Montag, November 18

Die US-Notenbank sei wichtiger als die Person, die im Weissen Haus sitzt, sagt Kristina Hooper, die Chefstrategin des amerikanischen Vermögensverwalters Invesco. Was sie von den Wahlversprechen Trumps hält.

Sie haben Ihren Kunden hier in der Schweiz gerade einen Marktausblick fürs kommende Jahr präsentiert. Es ist wohl schwierig, Prognosen zu machen, wenn eine neue US-Regierung anfängt, die vieles auf den Kopf stellen will.

Die Präsidentschaftswahlen haben eigentlich kaum Einfluss auf unser Basisszenario. Wir erwarten in den USA ein Soft Landing, eine weitere Lockerung der Geldpolitik und eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums im kommenden Jahr. Aber natürlich: Die Pläne der neuen Regierung bergen Risiken für dieses Szenario, sowohl gegen oben als unten.

Was könnte schiefgehen?

Die Entscheidungen der neuen Regierung könnten dazu führen, dass die Inflation wieder anzieht, und die US-Notenbank die Zinsen nicht wie erwartet weiter senken wird. Das Risiko einer Wiederbeschleunigung der Inflation hätte ohnehin bestanden, aber falls einige Wahlversprechen von Trump verwirklicht werden, steigt die Wahrscheinlichkeit für dieses ungünstige Szenario.

Dabei war der Frust über Kaufkraftverluste für gewisse Wähler ausschlaggebend, Trump zu wählen. Welche seiner Wahlversprechen könnten denn die Inflation anheizen?

Die Zölle und die Ausschaffung von 15 bis 20 Millionen illegaler Migranten.

Wie hoch ist das Risiko, dass Zölle eingeführt werden, die für einen Teuerungsschub sorgen? Trump will ja alle chinesischen Importe mit mindestens 60 Prozent Abgaben belegen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass das so kommt, erachten wir als eher klein. Wir hören von Vertretern der neuen Regierung, dass es sich primär um eine Drohkulisse handelt, um Peking Konzessionen abzuringen. Und falls wirklich so hohe Zölle eingeführt werden sollten, dann wohl nur für kurze Zeit. Auch die Trump-Regierung weiss, wie schädlich diese auf Dauer für die amerikanische Wirtschaft wären.

Sind Sie sicher? Trump gibt sich in dieser Frage ziemlich kategorisch.

Ich glaube, dass Trump um jeden Preis eine Rezession vermeiden will. Es geht ihm in seiner zweiten Amtszeit auch um sein politisches Vermächtnis, das in Gefahr geriete, wenn es ausgerechnet wegen seiner Handelspolitik zu einer Konjunktur-Verlangsamung käme. Ich bin optimistisch, dass es gar nie zu diesen Zollschranken kommt. Oder dass sie zwar hochgezogen werden, aber dass danach rasch eine politische Lösung gefunden wird.

Welche Reaktion erwarten Sie von Peking auf allfällige Zölle?

Ich vermute, dass die Chinesen bereit wären, zu verhandeln, wie sie das während der ersten Trump-Regierung getan haben. Peking könnte auch mit mehr inländischen Stimulierungsprogrammen reagieren. In diesem Fall sehen wir noch mehr Aufwärtspotenzial für die chinesische Wirtschaft und den chinesischen Aktienmarkt.

Nehmen Sie Trumps Wahlversprechen, 15 bis 20 Millionen illegale Einwanderer auszuschaffen, zum Barwert?

Nein, wir hören, dass das unwahrscheinlich ist. Und dass es wohl darauf hinauslaufen wird, dass man einzig straffällige Ausländer ausschafft. Man ist sich der negativen Auswirkungen einer grossangelegten Deportation bewusst. Unternehmen sind dringend auf diese Arbeitskräfte angewiesen. Wenn sie plötzlich fehlen, riskiert die Regierung, dass die Teuerung spürbar ansteigt. Die Inflation von Gütern ist ja kein Problem mehr, die Inflation im Dienstleistungssektor aber sehr wohl – wegen der hohen Lohnkosten, die das Resultat des angespannten Arbeitsmarktes sind. Während man Zölle von einem Tag auf den anderen einführen und wieder aufheben kann, würden ausgeschaffte Migranten der Wirtschaft dauerhaft fehlen.

Dann sind da auch die hohen Staatsdefizite und Schulden, die unter Trump noch einmal massiv ansteigen könnten. Werden sie zur Belastung für die Wirtschaft?

Die Wahlkampfversprechen werden voraussichtlich zu höheren Defiziten führen. Es besteht ein ernstes Risiko, das auch in anderen Industrieländern besteht: dass der Anleihemarkt rebelliert und plötzlich viel höhere Renditen für Staatsanleihen verlangt. Das wird ein sehr schwieriges Umfeld schaffen.

Könnte der Bondmarkt in Panik geraten – wie das in Grossbritannien geschah, als Premierministerin Liz Truss ein besonders verantwortungsloses Budget präsentierte?

Ich denke, das ist kurzfristig sehr unwahrscheinlich. Allerdings bewegt sich die Regierung auf einem zunehmend schmalen Grat. 2024 ist das erste Jahr, in dem die USA mehr für die Bedienung der Schulden ausgeben werden als für die Verteidigung. Das ist natürlich keine gute Entwicklung.

Kann Elon Musk und sein Ministerium für Regierungseffizienz Abhilfe schaffen?

Vielleicht, aber das ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich würde der Bondmarkt ein Effizienzprogramm begrüssen. Allerdings könnte ein solches auf das Wirtschaftswachstum drücken. Denn viele Regierungsaufgaben wie zum Beispiel Unterstützungszahlungen für die ärmsten Haushalte haben einen höheren Multiplikationsfaktor als Steuersenkungen für Wohlhabende. Reiche legen ihr Geld meist auf die hohe Kante und geben nicht alles aus.

Ein Risiko haben wir noch nicht angesprochen: dass Trump sich in die Notenbankpolitik einmischen könnte. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Das ist nicht länger eine grosse Sorge. Der Notenbank-Präsident Jay Powell hat letzte Woche klargemacht, dass er nicht zurücktreten wird, und auch nicht glaubt, dass Trump die Möglichkeit hat, ihn vorzeitig zu entlassen. Bis im Mai 2026, dem Zeitpunkt, an dem Powells Mandat ausläuft, ist dieses Problem also vom Tisch.

Wenn man Ihnen so zuhört, könnte man meinen, dass es für die Wirtschaft und Investoren eigentlich unerheblich ist, wer im Weissen Haus sitzt. Stimmt dieser Eindruck?

Die US-Regierung hat nur einen begrenzten Einfluss auf die Wirtschaft und die Aktienmärkte. So gesehen ist die Person, welche die US-Notenbank leitet, wichtiger als die Person, die im Weissen Haus sitzt. Für die Wirtschaft und die Anleger ist die Geldpolitik von grösserer Bedeutung. Natürlich wirken sich auch Regierungsentscheidungen darauf aus, wie stark die Zinsen gesenkt werden, aber wir erwarten nicht, dass die Regierung Dinge riskiert, die eine grundlegende Änderung der Geldpolitik erforderlich machen würden.

Wie interpretieren Sie den steigenden Goldpreis? Zeigt er an, dass die Finanzmärkte das Vertrauen in den Dollar verlieren?

Es ist historisch gesehen wirklich ungewöhnlich, dass der Goldpreis und die Aktienmärkte gleichzeitig steigen. Ich glaube, das heisst, dass die Investoren optimistisch für die Wirtschaft sind, sich gleichzeitig aber gegen Unfälle absichern wollen. Diese Sichere-Hafen-Rolle trauen sie den US-Staatsanleihen offenbar nicht mehr vollumfänglich zu. Der Status des Dollars als wichtigste globale Reservewährung schwindet etwas. Auch Zentralbanken setzen wieder vermehrt auf Gold. Natürlich hat es beim Anstieg des Goldpreises auch ein Element der Spekulation gegeben, doch das ist nun an Bitcoin übergegangen.

Welche Entwicklung erwarten Sie in Europa? Dort ist die Stimmung im Vergleich zu den USA ja sehr gedämpft.

Europa wird der wirtschaftlichen Entwicklung der USA folgen. Natürlich ist die Konjunktur schwächer, dafür gibt es aber mehr Spielraum für Zinssenkungen, die das Wachstum dann beleben. Auch in Europa wird sich das Wachstum nächstes Jahr wieder beschleunigen. Zudem würde ein allfälliges Stimulierungsprogramm in China vor allem auch den europäischen Firmen helfen.

Was sind Ihre Tipps für Anleger?

Sie sollten nicht vergessen: Donald Trump wird vier Jahre lang im Amt sein. Der Anlagehorizont der meisten Anleger ist viel länger. Es lohnt sich nicht, seine Anlagestrategie aufgrund der Politik zu ändern. Präsidenten kommen und gehen. Die Regel Nummer eins lautet: nicht in Panik geraten. Es ist ein normaler Reflex, in Zeiten grosser Unsicherheit Aktien zu verkaufen und abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Aber das wäre falsch. Die Anleger sollten investiert bleiben, aber gut diversifiziert sein.

Was heisst das konkret?

Für europäische Investoren bedeutet das zum Beispiel, einen Teil der Gewinne zu realisieren, die sie in letzter Zeit mit amerikanischen Anlagen eingefahren haben, und stattdessen britische, europäische oder asiatische Aktien zu kaufen, die viel tiefer bewertet sind. Oder innerhalb der USA umzuschichten und etwa vermehrt kleinkapitalisierte Aktien oder Zykliker zu berücksichtigen.

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