Während die Fronten am Boden erstarrt sind, greifen die ukrainischen Streitkräfte zu Wasser und aus der Luft an – mit Erfolg. Doch in Kiew selber hat die Generalität derzeit ganz andere Sorgen.
Der ukrainische Militärgeheimdienst hat am Donnerstag die Versenkung eines weiteren russischen Kriegsschiffes im Schwarzen Meer bekanntgegeben. Es handelt sich offenbar um die Korvette «Iwanowez», ein Raketenschiff der noch zur Sowjetzeit entwickelten Tarantul-Klasse. Der Angriff vor der Westküste der Krim soll sich in der Nacht auf Donnerstag ereignet haben und ist durch ein Video relativ gut dokumentiert.
Daraus geht hervor, dass ein ganzer Schwarm von unbemannten Kamikaze-Schnellbooten beteiligt war und diese das Schiff mehrmals am Heck und an der Seite trafen. Das Video zeigt grosse Explosionen und endet mit einer Szene, in der sich das halbgesunkene, senkrecht aus dem Meer ragende Schiff vor dem nächtlichen Himmel abhebt.
Ausschnitte aus dem von Kiew verbreiteten Video: Angriff, Explosion und zuletzt das Sinken der Korvette «Iwanowez» (Quelle: Geheimdienst HUR).
Moskau schweigt sich offiziell zu dem Vorfall aus, aber militärnahe russische Quellen haben den Verlust bestätigt. Von ukrainischer Seite wird behauptet, dass es für die mutmasslich etwa 40 Mann starke Besatzung keine Rettung gegeben habe. Die «Iwanowez» zählte mit einer Länge von 56 Metern zu den kleineren Schiffen der Schwarzmeerflotte und diente vor allem der Küstenverteidigung. Die Einheiten der Tarantul-Klasse sind mit Anti-Schiff-Raketen bewaffnet, nicht aber mit Marschflugkörpern, mit denen Russland regelmässig das ukrainische Territorium angreift.
Insofern ist der Verlust der «Iwanowez» in der jetzigen Kriegsphase von beschränkter militärischer Bedeutung. Aber angesichts der neuen russischen Drohungen mit einer vollständigen Unterwerfung der Ukraine und des Rückgangs der westlichen Militärhilfe haben solche Erfolge auch einen positiven psychologischen Effekt.
Im Schwarm viel wirkungsvoller
Der Vorfall demonstriert zudem, dass die Ukrainer ihre Taktik beim Einsatz von Marinedrohnen verbessert haben. Kamikaze-Angriffe mit unbemannten Booten hatten sich im letzten Sommer gehäuft; zwei der spektakulärsten Aktionen führten zur Beschädigung der Krim-Brücke und setzten ein grosses Kriegsschiff beim Hafen Noworossisk ausser Gefecht. Aber in der zweiten Jahreshälfte zeigten russische Abwehrmassnahmen zunehmend Wirkung. Rechtzeitig entdeckt, können einzelne Marinedrohnen meist zerstört werden.
Bei der jetzigen Operation waren jedoch mindestens vier Drohnen im Einsatz. Die wiederholten Treffer, auch auf bereits havarierte Stellen, erhöhten die Wirkung und führten schliesslich zum Untergang des Schiffes.
Russlands Schwarzmeerflotte verfügt damit nur noch über ein einsatzfähiges Raketenschiff dieses Typs. Ein weiteres war bereits Ende Dezember im Hafen Sewastopol versenkt worden, vermutlich ebenfalls durch Marinedrohnen. Daneben bedroht die Ukraine die Schwarzmeerflotte mit ihren Marschflugkörpern. Einer davon zerstörte kurz nach Weihnachten in einem der Krim-Häfen ein Landungsschiff. Nach westlichen Schätzungen hat die Schwarzmeerflotte in zwei Jahren Krieg einen Fünftel ihres Bestandes eingebüsst. Das Problem verschärft sich für die Russen dadurch, dass sie keine Ersatzschiffe heranführen können. Die türkischen Meerengen sind für Kriegsschiffe gesperrt.
Marschflugkörper des britisch-französischen Typs Storm Shadow / Scalp waren offenbar auch am Mittwoch wieder im Einsatz, als sich auf der russischen Luftwaffenbasis Belbek bei Sewastopol grosse Explosionen ereigneten. Auf einem Video ist erkennbar, wie ein Missil auf den Stützpunkt niedersaust und von einer russischen Flugabwehrrakete verfehlt wird. Nach unbestätigten Berichten wurde eine Radarstation zerstört.
Selenski und General Saluschni im Streit
Vordergründig versucht die Ukraine somit weiterhin, die russischen Okkupationstruppen Schlag um Schlag zu schwächen. Hinter den Kulissen sind aber noch ganz andere Kämpfe im Gang. Der ukrainische Oberbefehlshaber Waleri Saluschni soll diese Woche bei einem Treffen mit Präsident Wolodimir Selenski von seiner baldigen Absetzung erfahren haben. Das berichteten verschiedene Medien unter Berufung auf Quellen in Kiew. Das Verhältnis zwischen dem Armee- und dem Staatschef ist seit langem angespannt, angeblich sieht Selenski in dem populären General einen politischen Konkurrenten. Der Konflikt zwischen den beiden drang im November an die Öffentlichkeit, als Saluschni die ukrainische Gegenoffensive für vorläufig gescheitert erklärte und der Präsident ihn für seine ungeschminkte Wortwahl rügte.
Der General soll bei dem Treffen am Montagabend ein Angebot für einen anderen Posten erhalten haben, aber abgelehnt haben. Möglicherweise steht die Entlassung damit unmittelbar bevor, allerdings scheint die Frage der Nachfolge ungeklärt. Der naheliegendste Kandidat, der Kommandant der Landstreitkräfte Olexander Sirski, soll ein entsprechendes Angebot des Präsidenten ausgeschlagen haben.