Freitag, November 29

Wer nichts riskiert, verdient an der Börse kein Geld. Ebenso garantiert eine hohe Risikobereitschaft aber keinen Gewinn. Der Schlüssel zum Erfolg beim Investieren besteht darin, Sicherheit zu opfern, dies aber geschickt und mit Kontrolle der Emotionen.

Etwas, das uns interessiert, können wir oft am besten durch Analogien verstehen. Sie verdeutlichen einen Sachverhalt, indem sie diesen mit anderen Aspekten des Lebens verbinden. Deshalb habe ich in jedem der vier Jahrzehnte, in denen ich meine Memos verfasst habe, jeweils ein Memo veröffentlicht, in dem ich das Investieren mit dem Sport vergleiche. Im Jahr 2020 schrieb ich zudem ein Memo, welches das Investieren mit dem Kartenspielen in Zusammenhang stellt.

Der Anstoss zu diesem Memo stammt aus einem Artikel im «Wall Street Journal» vom 12. April mit dem Titel «Chess Teaches the Power of Sacrifice – Schach lehrt die Macht des Opfers», auf den mich mein Geschäftspartner Bruce Karsh hingewiesen hat. Verfasst hat ihn Maurice Ashley, ein Schachgrossmeister, der in den USA mit der Aufnahme in die Chess Hall of Fame geehrt wurde. Nur wenige Leute wissen, dass Bruce ein Schachspieler ist. Ich hatte seit Jahren nicht mehr daran gedacht, doch der Artikel diente als gute Erinnerung und hat mich dazu veranlasst, dieses Memo zu schreiben.

Wie der Titel des Artikels bereits verrät, geht es darin hauptsächlich um die Rolle des Opfers. Ashley hält dazu fest: «Viele Stellungen können nicht gewonnen oder gerettet werden, ohne dass etwas von Wert geopfert wird, vom einfachen Bauern bis hin zur mächtigen Dame.» Beim Opfer, auf das Ashley sich bezieht, geht es um den absichtlichen Verlust einer Figur als Teil der eigenen Strategie.

  • Er bezeichnet einige Opfer als «Shams» bzw. «Scheinopfer» (ein Begriff, den der Schachmeister Rudolf Spielmann in seinem Buch «The Art of Sacrifice in Chess – Richtig Opfern» geprägt hat). Dabei «… kann man leicht erkennen, dass die geopferte Figur einen konkreten, klar kalkulierbaren Nutzen bringen wird». Mit anderen Worten: Ich setze eine Figur einer klaren Gefahr aus, mache dies aber, um eine Figur meines Gegners zu schlagen, die mehr wert ist.
  • Andere Schachzüge werden als «echte» Opfer betrachtet, bei denen «… der Verzicht auf eine Figur Vorteile bietet, die weder unmittelbar daraus entstehen noch konkret greifbar sind. Der Ertrag aus dieser Investition könnte darin bestehen, mehr Raum zu kontrollieren, eine angreifbare Schwäche in der gegnerischen Stellung zu schaffen oder über mehr Figuren im kritischen Angriffssektor zu verfügen.»

Die Analogie zum Investieren kristallisiert sich damit heraus. Der Kauf einer zehnjährigen US-Staatsanleihen ist ein moderates Opfer oder eben ein «Scheinopfer». Man verzichtet zehn Jahre lang auf die Verwendung seines Geldes. Doch das sind bloss Opportunitätskosten, und wer diese in Kauf nimmt, hat die Gewissheit von Zinserträgen. Die meisten anderen Investitionen sind jedoch mit echten Opfern verbunden, bei denen man das Risiko eines Verlustes eingeht, um «Gewinne zu erzielen, die weder unmittelbar daraus entstehen noch konkret greifbar sind».

Ashley fährt fort, von Opfern im Sinn des für Anleger vertrauten Konzepts von Risiko und Ertrag zu sprechen. Er schildert die Entscheidung seiner Mutter, ihn (im Alter von zwei Jahren) und seine beiden Geschwister in Jamaika zurückzulassen, um in den Vereinigten Staaten nach einem besseren Leben für sie und ihre Kinder zu suchen. Ein Jahrzehnt später erreichte sie ihr Ziel und konnte ihre Kinder in die USA hinüberbringen, wo diese in einer Vielzahl verschiedener Gebiete erfolgreich sein würden:

«Dass es so herauskommen würde, war nicht sicher. Es ist so geschehen, weil sie bereit war, den wichtigsten Aspekt echter Opfer in Kauf zu nehmen: die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Für einen Schachspieler ist das Risiko ebenso intuitiv wie kalkuliert. Aufgrund der inhärenten Komplexität des Spiels ist es praktisch unmöglich, mit Sicherheit abzuschätzen, ob sich ein riskanter Zug am Ende auszahlen wird. Es obliegt dem Spieler zu entscheiden, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, um einen riskanten Zug zu wagen …»

«Wir wissen jedoch, dass das berühmte Sprichwort «Ohne Risiko kein Gewinn» in vielen Fällen zutrifft. Ein geschickter Gegner beherrscht normalerweise ein solides, konservatives Spiel. Er ist daher in der Lage, uns der Chancen zu berauben, die sich aus unserer Stellung ergeben könnten. Wie [der fünffache Schachweltmeister] Magnus Carlsen es ausdrückt: «Nicht bereit zu sein, Risiken einzugehen, ist eine extrem riskante Strategie.» (Hervorhebung hinzugefügt)

Und da haben wir’s: die Unverzichtbarkeit des Risikos.

Das Risiko, kein Risiko einzugehen

Da die Zukunft naturgemäss ungewiss ist, müssen wir uns in der Regel entscheiden zwischen (a) der Risikovermeidung und einem geringem oder gar keinem Ertrag, (b) einem bescheidenen Risiko und einem entsprechend bescheidenen Ertrag oder (c) einem hohen Mass an Ungewissheit, aus dem ein hoher Gewinn, aber auch die Möglichkeit eines hohen, dauerhaften Verlusts resultieren kann. Jeder würde gerne grosse Gewinne bei geringem Risiko erzielen, aber die «Effizienz» der Märkte – also die Tatsache, dass die anderen Marktteilnehmer keine Dummköpfe sind – schliesst diese Möglichkeit üblicherweise aus.

Die meisten Anleger sind in der Lage, «a» und den Grossteil von «b» zu erreichen. Die Herausforderung beim Investieren liegt im Streben nach einer Form von «c». Um hohe Renditen zu erzielen – auf absoluter Basis oder im Vergleich zu anderen Marktteilnehmern – muss man ein erhebliches Risiko tragen: entweder die Möglichkeit eines Verlusts beim Streben nach absoluten Gewinnen oder die Möglichkeit einer Underperformance beim Streben nach Outperformance. In jedem Fall sind die beiden Aspekte untrennbar miteinander verbunden. Wie Ashley sagt: kein Risiko, keine Belohnung. Kein Schmerz, kein Gewinn.

Ausgesprochen real ist das Risiko, das entsteht, wenn man nicht genug Risiko eingeht. Privatanleger, die das Risiko meiden, müssen in Kauf nehmen, dass sie am Ende eine Rendite erzielen werden, die nicht ausreicht, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken. Und professionelle Investoren, die zu wenig Risiko eingehen, können möglicherweise nicht mit den Erwartungen ihrer Klientel oder ihrer Benchmark mithalten.

Wie beim Schach (und bei den meisten Kartenspielen) muss man auch beim Backgammon abwägen, wann man ein Risiko eingeht und wann man es vermeidet. Bei diesem Spiel bewegen zwei Spieler ihre Steine über das Brett, wobei dafür gewürfelt wird. Ein Spieler bewegt sich im Uhrzeigersinn und der andere gegen den Uhrzeigersinn. Wenn sich die Steine der Spieler einander nähern, hat der Spieler, der am Zug ist, oft die Wahl zwischen zwei Optionen: (a) seinen Stein auf den seines Gegners zu setzen, wodurch der betreffende Stein zurück an den Start geschickt wird (allerdings mit dem Risiko, dass sich der bewegte Stein dann in einer ungeschützten Position befindet); und (b) einen solchen Zug zu unterlassen, um auf Nummer sicher zu gehen. Niemand möchte sich einer Gefahr aussetzen und vom Gegner erwischt werden. Die meisten Anfänger gehen aber zu stark auf Nummer sicher, und weil sie so viel Wert darauf legen, nicht erwischt zu werden, gewinnen sie selten.

Einschlägige Lektionen aus dem Sport (die in früheren Memos aufgegriffen werden) sind leicht verständlich und ebenfalls sehr hilfreich:

  • «100% der Schüsse, die Du nicht machst, erzielen keinen Treffer» – Wayne Gretzky, geehrt in der Hall of Fame der Eishockeyliga NHL
  • «Man muss sich selbst die Chance geben, zu scheitern.» – Kenny «The Jet» Smith, zweimaliger Titelgewinner der Basketballliga NBA.

Zusammenfassend hierzu ein Absatz aus meinem Memo «Fewer Losers, or More Winners?» vom vergangenen September. Der letzte Satz sagt enorm viel über das Thema Opfer und Risiko aus:

… keine Verlierer im Portfolio zu haben, ist kein sinnvolles Ziel. Der einzige sichere Weg, dies zu erreichen, besteht darin, kein Risiko einzugehen. Aber … das Vermeiden von Risiko führt wahrscheinlich zur Vermeidung von Rendite. Es besteht somit auch eine Art von Risiko, zu wenig Risiko einzugehen. Die meisten Leute können das intellektuell nachvollziehen. Doch die menschliche Natur macht es vielen von uns schwer, das Konzept zu akzeptieren, dass die Bereitschaft, mit gewissen Verlusten zu leben, ein wesentlicher Bestandteil des Erfolgs beim Investieren ist.

Wie man über Risikobereitschaft denken sollte

Das Eingehen von Risiken ist unausweichlich mit einem Paradox verbunden. Man muss Risiken eingehen, um auf wettbewerbsintensiven, hoch anspruchsvollen Gebieten erfolgreich zu sein. Doch wenn man ein Risiko eingeht, bedeutet das nicht, dass man erfolgreich sein wird; deshalb nennt man es ja auch ein Risiko.

Ebenso paradox ist, dass das Erzielen einer hohen Rendite über einen langen Zeitraum hinweg nicht zwangsläufig – und auch meistens nicht – mit durchgängigen Erfolgen zu tun hat. Vielmehr ist der Grund dafür eine Vielzahl gut durchdachter Investitionen, von denen sich eine Teilmenge erfreulich entwickelt hat. Im Memo «Fewer Losers, or More Winners?» habe ich die Grundlage für den Erfolg von Berkshire Hathaway folgendermassen beschrieben:

Ich glaube, die Erfolgsfaktoren für Warren [Buffetts] und Charlie [Mungers] hervorragende Performance sind einfach: (a) viele Investitionen, die anständig abschnitten, (b) eine relativ kleine Anzahl grosser Gewinner, in welche sie in bedeutendem Umfang investierten und die sie jahrzehntelang hielten, sowie (c) relativ wenige grosse Verlierer. Niemand sollte von sich – oder von seinem Vermögensverwalter – erwarten, alle grossen Gewinner und keine Verlierer im Depot zu halten.

Anleger müssen akzeptieren, dass Erfolg wahrscheinlich aus einer grossen Anzahl von Investitionen resultiert. Man macht sie alle, weil man erwartet, dass sie erfolgreich verlaufen werden. Man ist sich aber auch bewusst, dass ein Teil nicht erfolgreich sein wird. Man muss mit vollem Einsatz spielen. Es geht darum, einen Versuch zu wagen. Nicht jeder Effort wird mit hohen Erträgen belohnt, aber hoffentlich werden sich genug davon auszahlen, um langfristig Erfolg zu haben. Dieser Erfolg hängt letztlich vom Verhältnis zwischen Gewinnern und Verlierern sowie von der Höhe der Verluste im Verhältnis zu den Erträgen ab. Doch wer sich weigert, in diesem Prozess Risiken einzugehen, kommt wahrscheinlich nicht ans Ziel.

Ich schliesse mit einem weiteren aufschlussreichen Abschnitt aus dem Artikel von Ashley:

«Ein Risiko einzugehen, bedeutet nicht, dass es zu einem erfolgreichen Ergebnis führt, und das ist auch nicht erforderlich. Wenn die Argumente stichhaltig sind, sollte man ein Risiko nahezu reflexartig eingehen. Je öfter wir auf unser Urteil vertrauen, desto mehr Vertrauen gewinnen wir in unsere Entscheidungsfähigkeit. Der Mut zum Risiko wird zu einem lohnenswerten Ziel an sich.»

Die Quintessenz bei der Suche nach überdurchschnittlichen Renditen ist klar: Man sollte nicht erwarten, dass man Geld verdient, ohne Risiken einzugehen. Ebenso sollte man nicht erwarten, dass man Geld verdient, nur weil man Risiken eingeht. Man muss Sicherheit opfern, doch man muss es geschickt und intelligent tun und dabei seine Emotionen unter Kontrolle halten.

Bei diesem Gastbeitrag handelt es ich um eine Übersetzung des jüngsten Memos von Howard Marks. Die englische Originalfassung sowie ein dazugehöriger Podcast sind unter diesem Link auf der Website von Oaktree Capital abrufbar.

Howard Marks

Howard Marks ist Co-Chairman von Oaktree Capital Management. Seit der Gründung von Oaktree 1995 ist er dafür verantwortlich, dass sich die US-Investmentgesellschaft nach den Kernprinzipien ihrer Anlagephilosophie richtet. Er pflegt einen engen Kontakt zu Kunden hinsichtlich Anlageprodukten sowie Strategien. Zudem bringt er seine Erfahrung ein, wenn es um fundamentale Entscheide zu Investitionen und der Unternehmensausrichtung geht. Howard Marks ist in der internationalen Finanzbranche für seine «Memos» an Oaktree-Kunden bekannt. Warren Buffett hat dazu einmal gesagt: «Wenn ich ein Memo von ihm in meiner Mailbox sehe, ist es das Erste, was ich öffne und lese. Ich lerne dabei immer etwas.»
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