Mittwoch, Januar 15

Die UZH sagt, sie wolle nur die Betroffenen schützen. Doch aus den Zahlen alleine droht gar keine Gefahr.

Anzügliche Bemerkungen sind verboten, unangemessene Körperkontakte auch, Übergriffe sowieso: Die Universität Zürich (UZH) hat eine klare Linie im Umgang mit sexueller Belästigung. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird im schlimmsten Fall ausgeschlossen oder entlassen.

Abschreckend wirken die Sanktionen aber nicht auf alle. Die UZH hat ein wachsendes Problem mit sexuellen Belästigungen. Die Fälle hätten deutlich zugenommen, sagte eine Rechtsprofessorin, welche eine interne Anlaufstelle betreut, in einem Interview mit einer Publikation der Universität. Einige Fälle seien sehr langwierig und ressourcenintensiv.

Wie gross das Problem tatsächlich ist, darf die Öffentlichkeit allerdings nicht wissen: Sobald es um konkrete Zahlen geht, wird die UZH wortkarg. Sie erfasst zwar die Fälle und erstellt einen Bericht zuhanden des Rektorats, doch dieses lässt den Report im Aktenschrank verschwinden. Nicht einmal gegenüber Fachorganen wie der Gleichstellungskommission gibt die Universitätsleitung Auskunft.

Die beiden GLP-Kantonsrätinnen Nathalie Aeschbacher und Andrea Gisler versuchten über eine Anfrage im Parlament, an die Zahlen zu gelangen. Doch die Universität ist hart geblieben, wie aus der nun veröffentlichten Antwort hervorgeht.

Die UZH verweist darin auf den Datenschutz. Zwar herrsche in der Verwaltung des Kantons, und damit auch an der Universität, das Transparenzprinzip, daraus lasse sich aber keine Pflicht zur Veröffentlichung von Statistiken ableiten.

Die internen Anlaufstellen und die Universitätsleitung unterstünden der Schweigepflicht, was dem Schutz der betroffenen Personen diene. «Die Publikation einer jährlichen Statistik würde diesen Schutzzweck unterlaufen», schreibt die Universität.

Gemessen an der Zahl der Universitätsangehörigen seien die Fallzahlen so klein, dass auch bei einer anonymisierten Veröffentlichung eine Re-Identifikation der Betroffenen nicht ausgeschlossen werden könne.

«Uns geht es nicht um Voyeurismus»

Nathalie Aeschbacher, eine der Autorinnen der parlamentarischen Anfrage, ist mit dieser Antwort der UZH nicht zufrieden. «Die Reaktion der Universität liest sich beinahe so, wie wenn es uns um Voyeurismus ginge. Das ist aber absolut nicht der Fall. Uns interessiert weder, wer die betroffenen Personen sind, noch, was im Detail vorgefallen ist», sagt sie.

Es gehe ihnen einzig darum, Transparenz zu erwirken, doch die Universität sei gar nicht auf ihre Fragen eingegangen. «Es gäbe ja durchaus Formen von Statistiken, die denkbar und umsetzbar wären. Aber auch davon will die Universität nichts wissen.»

Mit ihrer ablehnenden Haltung steht die Uni Zürich nicht alleine da. Auch andere Lehranstalten verweigern die Auskunft. Es gibt aber auch Institutionen, welche die Zahlen von sich aus oder auf Anfrage bekanntgeben, so die Universität Bern (10 bis 15 Fälle pro Jahr) oder die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW; 2 Fälle 2022). Sie beide haben gegenüber der NZZ ihre Zahlen offengelegt.

Dies wirft die Frage auf, wer eigentlich im Recht ist. Wenn, wie es die Universität Zürich auslegt, selbst anonymisierte Daten Rückschlüsse auf die Betroffenen zulassen, müsste eine ZHAW mit ihrer Offenheit gegen die Datenschutzrichtlinien verstossen.

Die Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich winkt jedoch ab. «Die Angabe von Fallzahlen wird nicht als problematisch angesehen», sagt Dominika Blonski. Und weiter: «Es ist nicht ersichtlich, wie von einer blossen Nennung einer kleinen Anzahl Fälle auf bestimmte Angehörige der Universität Zürich geschlossen werden kann.» Die Tatsache, dass sich ein Fall ereignet habe, deute noch nicht auf eine bestimmte Person hin.

Die Universität Zürich weist diese Darstellung zurück. Gerade bei tiefen Fallzahlen sei nicht ausgeschlossen, dass es zu Mutmassungen kommen könne, sagt Kurt Bodenmüller von der Medienstelle. Ausserdem sei denkbar, dass sich betroffene Personen, denen ihre Anonymität zugesichert worden sei, in einer Statistik wiederfänden.

Die Fallzahlen hätten zwar zugenommen, dennoch lägen sie in einem tiefen Bereich. Deshalb seien Rückschlüsse denkbar.

Wenn Statistiker Zahlen verschweigen

Dass kleine Fallzahlen beim Datenschutz berücksichtigt werden müssen, ist tatsächlich ein Thema, die Handhabung ist aber je nach Erhebung und Institution unterschiedlich. Das Bundesamt für Statistik (BfS) etwa publiziert bei besonders schützenswerten Personendaten gewisse Werte nicht.

In der Religionsstatistik des Bundes zum Beispiel steht bei den jüdischen Glaubensgemeinschaften bei mehreren Kantonen statt einer Zahl nur ein X. Das bedeutet, dass die Zahl der Mitglieder so tief ist, dass sie aus Datenschutzgründen verschwiegen wird. Das BfS sagt aber immerhin, wofür das X steht, nämlich für «vier oder weniger Beobachtungen».

Viel weniger restriktiv ist die Kriminalstatistik des Kantons Zürich. Während die UZH zu sexuellen Belästigungen nicht einmal ungefähre Angaben macht, weist die Kriminalstatistik für Bezirke und sogar für einzelne Zürcher Stadtkreise verschiedene Unterarten von Sexualdelikten im Detail aus.

Aus der Statistik geht unter anderem hervor, dass 2023 im Bezirk Andelfingen 7 sexuelle Handlungen mit einem Kind registriert wurden. Ausserdem gab es 2 sexuelle Nötigungen und 4 Vergewaltigungen. Der Bezirk Andelfingen ist deshalb interessant, weil er rund 33 000 Einwohner zählt – das ist vergleichbar mit der Zahl der Studierenden und Angestellten an der Universität Zürich (rund 38 000).

Obwohl die Fallzahlen sehr tief waren, die Taten in einem vergleichsweise kleinen geografischen Raum begangen wurden und sogar Kinder unter den Opfern sind, gibt es keinen Grund, die Zahlen zurückzubehalten: Die Kriminalstatistik wird seit Jahren so publiziert.

Ab wann geht ein Flirt zu weit?

Die Frage für die UZH ist, wie sie die Balance finden kann zwischen den Anliegen des Datenschutzes und dem Bedürfnis nach Information und Aufklärung. Die Universität schreibt dazu auf Anfrage etwas wolkig, sie nehme das Thema ernst und werde «eine Untersuchung des Hell- und Dunkelfelds durchführen, um das Ausmass der Thematik auszuleuchten».

Eine andere Thematik ausleuchten will derweil die Fachstelle «Gender Equality and Diversity» der UZH. Sie plant für den 25. April gemeinsam mit anderen Universitäten einen «Sexual Harassment Awareness Day». Sprich, das Bewusstsein für das Problem der sexuellen Belästigungen soll erhöht werden.

Konkrete Zahlen sind aber auch am «Awareness Day» kein Thema. Stattdessen geht es laut Programm unter anderem darum, inwiefern sexuelle Belästigung mit Rassismus und Queer-Feindlichkeit zusammenhängt. Und ab wann ein Flirt zu weit geht.

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