Sonntag, April 20

Im Mai hätte die amerikanische Philosophin in Köln Gastvorlesungen halten sollen. Dazu kommt es nicht. Für die Universität ist Frasers Haltung zu Israel untragbar.

Wieder einmal ist die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr. Das finden jedenfalls die Verfasserinnen und Verfasser eines offenen Briefs, der Ende vergangene Woche auf der Website «Kritische Theorie in Berlin» publiziert wurde. Unterzeichnet ist er von rund fünfzig Philosophen und Sozialwissenschaftern. Dem Philosophen Axel Honneth beispielsweise, der Soziologin Rahel Jaeggi, dem Soziologen Hartmut Rosa oder dem Philosophen Christoph Menke.

Bekannte Namen also. Der Ton des Schreibens ist scharf, und selbstverständlich stiess es in den sozialen Netzwerken auf grosse Zustimmung. Denn in der deutschen akademischen Welt hat sich nach Ansicht der besorgten Professoren Empörendes zugetragen: Am Freitag gab die Universität Köln bekannt, dass sie die Veranstaltungen zur diesjährigen Albertus-Magnus-Professur absagt.

Aufruf zum Boykott

Geplant gewesen wären zwei Vorlesungen der amerikanischen Philosophin Nancy Fraser. Sie lehrt Politikwissenschaft an der New School for Social Research in New York, gehört zu den profilierten marxistischen Theoretikerinnen und hat zum Krieg in Gaza eine klare Haltung: Israel ist für sie ein Apartheidstaat, die Bevölkerung in Gaza ist Opfer eines von der israelischen Armee angezettelten Genozids, und die Attacke der Hamas vom 7. Oktober versteht sie als Befreiungsaktion eines unterdrückten Volks.

Fraser gehörte zu den ersten Unterzeichnerinnen des Manifests «Philosophy for Palestine», in dem amerikanische Philosophen den Angriff der Hamas auf Israel als Akt des legitimen Widerstands bezeichnen. Mit der Zustimmung zu diesem Papier sei Fraser zu weit gegangen, findet die Leitung der Uni Köln.

«Philosophy for Palestine» bezeichne Israel als «ethnosuprematistischen Staat» und stelle sein Existenzrecht damit faktisch infrage, schreibt der Rektor in der offiziellen Stellungnahme zur Absage der Veranstaltungen. Der Angriff auf Israel werde «in rechtfertigender Weise relativiert». Die Unterzeichner riefen zum akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen auf.

Das trifft zu. Und Nancy Fraser hat ihre Haltung nie revidiert. Für den Rektor, Joybrato Mukherjee, ist das nicht vereinbar mit den engen Beziehungen, die die Universität Köln zu israelischen Partnerinstitutionen pflegt. Die Albertus-Magnus-Professur sei eine Auszeichnung, schreibt Mukherjee. Man habe Frau Fraser gebeten, ihre Position zu erläutern. Die Antwort habe keine neuen Erkenntnisse gebracht.

Canceln ist keine Lösung

Nancy Fraser wird also ausgeladen. Und die linke akademische Szene ist in Aufruhr. Die Ausladung sei ein weiterer Versuch, die öffentliche und wissenschaftliche Debatte um Israel und Palästina einzuschränken, halten die Kritiker im offenen Brief fest. Einmal mehr würden Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die «vermeintlich problematische Positionen» verträten, aus der Diskussion ausgeschlossen. Damit seien das hohe Gut der Wissenschaftsfreiheit und der internationale Austausch gefährdet.

Nancy Fraser hätte in den für Mai geplanten Vorträgen weder über Israel noch über Palästina gesprochen, sondern über die Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft. Sie wird es nun nicht tun. Dass die Uni die Veranstaltung absagt, ist legitim. Natürlich ist Canceln nie eine elegante Lösung. Und im Grunde ist es keine Lösung. Aber nur weil eine Uni einer Wissenschafterin eine akademische Ehre verweigert, ist die Wissenschaftsfreiheit noch lange nicht in Gefahr.

Auch die Meinungsfreiheit nicht. Frasers Texte und Thesen werden an Seminaren und Vorlesungen nach wie vor diskutiert. Ein schales Gefühl bleibt trotzdem zurück. Dass die Universität Köln Monate braucht, um herauszufinden, dass Nancy Frasers Haltung zu Israel den eigenen Grundsätzen widerspricht, ist unverständlich. Fraser hat aus ihren Positionen nie ein Hehl gemacht. Wer sie einlädt, weiss, was von ihr zu erwarten ist. Und wer ihr eine akademische Ehrung zukommen lassen will, muss gute Gründe haben.

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