Montag, Januar 20

Sie ist eine der bekanntesten Influencerinnen des Landes und eine erfolgreiche Geschäftsfrau mit Läden an bester Lage. Wie schafft man so etwas von Kleinbasel aus?

Sandra Pinto sitzt auf einem Hocker unten im Lager ihres Geschäfts nahe der Zürcher Bahnhofstrasse und posiert. Das Lager ist brachial eingerichtet, ausgeschnittene Kartonschnipsel dienen als Etiketten, überall Kleider, einige verpackt, andere sorgfältig aufgehängt. Das Lager ist bis zur Decke gefüllt. Pinto posiert und kreiert in einer unästhetischen Umgebung eine Kulisse. Sie ist ein Profi. Sie weiss sich zu inszenieren.

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Inszenierung ist ein wichtiger Teil ihres Lebens, das zuweilen wie eine Filmkulisse aussieht. Pinto logiert in Luxushotels in St. Moritz, fährt mit einem Porsche an den Comersee, lässt sich in einem Riad in Marokko verwöhnen. Denn das ist ihr Job.

Immer an ihrer Seite ist ihr Ehemann Miguel Lujan. Er ist gleichzeitig ihr Geschäftspartner. Gemeinsam führen sie ein Leben, das wirkt, als hätte man einen Instagram-Filter darübergelegt. Auf allen Fotos sind ihre Haare perfekt, ihre Outfits elegant, ist ihre Umgebung stimmig. Ihr offenbar perfektes Leben hat Pinto zu einer der erfolgreichsten Schweizer Influencerinnen gemacht – und zu einer gefragten Unternehmerin in der Modebranche.

Die Influencerin

Sandra Pinto, 32 Jahre alt, wurde vor zehn Jahren auf Instagram berühmt, indem sie ihre Outfits zeigte. Heute hat sie eine halbe Million Follower. 2018 gründete sie ihre eigene Kleidermarke, Lamarel. 2021 eröffnete sie ihren ersten Laden im Matthäusquartier in Basel, 2022 einen in Zürich beim Sihlcity. 2024 folgte der Umzug des Zürich-Stores an die Nüschelerstrasse, nur hundert Meter von der Bahnhofstrasse entfernt. In wenigen Jahren von Kleinbasel an den Zürcher Paradeplatz.

Pinto verkauft mit Lamarel sogenannte Basics. Das sind Kleidungsstücke wie weisse T-Shirts, beige Mäntel oder blaue Jeans. Nichts, was neu erfunden wurde, aber Kleidung, die für den Alltag geeignet ist, unauffällig, neutral und gut kombinierbar. Für ihre erste Kollektion produzierte sie 60 Pullover, mittlerweile verkauft sie 60 000 Kleidungsstücke pro Jahr.

Pinto macht Kleidung, die man tausendfach gesehen hat. Wieso ist sie damit so erfolgreich?

Angefangen hat alles mit «Entre Dois», Pintos Blog- und Instagram-Name. Während des Wirtschaftsstudiums fing Pinto mit dem Bloggen an und zeigte online ihre Outfits. So sah man die junge Pinto in engen Jeans, mit kurzer Lederjacke und einem übergrossen Schal – 2014 war es «das» Outfit.

Es war die Zeit, in der junge Personen ihren Kleidungsstil und ihr Leben zu teilen begannen, auf Blogs, Facebook, Tumblr und später auf Instagram. Die Plattformen machten zuvor Unbekannte plötzlich berühmt.

Pinto hat schnell Follower gewonnen. Sie sei in der Schweiz eine der ersten Influencerinnen auf Instagram gewesen. Anscheinend habe es Leute interessiert, was sie trage. Und mit wem sie zusammen sei.

Die Kämpferin

Zur gleichen Zeit wie ihr Blog trat Miguel Lujan in ihr Leben. «Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich weiss, das klingt kitschig», sagt Pinto. Ihren heutigen Ehemann hat sie im Internet kennengelernt. So perfekt alles klingen mag, einfach war es zu Beginn nicht. Sechs Jahre lang führten die beiden eine Fernbeziehung, sie lebte in Basel, er in Spanien.

Seit 2020 lebt Lujan mit Pinto in Basel, mittlerweile auch mit ihrem flauschigen Hund Pancho. Beide gehören inzwischen zum schönen Leben, das Pinto in den sozialen Netzwerken zeichnet.

Die Strategin

Man fragt sich zuweilen, ob das alles nur Fassade ist oder ob die drei tatsächlich so unbekümmert leben, wie es scheint. Pinto trennt ihr Privatleben und ihr öffentliches Leben bewusst. Durch die Abgrenzung übt sie gewissermassen Kontrolle über ihr öffentliches Bild aus. Sie bietet weniger Angriffsfläche. Sie führe ein Leben als «Entre Dois» und eins als Sandra. Eines sei Arbeit, das andere Freizeit. Zwei Leben, zwei Sandras.

«Entre Dois» wird nicht Französisch ausgesprochen, sondern Portugiesisch. Übersetzt bedeutet es: zwischen zwei. Pintos Eltern stammen aus Portugal und sind in jungem Alter in die Schweiz gekommen. Pinto, die in Basel geboren wurde, wuchs unter dem Einfluss zweier Kulturen auf.

Das sei für eine junge Frau, die sich ohnehin mit ihrer Identität auseinandergesetzt habe, eine herausfordernde Situation gewesen. Pinto sagt: «Es dauerte einen Moment, bis ich gemerkt habe, dass es die perfekte Mischung ist, zwei Kulturen zu haben.»

Pinto wollte schon immer in der Modebranche arbeiten. Sie studierte in Basel Wirtschaft – aus strategischen Gründen. Sie war der Überzeugung, Wirtschaft würde sie weiter bringen als ein kreatives Studium. Vielleicht hatte sie recht. Während des Studiums arbeitete Pinto stets im Verkauf. Nach dem Studienabschluss trat sie eine Stelle beim Schmuckhändler Bucherer als Content-Manager an. Immer ihr Ziel im Hinterkopf.

Finanziell hätte sie den Job nicht gebraucht. Als Influencerin hätte sie genug verdienen können, sagt Pinto. Aber sie wollte nicht abhängig von der Plattform sein. Heute geht sie keine Werbeverträge ein, von denen sie nicht überzeugt ist. Ein Luxus, den nicht alle Influencer haben.

Die Geschäftsfrau

Sandra Pinto weiss, was sie will. Sie wusste es schon früh. Selbständig sein, eine eigene Kleidermarke gründen, das war ihr Ziel. Sie kündigte ihren Job und probierte es. Sie hatte 6000 Franken und familiäre Beziehungen in Portugal. Also rief sie Lamarel ins Leben und stieg ins Flugzeug. Pinto fuhr vier Wochen lang jeden Tag im klapprigen roten Audi ihres Bruders in verschiedene Fabriken – zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück. Meistens erfolglos. Die wenigsten Fabriken wollten eine so kleine Menge produzieren. Sie sagt: «Je mehr Absagen mir die Fabriken erteilten, desto mehr wollte ich es schaffen.»

Eine Firma, bei der sie bis heute produziert, nahm sich schliesslich der Prototypen von Pinto an. Mit alten T-Shirts der Mutter, mit Fotos und Skizzen entwarf Pinto mit der Schneiderin der Fabrik die ersten Pullover – ohne jegliche Erfahrung. Aber mit Erfolg.

Nachdem eine deutsche Influencerin ein Bild von Pintos Traineranzügen gepostet hatte, ging Lamarel viral. Zusammen mit ihrer Familie und Lujan hätten sie teilweise bis zu 350 Pakete pro Tag gepackt und verschickt, sagt sie. Pintos Alltag mag wie ein Jetsetter-Leben wirken, aber was dahintersteckt, viele Stunden in der Lagerhalle in Muttenz, die ganze Knochenarbeit, das werde oft vergessen.

Wenn Pinto von dieser Zeit spricht, wirkt sie stolz, als hätte sie ein Abenteuer erlebt. Sie hat vieles richtig gemacht. Pinto selber spricht von «etwas Glück», wenn man sie fragt, wie Lamarel so erfolgreich geworden sei. Denn als 2020 die Covid-Pandemie begann, waren Traineranzüge sehr beliebt.

Sie habe früh erkannt, dass Lamarel noch für etwas anderes stehen müsse als nur für Traineranzüge. Die Covid-Pandemie war allmählich vorbei, die Leute gingen wieder ins Büro, sie gingen aus und gingen auf Reisen. Sie begann, Kleider zu entwerfen, die auch für den Büroalltag tauglich waren: Blazer, Blusen und Anzughosen.

Links: Der Laden ist genau wie die Kleider: top gestylt. Das De-Sede-Sofa, der Schweizer Design-Klassiker, im Geschäft von Sandra Pinto. Rechts: Die Lamarel-Jeans sind ein Verkaufshit.

Pinto trifft mit ihrem Stil den Zeitgeist. Ihre Kleider fallen unter die Kategorie «Old Money» oder «Preppy», beide Begriffe stehen für die reiche Oberschicht. Pionier des Stils war der amerikanische Modedesigner Ralph Lauren. Sein Erfolgsrezept: Er demokratisierte den Look der Reichen. Plötzlich konnte sich die breite Bevölkerung Kleider leisten, die sonst den Vermögenden vorbehalten waren.

Lamarel kopiert diese Strategie. Die Preise liegen zwischen 60 und 500 Franken, je nach Stück. Man kauft damit nicht nur ein Shirt oder eine Hose, sondern einen Lebensstil. Den unbekümmert-luxuriösen Alltag der Gründerin Sandra Pinto.

Aber Lamarel ist anders als Louis Vuitton oder Lacoste, die meisten Kleidungsstücke sind nicht beschriftet. Nur Insider erkennen sie auf den ersten Blick. Sie sind anpassungsfähig oder, wie Pinto sagt, zeitlos. Es ist womöglich genau dieses Alles-ist-möglich, das dem Zeitgeist entspricht.

Mittlerweile führt Pinto zwei Läden und einen Online-Shop mit vierzig Angestellten. Umsatzzahlen nennt sie keine, sie sagt nur, es sei jedes Jahr ein Plus von 25 Prozent. Selber sei sie nicht mehr oft im Laden. Vielmehr arbeitet sie als Creative Director und entscheidet, was «in» ist und was nicht.

Nächstes Jahr soll ein Lamarel-Home, ein Möbelgeschäft, eröffnet werden. Vielleicht kann man bald nicht nur so leben, sondern auch so wohnen wie Sandra Pinto.

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