Mittwoch, März 12

Demnächst stimmt die Aussenpolitische Kommission des Ständerats über zwei Motionen ab, die ein Ende der Schweizer Beiträge an die UNRWA und eine Neuausrichtung der internationalen Hilfe für die Palästinenser fordern. Hinter den Kulissen lobbyieren die Befürworter der UNRWA-Zahlungen intensiv.

In der Frühlingssession wird voraussichtlich über die Zukunft der Schweizer Unterstützung für das Palästinenserhilfswerk UNRWA entschieden. Falls der Ständerat den beiden Motionen zustimmt, bedeutet dies das vorläufige Ende der Schweizer Unterstützung für die UNRWA. Im Dezember 2023 hatte das Parlament beschlossen, die UNRWA-Gelder von rund 20 Millionen Franken zu halbieren; dies vor allem wegen der Verbreitung antisemitischer Schulbücher, die zur Radikalisierung der palästinensischen Bevölkerung beitragen. Als im Januar 2024 zusätzlich bekannt wurde, dass mehrere UNRWA-Mitarbeiter am Massaker vom 7. Oktober teilgenommen hatten und die Indizien sich verdichteten, dass das Uno-Hilfswerk und die Hamas eng miteinander verflochten sind, sistierte die Schweiz ihre Zahlungen.

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Lobbying mit staatlichen Geldern

Das Thema beschäftigt auch das Parlament. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats hörte sowohl Kritiker wie Befürworter der UNRWA an. Die Pro-Seite wird vom Hilfswerk der Evangelischen-reformierten Kirche Schweiz, dem Heks, vertreten. Dabei ist das Heks keine selbsttragende Organisation, sondern es wird zu einem grossen Teil durch staatliche Stellen und internationale Geldgeber wie USAID finanziert. Lobbying aus staatlichen Geldern? Auf Anfrage erklärt das Heks, man setze generell keine öffentlichen Gelder für politische Arbeit ein. «Heks hat aber auch einen politischen Auftrag, sich rechtsbasiert für die Menschenwürde einzusetzen.»

Das Heks engagiert sich seit vielen Jahren im Nahen Osten. Vor fast dreissig Jahren, im Jahr 1999, hat es sich mit anderen NGO, die ähnlich tätig sind, zu einem Arbeitskreis zusammengetan, der heute unter dem Namen «Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina» agiert. Mitglieder sind neben dem Heks auch Amnesty Schweiz und zehn weitere NGO.

Gemäss den Grundlagen der Zusammenarbeit, die alle Mitglieder verabschiedet haben, scheint man die Hürde für einen Frieden zwischen Israeli und Palästinensern primär in den israelischen Siedlungen im Westjordanland zu sehen – nicht im Terror gegen Israel.

Eine propalästinensische Schlagseite ist nicht zu übersehen. Mitglied des Forums ist die Gesellschaft Schweiz-Palästina (GSP), jedoch nicht die Gesellschaft Schweiz–Israel (GSI). Historische Quellen belegen: Die GSP wurde 1976 mit Beteiligung der PLO gegründet. Seit dem 7. Oktober fällt die GSP immer wieder durch ihre Nähe zur Hamas auf. In der Vernehmlassung zum Gesetz über die Hamas sagte die GSP, dass die Hamas keine terroristische Gruppierung sei. Nach dem Tod von Yahya Sinwar veröffentlichte die GSP eine Lobrede auf den Terroristenführer und glorifizierte ihn als «Ikone des Widerstands». Inwiefern ist die Mitgliedschaft der GSP mit dem «menschenrechtsbasierten Ansatz» vereinbar, wie ihn das Forum für Menschenrechte für sich in Anspruch nimmt?

Offenbar haben die Äusserungen der GSP nach Sinwars Tod auch innerhalb des Forums für Kritik gesorgt. Das Sekretariat gibt die Auskunft, man habe der GSP mitgeteilt, dass sie nicht im Einklang mit den vereinbarten Grundsätzen stünden. Daraufhin habe die GSP den Artikel um einen völkerrechtlichen Kontext ergänzt und ihre Unterstützung der Grundsätze bekräftigt. Die GSP ist aber weiterhin Mitglied des Forums.

Zur antiisraelischen Boykottbewegung BDS, die vom Deutschen Bundestag als antisemitisch beurteilt wird, ist das Verhältnis ambivalent. Das Forum habe zu BDS «keine Position» – so der Wortlaut der Koordinationsstelle des Forums –, «die Mitgliederorganisationen anderseits vertreten dazu unterschiedliche Positionen.» Eine vom Forum in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2015 empfiehlt einen umfassenden Boykott wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Institutionen in Israel. Sie befindet sich weiterhin auf den Servern von BDS Schweiz. Auf Anfrage betont das Forum, dass man die Studie «weder als Arbeits- noch als Positionspapier» benutze.

Koordiniertes Lobbying

Gemäss den Grundlagen der Zusammenarbeit gehören ein «gemeinsames, effizientes Lobbying» sowie die «Koordination» zu den Grundaufgaben des Forums. Solches zeigte sich zum Beispiel am 13. Februar, wenige Tage vor dem Entscheid der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats zur UNRWA. Eine Aktivistin überreichte der Bundeskanzlei medienwirksam einen offenen Brief mit dem Titel «Finanzierung der UNRWA sichert Waffenstillstand in Gaza». Ein Dutzend NGO haben den offenen Brief unterzeichnet und veröffentlichten Medienmitteilungen. Was nicht sofort erkennbar ist: Neun der zwölf unterzeichnenden Organisationen sind Mitglieder des Forums.

Auch im Parlament ist das propalästinensische Forum tätig. Man stellt «Expertise in Form von menschen- und völkerrechtlichen Analysen aktueller Parlamentsgeschäfte zur Verfügung» – so heisst es auf der Website – und bestärkt interessierte Politiker. «Das Forum ist grundsätzlich für den Kontakt mit allen Politikern offen, die an den Zielen des Forums interessiert sind», erklärt die Koordinationsstelle. Dazu gehört auch der Genfer SP-Ständerat Carlo Sommaruga, der auch als Vizepräsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats amtiert. Beide Seiten betonen aber, dass keine «strukturierte» Zusammenarbeit bestehe.

Sommaruga ist einer der führenden linken Aussenpolitiker im Land – zugleich ist er auch der wichtigste Fürsprecher der palästinensischen Sache in Bern. Der Unterstützer der Boykottbewegung BDS politisiert seit 2003 in Bern und hat in dieser Zeit rund 40 Vorstösse zum arabisch-israelischen Konflikt eingereicht – in der Regel mit klar antiisraelischer Programmatik. Wiederholt trifft er auch Vertreter der Hamas und islamistischer Organisationen. Nach dem 7. Oktober rollt die Presse diese Verbindungen auf. Bei den Genfer Ständeratswahlen im November 2023 geht ein linker Sitz verloren, und Sommaruga schafft nur knapp die Wiederwahl.

Mobilisierung der linken Hochburgen

Ende April veröffentlichte eine von der Uno einberufe Untersuchungskommission einen Bericht über die UNRWA, der die Hilfsorganisation entlasten soll. Tatsächlich bestätigt der Bericht die meisten Vorwürfe, gesteht aber der Organisation zu, ihre Probleme selbst lösen zu können. Die UNRWA-Befürworter betonen in ihrer Kommunikation Letzteres. Das Forum für Menschenrechte fordert von der Schweiz deshalb eine rasche Freigabe der Gelder.

Die UNRWA-Unterstützer spürten Aufwind und gingen in die Offensive. Der Bundesrat beschloss im Mai auf Empfehlung der Aussenpolitischen Kommission, die Hälfte der sistierten UNRWA-Gelder freizugeben. Auch die Genfer Stadtregierung schlug vor, die UNRWA mit 500 000 Franken zu unterstützen.

Der Genfer Vorstoss inspirierte. Laut Carlo Sommaruga sind in mehreren Gemeinden ähnliche Vorstösse ausgearbeitet worden, die jedoch nicht alle öffentlich wurden. Ebenfalls inspiriert vom Vorstoss war Severin Meier, SP-Gemeinderat in der Stadt Zürich: «Die Stadt Genf hat einen Beitrag an die UNRWA gespendet, was mich auf die Idee des Postulats im Zürcher Gemeinderat brachte.»

Der Zürcher ist ein wichtiger Kontakt für Sommaruga und die anderen sozialdemokratischen Aussenpolitiker unter der Bundeshauskuppel. Als Fachreferent für Aussen- und Sicherheitspolitik für die SP-Bundeshausfraktion betreut er auch die Aussenpolitische Kommission und das UNRWA-Dossier.

Am 5. Juni reichten Severin Meier und andere links-grüne Politiker im Zürcher Gemeinderat ein Postulat nach Genfer Vorbild zur Unterstützung des umstrittenen Palästinenserhilfswerks ein. Sie mahnten: «Eine verheerende Hungersnot, an der Tausende von Zivilisten sterben werden, steht kurz bevor.» Ob zu diesem Zeitpunkt im Gazastreifen tatsächlich eine Hungersnot droht, ist umstritten. Mit einer knappen Mehrheit wurde das Postulat im Gemeinderat im Juli gegen starke bürgerliche Opposition verabschiedet.

Rückschlag für die UNRWA-Lobby

Im September die Überraschung: Der Nationalrat stimmte einer Motion des SVP-Nationalrats David Zuberbühler zu, die eine definitive Streichung der Schweizer UNRWA-Gelder forderte. Auch eine Motion aus der Aussenpolitischen Kommission, die eine «Nachfolgelösung» für das umstrittene Hilfswerk suchte, fand eine Mehrheit. Es war ein schwerer Rückschlag für die UNRWA-Befürworter. Es blieben nur knapp drei Monate, bis der Ständerat ebenfalls über die Motionen und damit über eine weitere Unterstützung der UNRWA entscheiden würde.

Der Zürcher Stadtrat, der sonst auf parlamentarische Vorstösse nur gemächlich reagiert, peitschte die Umsetzung des Postulats rasch durch. Nach einer Pro-forma-Abklärung der Terrorvorwürfe, bei der die Kritiker ignoriert wurden, überwies man der UNRWA im November 380 000 Schweizerfranken. Damit sandte man auch ein Signal an die Politik in Bern, wie man intern in einem Memo zugibt: «Politisch sendet die Stadt mit einem Beitrag an die UNRWA kein falsches Signal aus, im Gegenteil: Das Signal wäre eine Parteinahme für die humanitäre Hilfe und ein Signal für mehr Sachlichkeit in der Debatte.»

Francesca Albanese in Bern

Die Wintersession des Ständerats, in der über das weitere Schicksal der UNRWA entschieden werden soll, begann am 2. Dezember 2024. Für den 3. Dezember lud Carlo Sommaruga mit Francesca Albanese eine gleichermassen umstrittene und bekannte Kritikerin Israels ins Parlament ein. Der Uno-Menschenrechtsrat hatte die italienische Juristin 2022 zur Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete ernannt. Seither sorgt sie für Unruhe auf dem diplomatischen Parkett durch ihre zahlreichen antisemitischen Statements.

2024 schrieb Albanese an den französischen Präsidenten Macron auf X: «Die Opfer des 7. Oktobers wurden nicht wegen ihres Judentums getötet, sondern als Reaktion auf die Unterdrückung durch Israel», was von Frankreich und Deutschland verurteilt wurde. Schon Jahre zuvor hatte sie behauptet, Amerika werde durch «die jüdische Lobby unterjocht». Die Biden-Regierung, kurz vor Amtsende, befand, sie sei für ihr Amt nicht geeignet und warf ihr Antisemitismus vor.

Carlo Sommaruga ist anderer Meinung. Für ihn ist Francesca Albanese «das Ziel einer Verleumdungskampagne», die sich gegen jede Person richte, «die sich für die Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere des humanitären Rechts, einsetzt». Sie werde deshalb von Israel und seinen Unterstützern als Antisemitin diffamiert.

Doch kurz vor Beginn der Wintersession beschloss die Aussenpolitische Kommission, den Entscheid über die UNRWA zu vertagen. Zuerst sollten Unterstützer und Kritiker der UNRWA noch einmal angehört werden. Das Gespräch mit Francesca Albanese fand schliesslich nur per Videoübertragung statt, und nur eine Handvoll Parlamentarier fanden sich ein.

Kein Präzedenzfall mehr

In den Augen seiner Befürworter ist das palästinensische Uno-Hilfswerk weiterhin «unentbehrlich», während die Kritiker darin eine Institution sehen, die den Konflikt anfeuert und verlängert. Wie auch immer der Entscheid des Ständerats im März ausfällt: Der Kampf der UNRWA-Befürworter für die Fortsetzung der Schweizer Zahlungen scheint seine Bedeutung verloren zu haben. Mittlerweile haben mehrere westliche Staaten, unter ihnen die USA, Schweden und die Niederlande, ihre Zahlungen an die UNRWA ganz oder zum grössten Teil eingestellt. Nur Dänemark setzte kürzlich mit einer leichten Erhöhung des UNRWA-Budgets einen Kontrapunkt. Der Schweizer Entscheid hat keinen Präzedenzcharakter mehr. Ob es für das umstrittene Uno-Hilfswerk, das seit Januar in Israel verboten ist, eine Zukunft gibt, wird jetzt vor Ort entschieden.

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