Sonntag, Januar 19

Die Unsicherheit ist zurück am Ölmarkt: Washington hat über 180 Schiffe sanktioniert. Es wird teurer, legal Erdöl zu transportieren.

Es hat fast vier Jahre gedauert, bis die USA einen weitreichenden Schlag gegen die russische Erdölbranche gelandet haben. Nun ist es geschehen – und die neuen Strafen sind die umfassendsten seit Beginn von Moskaus Grossoffensive gegen die Ukraine. Die neue Unsicherheit am Ölmarkt kostet: Der Preis für ein Fass Rohöl der Sorte Brent schoss um 5 Prozent in die Höhe und hält sich seit über einer Woche über der Marke von 80 Dollar je Fass.

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Das letzte Mal war der Ölpreis Anfang Oktober 2024 über diese Marke getrieben worden. Damals befürchtete die Welt eine militärische Eskalation zwischen Israel und Iran. Diese Eskalation blieb aus. Hingegen sind die neuen Probleme am Erdölmarkt in Stein gemeisselt, beziehungsweise in die Sanktionslisten des US-Finanzministeriums.

Firmen sind leicht zu ersetzen – Schiffe nicht

Die Regierung von Joe Biden hat am 10. Januar zwei Grosskonzerne aufs Korn genommen: Surgutneftegas und Gazprom Neft, die dritt- und viertgrössten Ölproduzenten Russlands. Ebenso Sovcomflot, die wichtigste Reederei des Landes. Sonst sind die USA vorsichtiger. Das zeigt der Umstand, dass Rosneft, der grösste Ölkonzern, sowie Gazprom, der grösste Erdgasförderer, bis heute nicht direkt zur Zielscheibe gemacht wurden – nur exponierte Tochtergesellschaften.

Unternehmen lassen sich leicht gründen. Es darf vermutet werden, dass Russland auch in Zukunft durch Kaskaden von Zwischengesellschaften versuchen wird, seine Ölexporte zu verschleiern und die westlichen Sanktionen zu umgehen: Die EU und die G-7-Länder haben auf ihrem Gebiet ein Embargo gegen russisches Erdöl verhängt und setzten am Weltmarkt einen Maximalpreis von 60 Dollar je Fass für Rohöl aus Russland.

Doch die Konstruktion von Schiffen ist weitaus langwieriger als von Firmen. Darin liegt der grösste Effekt der neuen Sanktionen: Die USA setzten 183 Schiffe, darunter 143 Öltanker, auf ihre schwarze Liste. Dabei handelt es sich sowohl um normale Tanker als auch um solche, die zur russischen Schattenflotte gezählt werden, wie der Brancheninformationsdienst Kpler schreibt. Mit dieser Flotte versucht Russland, sein Öl abseits der Sanktionen zu verkaufen.

Schon in der Vergangenheit wurden einzelne Schiffe bestraft – aber nun ist eine neue Dimension erreicht. Laut Kpler transportieren die betroffenen Tanker rund 42 Prozent des auf dem Seeweg exportierten russischen Öls. Die Sanktionen bedeuten unter anderem, dass Handelsgesellschaften diese Schiffe nicht chartern und Versicherungen sie nicht abdecken dürfen. Der Versicherungsschutz ist eine Grundvoraussetzung im internationalen Rohstoffhandel.

Auch Ausländer halten sich an Amerikas Sanktionen

Das Verbot gilt zunächst für amerikanische Unternehmen. Aber auch sehr viele andere Akteure dürften sich daran halten, um nicht zum Ziel sogenannter Sekundärsanktionen zu werden. Mit ihnen ahndet Washington, wenn ausländische Parteien gegen amerikanische Strafen verstossen. Da der globale Rohstoffhandel stark von westlichen Dienstleistern und von Transaktionen in Dollar abhängig ist, haben amerikanische Sanktionen in der Branche grosse Strahlkraft.

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind China und Indien zu den wichtigsten Abnehmern russischen Erdöls aufgestiegen. Die neuen Sanktionen treffen Schiffe, die vergangenes Jahr für rund 61 Prozent der Öllieferungen auf dem Seeweg von Russland nach China verantwortlich waren; im Fall von Indien für rund einen Drittel. Beide Länder haben bereits signalisiert, dass sie kein Öl von sanktionierten Schiffen beziehen möchten.

Schiff ist nicht gleich Schiff: Washington hat auch gezielt sogenannte «Shuttle Tanker» aufs Korn genommen. Sie wurden speziell dafür gebaut, den Rohstoff von den russischen Förderstellen zu Verladeterminals zu transportieren. Das zeigt eine Auswertung der Nachrichtenagentur Bloomberg. Es geht etwa um Schiffe, die von sibirischen Gewässern durch die Arktis nach Murmansk fahren oder die russischen Bohrinseln an der Pazifikinsel Sachalin bedienen.

Die Schattenflotte könnte wachsen

Zwar können russische Unternehmen diese Schiffe weiterhin fahren lassen. Doch ausländische Kunden dürften darauf achten, dass der Lieferweg ihres Öls «sauber» und frei von Sanktionsverstössen ist. Laut Bloomberg könnte so der Transport von rund 1,5 Millionen Fass Rohöl pro Tag erheblich beeinträchtigt werden – zumindest der Transport auf legalem Wege.

Im Gegenzug könnten die sanktionierten Schiffe nun endgültig in die russische Schattenflotte gedrängt werden. Mit dieser Flotte aus meist älteren und oft unversicherten Tankern versucht Moskau, Sanktionen wie die Preisgrenze zu umgehen. Experten sehen in ihr ein grosses Umweltrisiko. Der Tanker Eventin, der jüngst tagelang manövrierunfähig in der Ostsee vor der deutschen Insel Rügen trieb, zählt möglicherweise dazu.

Die Schattenflotte transportiert rund 70 Prozent des auf dem Seeweg exportieren russischen Öls, schätzten im Oktober Wissenschafter der Kyiv Schoof of Economics. Die Ökonomen veranschlagen die Grösse der Flotte auf mindestens 300 Tanker, wobei manche nur für einzelne Aufträge in diese Parallelwelt abtauchen. Das könnte sich ändern: Gemäss dem russischen Nachrichtenportal «The Bell» sind nun 7 Prozent der globalen Tankerflotte sanktioniert.

Weil viele Schiffe dem legalen Rohstoffhandel entzogen werden und damit die Transportkapazität für Öl empfindlich schrumpft, schossen bereits die Frachtpreise für Supertanker in die Höhe. Dass der Ölpreis nicht noch stärker zulegte, ist dem Ungleichgewicht am Markt zuzuschreiben: Das Angebot ist derzeit grösser als die Nachfrage, auch aufgrund der hohen Förderung in den USA.

Bleibt der Ölmarkt überversorgt?

Die amerikanische Energy Information Administration (EIA), eine vielbeachtete Energiebehörde, erwartet auch 2025 und 2026 Druck auf den Rohölpreis. Nach ihrer jüngsten Schätzung dürfte er in diesem Jahr bei durchschnittlich 74 Dollar und 2026 bei 66 Dollar je Fass Brent liegen – aber zum Zeitpunkt der Prognose waren die Folgen der verschärften Sanktionen noch nicht absehbar.

Klar ist: Präsident Joe Biden musste sich nicht mehr während seiner Amtszeit um steigende Benzinpreise sorgen. Das könnte seinen Entscheid für die aggressiveren Massnahmen erleichtert haben.

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