Donnerstag, November 13

Nahe der Ukraine hat Russland Bomber und riesige Mengen Munition stationiert. Täglich fügen die Aggressoren den Ukrainern damit verheerende Schläge zu. Dass die Verteidiger solche Standorte nicht mit westlichen Waffen zerstören dürfen, ist ein kapitaler Fehler.

Am Wochenende ist dem ukrainischen Militär ein spektakulärer Erfolg geglückt. Erstmals gelang es, ein Inferno in einem Luftwaffenstützpunkt auf russischem Staatsgebiet weit hinter der Front anzurichten und diesen zumindest vorübergehend unbrauchbar zu machen. Die Behörden in Kiew meldeten am Montag die Explosion eines Munitionsdepots, die Zerstörung eines Jagdbombers vom Typ Su-34 und Beschädigungen an zwei weiteren solchen Flugzeugen.

Satellitenbilder und Aufnahmen aus der Basis Morosowsk in Südrussland, 270 Kilometer von der Front entfernt, bestätigen diese Angaben: Von dem drei Hektaren grossen Munitionsdepot sind nur noch Trümmerhaufen geblieben – mehrere Lagerhäuser, die auf früheren Satellitenbilder noch erkennbar waren, sind nach mehreren Explosionen wie vom Erdboden verschwunden. Stattdessen zeigen von einem russischen Insider gemachte Bilder Dutzende von zerstörten Raketen und schweren Gleitbomben. Insgesamt dürften mehrere hundert dieser todbringenden Waffen in die Luft geflogen sein.

Das weitläufige Munitionsdepot von Morosowsk in einer Satellitenaufnahme von 2023 und nach der Zerstörung.

Unsinnige Fesseln für die Ukrainer

Das ist eine sehr erfreuliche Nachricht, und doch ist sie mit einem bitteren Nachgeschmack verbunden: Wieso schaut der Westen nur zu und hilft den Ukrainern nicht, solche Erfolge zu vervielfachen? Die Militäraktion gegen den Stützpunkt Morosowsk erfolgte mit Drohnen aus ukrainischer Eigenproduktion. Das ist für die Verteidiger derzeit das einzige Mittel, um weit im Innern Russlands zuzuschlagen und die feindlichen Bomber noch am Boden zu stoppen.

Drohnen sind jedoch eine unbefriedigende Behelfslösung. Sie sind von der russischen Flugabwehr leichter abfangbar als westliche Marschflugkörper oder ballistische Raketen, und sie tragen kleinere Sprengköpfe. Bereits im April hatten die Ukrainer einen Drohnenschwarm nach Morosowsk geschickt, scheiterten aber. Diesmal hatten sie das Glück auf ihrer Seite. Allerdings bemerkten die Russen den Anflug rechtzeitig und konnten die allermeisten Kampfjets in Sicherheit bringen. Das liegt an einem weiteren Nachteil von Drohnen: Sie fliegen langsam und tief, was einem wachsamen Gegner eine Vorwarnzeit gibt.

All dies müsste nicht sein. Die Ukrainer haben in ihren Arsenalen amerikanische Atacms-Raketen und britisch-französische Cruise-Missiles des Typs Storm Shadow mit Reichweiten von 300 Kilometern und mehr. Damit liesse sich mehr als ein halbes Dutzend russische Stützpunkte in der Nachbarschaft der Ukraine treffen – viel wirksamer als mit Drohnen. Besonders die Atacms mit ihrer Streumunition wären ein probates Mittel, um viele Bomberjets aufs Mal ausser Gefecht zu setzen. Aber noch immer gilt das westliche Verbot, Waffen aus Nato-Beständen gegen Ziele im russischen Hinterland einzusetzen. Der amerikanische Sicherheitsberater Jake Sullivan hat es im Juli erneut bekräftigt.

Gleitbomben sind eine der Hauptgefahren

Die USA glauben, auf diese Weise einer Eskalation in diesem Krieg entgegenzuwirken. In Wirklichkeit erlauben sie damit den Russen, selber zu eskalieren. Moskau experimentierte erstmals im vergangenen Jahr mit lenkbaren, über Flügel verfügende Gleitbomben mit einem Gewicht von 500 Kilogramm bis zu mehreren Tonnen. Inzwischen fallen täglich bis zu 100 dieser gefürchteten Waffen auf ukrainische Positionen nieder. Sie bringen ganze Wohnblöcke zum Einsturz und pulverisieren Verteidigungsstellungen. Der zunehmende Einsatz von schweren Gleitbomben gilt als einer der Hauptgründe, weshalb Russland in diesem Jahr langsam, aber doch stetig Geländegewinne erzielt und die Lage im Donbass alarmierend wirkt.

Das wirksamste Gegenmittel besteht darin, die Bomben und die dazugehörenden Bomberflugzeuge schon auf den russischen Stützpunkten zu vernichten. Die russischen Jets erst im Anflug zu bekämpfen, ist angesichts der geschwächten ukrainischen Flugabwehr kaum je möglich. Hätten die USA nicht fatalerweise den Aufbau einer schlagkräftigen ukrainischen Flotte von F-16-Kampfjets verzögert, sähe die Lage womöglich anders aus. In der jetzigen Notsituation jedoch drängt es sich auf, das Verbot von ukrainischen Gegenschlägen im russischen Hinterland zu lockern. In seiner strikten Form kommt es einem kapitalen strategischen Irrtum gleich.

Nicht einmal die Russen selber glaubten, dass der Westen diesen Fehler begehen würde: Wie ein Vergleich von Satellitenbildern und ein Bericht der ukrainischen Analysegruppe Frontelligence Insight zeigen, zog Moskau diesen Sommer von einem in Atacms-Reichweite liegenden Stützpunkt bei Woronesch die Flugzeuge ab. Der Westen hat damit die Chance verpasst, auf einen Schlag einen erheblichen Teil der russischen Bomberflotte zu eliminieren.

Wie das Inferno von Morosowsk am Wochenende zeigt, gäbe es aber noch weitere Chancen. Einfach zuzuschauen und zu hoffen, dass die Ukrainer mit den furchtbaren russischen Bombenwellen selber fertigwerden, ist nicht nur moralisch verwerflich. Es ist auch militärisch ein Rezept zum Scheitern.

Exit mobile version