzwischen rechtskräftig geworden. Bei drei Verfahren, darunter jenem von Iwanjuschtschenko, muss das Bundesgericht über Rekurse gegen die vom Bundesverwaltungsgericht bestätigte Sperre entscheiden.
Einziehungsklagen in Vorbereitung
Im Zentrum steht dabei die Frage, ob die im Gesetz verankerte Voraussetzung gegeben ist, dass der Herkunftsstaat der gesperrten Gelder die Anforderungen an ein Rechtshilfeverfahren «wegen des völligen oder weitgehenden Zusammenbruchs oder der mangelnden Verfügbarkeit seines Justizsystems nicht erfüllen kann».
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet ein solches «Versagen staatlicher Strukturen» im Fall der Ukraine bei den vom Bundesrat gesperrten Geldern als erfüllt. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und den Besetzungen durch Russland in der Ostukraine seien die ukrainischen Strafverfolgungs- und die Anti-Korruptions-Behörden massiv eingeschränkt.
In einem weiteren Schritt muss das EFD beim Bundesverwaltungsgericht Einziehungsklagen erheben. Solche sind bei den rechtskräftigen Fällen zurzeit in Vorbereitung, wie eine Sprecherin sagte. Die von der Sperre betroffenen Personen können Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts erneut beim Bundesgericht anfechten. Eine rasche Rückerstattung ist mit anderen Worten nicht in Sicht.