Donald Trump pflügt die internationale Ordnung um und verschont auch die alten Verbündeten in Europa nicht. Es ist die Wiederkehr des amerikanischen Isolationismus – einfach besonders rücksichtslos.
Europas Regierungen kommen nicht zur Ruhe. Nie zuvor in der Geschichte hat ein amerikanischer Präsident in so kurzer Zeit so viel Disruption erzeugt wie Donald Trump. In irrwitzigem Tempo erlässt der neue alte Mann im Oval Office seine Dekrete, kündigt Massnahmen an, setzt erst kürzlich Beschlossenes wieder aus – oder verschärft es noch einmal. Vor allem aber scheint er sich wenig um das transatlantische Verhältnis zu scheren. Und droht unverhohlen mit einer Tradition zu brechen, die in Europa als Naturgesetz betrachtet wurde: der Freundschaft der USA samt ihren Schutzgarantien.
«Wenn sie nicht zahlen, werde ich sie nicht verteidigen», sagte Trump Ende der vergangenen Woche über seine «Freunde» auf dem alten Kontinent. Und wiederholte damit nur, was er schon früher gesagt hatte: «Von heute an heisst es ‹America first›», versprach er 2017, als er seine erste Amtszeit antrat.
Nun könnte es zum krachenden Abschied aus einer achtzig Jahre währenden Liaison kommen. Zu einem Ende der regelbasierten internationalen Ordnung, die unter der Ägide der Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde – der Pax Americana, in der es sich die Europäer gemütlich eingerichtet hatten.
Der Politologe Hal Brands nahm diese Entwicklung 2024 vorweg, als er in einem Essay in «Foreign Affairs» schrieb: «Die grosse Ironie der amerikanischen Aussenpolitik nach 1945 besteht darin, dass das Land, das die liberale Ordnung geschaffen hat, das Land ist, das sie am wenigsten braucht.» Tatsächlich kommt Trumps Neoisolationismus nicht überraschend. Er ist eine der wenigen Konstanten seiner sonst erratischen Politik. Aber es wäre ein fataler Irrtum zu denken, dass Trump nur eine singuläre Abweichung von der Geschichte sei.
Der Enthusiasmus der USA für internationale Engagements ist die Ausnahme, nicht die Regel, wie der Historiker Charles Kupchan in seiner Studie «Isolationism. A History of America’s Efforts to Shield Itself from the World» nachgezeichnet hat. Und seit dem Ende des Kalten Krieges ist es immer offensichtlicher geworden, dass es nach dem massiven Interventionismus der USA zu einem Backlash kommen würde. Man wollte es einfach nicht wahrhaben – gerade in Europa.
Keine Jagd auf Monster
Der Isolationismus gehört zum Gründungsmythos der Vereinigten Staaten, die sich schon immer als «exceptional nation» verstanden, als ein Land mit besonderer Bestimmung, als «god’s own country». Die Gründervater sahen Amerika als freiheitlichen Gegenentwurf zum monarchischen Europa. Durch zwei Ozeane geschützt, plädierten sie für weltpolitische Abstinenz.
George Washington, der erste Präsident, sagte in seiner Abschiedsrede: «Es ist unsere wahre Politik, keine dauerhaften Allianzen mit irgendeinem Teil der fremden Welt einzugehen.» Seine Nachfolger sahen es gleich. «Handel mit allen Nationen, Bündnis mit niemandem», war Thomas Jeffersons Losung. Und John Quincy Adams fand: «Amerika geht nicht ins Ausland, um Monster zu vernichten.»
1823 erklärte Präsident James Monroe die westliche Hemisphäre zur Tabuzone für fremde Grossmächte. Die Monroe-Doktrin besagte, dass im amerikanischen Hinterhof keine europäischen Kolonien geduldet würden. Das geopolitische Abseitsstehen der USA bedeutete indes nie ökonomische Autarkie. Die Amerikaner waren geschäftstüchtig und auf der Suche nach neuen Märkten. Auch kam es mit zunehmender Stärke zu massiven Gebietsarrondierungen: durch die Einverleibung der nördlichen Hälfte Mexikos, durch die Vertreibung und Vernichtung von Indigenen, durch den Kauf von Louisiana oder Alaska. Und nach hundert Jahren und einem Krieg mit Spanien besass die antikoloniale Macht USA plötzlich selbst Kolonien: Puerto Rico, Hawaii, Samoa, Guam, die Philippinen – offiziell nur, um die unterdrückten Völker zu befreien.
Die Präsidentschaft von Theodore Roosevelt festigte Anfang des 20. Jahrhunderts den Wandel hin zu einer aggressiveren Aussenpolitik. Er reklamierte mit Rückgriff auf die Monroe-Doktrin ein Recht und eine Pflicht, sich in Angelegenheiten anderer Nationen in Nord- und Südamerika einzumischen. «Sprich sanft und trage einen grossen Knüppel; so wirst du weit kommen», sagte Roosevelt. Doch dieser «internationale Polizeidienst» bezog sich weiterhin nur auf die eigene Nachbarschaft.
Wilsons Scheitern
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, blieben die USA neutral. Sie machten aber gute Geschäfte mit den Entente-Mächten. Der Kriegseintritt erfolgte erst 1917, nachdem deutsche U-Boote amerikanische Handels- und Passagierschiffe versenkt hatten – und die USA angefangen hatten, eine mögliche Vorherrschaft des Deutschen Reichs in Europa als Bedrohung für sich zu sehen. Die Einmischung war eine Zäsur in der amerikanischen Geschichte. Die USA überhöhten ihr machtpolitisches Ziel mit einem grossen Versprechen: «Der Krieg, um alle Kriege zu beenden», lautete der Schlachtruf der liberalen Internationalisten um Präsident Woodrow Wilson.
Nach Kriegsende wollten der Idealist Wilson und seine Mitstreiter die «Welt sicher für die Demokratie» machen, unter anderem mithilfe des Völkerbunds. «Es war ihre Vorstellung von Amerikas gottgegebener, vorbildlicher Rolle, die sie der Welt aufzwingen wollten», schreibt der Historiker Adam Tooze. Aber die USA wurden nicht Teil der neuen Sicherheitsarchitektur: Der Senat verweigerte die Ratifizierung des Beitritts zum Völkerbund. Es war die Rückkehr zum alten Ideal des Isolationismus.
Wilsons Nachfolger, der Republikaner Warren Harding, sagte in seiner Inaugurationsrede 1920: «Wir wollen die Geschicke der Alten Welt nicht mitbestimmen. Wir wollen nicht darin verwickelt werden.» Und auch der nächste Republikaner im Weissen Haus, Calvin Coolidge, betonte: «Die wichtigste Aufgabe der Amerikaner ist das Geschäft.» Der geopolitische Einfluss der USA beschränkte sich auf Handel und Dollar-Diplomatie.
Der Maxime blieben die Vereinigten Staaten auch treu, als mit der Weltwirtschaftskrise die Nachkriegsordnung implodierte und der Faschismus auch in Deutschland seinen Siegeszug antrat. Für Franklin Delano Roosevelt, der 1933 ins Weisse Haus einzog, war prioritär, «unser eigenes nationales Haus in Ordnung zu bringen». Mit dem New Deal bekämpfte er Armut und Arbeitslosigkeit, während in Europa dunkle Wolken aufzogen. Es galt die strikte Neutralität; jegliche Waffenlieferung an kriegführende Staaten wurde verboten – egal, ob sie Aggressor oder Opfer waren.
Erst 1939, als die Wehrmacht in Polen einmarschiert war, änderte Roosevelt den Kurs und erreichte, dass Waffen an die Widersacher des Faschismus geliefert werden konnten. Die USA sollten zum «Arsenal der Demokratie» werden, aus der Angst, Hitler würde sonst bald Eurasien beherrschen und dann auch Amerika bedrohen. Der Bevölkerung versprach Roosevelt indes weiter: «Eure Jungs werden in keinen Krieg geschickt.»
Führer der freien Welt
Der innenpolitische Spielraum blieb beschränkt wegen des einflussreichen America First Committee, das vehement für Abschottung und gegen einen Kriegseintritt agitierte – und von dem sich bis heute radikale Nationalisten wie Donald Trump inspirieren lassen. Ob die USA ohne den japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 überhaupt in den Krieg eingetreten wären, ist unter Historikern umstritten. Doch dieser Tag änderte alles: «Es gibt keine Sicherheit in der Passivität, keine Zuflucht in der Isolation», sagte Roosevelt nun.
Und die Folgen sind im kollektiven Gedächtnis besser verankert als die isolationistische Vorgeschichte. Die Amerikaner gingen vor achtzig Jahren als grosse Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervor. Sie pumpten Milliarden von Dollar in den Wiederaufbau Europas, sie stiessen die Gründung der Uno an sowie der Bretton-Woods-Institutionen – und formierten im aufziehenden Kalten Krieg die Nato als Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion. Sie wurden zu den Architekten und Verteidigern einer neuen Ordnung, die der Welt Freiheit, Demokratie und Prosperität bringen sollte, abgesichert mit Hunderttausenden in Europa und Asien stationierten Soldaten – und mit der Atombombe.
Der Historiker Kupchan schreibt: «Es ist kein Zufall, dass die Vereinigten Staaten von einem verbissenen Isolationismus zu einem unnachgiebigen Internationalismus übergegangen sind.» Beides sei aus dem amerikanischen Exzeptionalismus entstanden: «Wenn die Welt nicht durch amerikanisches Beispiel gerettet werden konnte, musste sie durch amerikanisches Handeln gerettet werden.»
Kurz nach Kriegsende zweifelten zwar auch weitsichtige Strategen wie der Diplomat George F. Kennan, ob die Amerikaner nach über 150 Jahren Isolationismus für die Rolle als Führer der freien Welt wirklich bereit seien. Aber der liberale Internationalismus erwies sich als Erfolgsmodell, das Bonmot des «amerikanischen Jahrhunderts» kam auf. Kritik am hohen Preis – auch an Menschenleben – für die Rolle als Weltpolizist gab es dennoch immer wieder, vor allem während des Vietnamkriegs.
Das Ende des Kalten Krieges leitete schliesslich ein Umdenken ein. Ohne dessen disziplinierende Wirkung verschärften sich die Spannungen in den transatlantischen Beziehungen. Der Kommunismus war besiegt, der Hauptjob erledigt. Für Europa verloren die USA als Beschützer an Bedeutung. Umgekehrt waren die USA weniger auf das gute Einvernehmen mit den Europäern angewiesen, setzten vermehrt auf Unilateralismus – und sahen ihre Zukunft bereits im pazifischen Raum.
Ende der endlosen Kriege
Die innenpolitische Unterstützung für Interventionen im Ausland nahm Anfang der 1990er Jahre ab. Experten sprachen schon länger von einer «imperialen Überdehnung». Die Militäroperation gegen Saddam Hussein, der Kuwait annektiert hatte, kam nur mit knapper Mehrheit durch den Senat. Und Präsident Bill Clinton sagte 1993, nachdem Soldaten auf einer Mission in Mogadiscio getötet worden waren: «Amerikaner sind im Grunde isolationistisch (. . .) Im Moment sieht der Durchschnittsamerikaner unsere Interessen nicht so weit bedroht, dass wir auch nur ein amerikanisches Leben opfern sollten.» Clinton intervenierte nicht in Rwanda während des Genozids und in den Jugoslawienkriegen nur zaghaft, ohne Bodentruppen.
Zudem wurde in den USA der Freihandel immer mehr infrage gestellt, weil ausländische Konkurrenz zu massiven Umwälzungen in der heimischen Wirtschaft führte, etwa in der Automobil-, der Stahl-, der Elektronik- und der Textilindustrie. Das verstärkte protektionistische Tendenzen in der Bevölkerung, bereits war wieder die Rede von «America first».
Aussenpolitisch schwang das Pendel wieder in Richtung Interventionismus. Es ist eine Absurdität der Geschichte, dass ausgerechnet der Präsident, der die Amerikaner Anfang der 2000er Jahre in die langen und erfolglosen Kriege im Mittleren Osten führte, zuvor den Demokraten zu viele Auslandsmissionen vorgeworfen hatte. Aber George W. Bush musste nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 handeln: «Heute hat das Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts stattgefunden», notierte er in sein Tagebuch.
Besonders der ohne Uno-Mandat begonnene Irakkrieg führte zu Verwerfungen mit den westlichen Partnern, die ihrerseits ihr Momentum gekommen sahen. Eine «Wiedergeburt Europas» als Gegenmodell zu Amerika propagierten etwa die Philosophen Jürgen Habermas und Jacques Derrida 2003. Doch sicherheitspolitisch haben die Europäer seither nicht viel auf die Reihe gebracht – obwohl die USA ihre Verbündeten schon lange davor warnten, dass sie ihre weltweiten Sicherheitsverpflichtungen reduzieren würden und ein stärkerer Ausgleich nötig sei.
Es war auch nicht Donald Trump, der als Erster die Verbündeten in der Nato aufforderte, zwei Prozent ihres BIP für die Verteidigung auszugeben, sondern Barack Obama 2014. Vier Jahre zuvor hatte er bereits klargestellt: «Die Lasten eines jungen Jahrhunderts können nicht allein auf den Schultern der Amerikaner lasten.» Und im Wahlkampf 2008 hatte er versprochen, die teuren Kriege seiner Vorgänger zu beenden.
Zwischen 1992 und 2017 griffen die Amerikaner 188 Mal militärisch im Ausland ein, viermal so häufig wie während des Kalten Kriegs, wie der Historiker Kupchan schreibt. Obama hatte den Unmut in der Bevölkerung registriert, wollte das Engagement im Ausland zurückfahren, jedoch nicht ganz aufgeben. Das war auch die Botschaft von Joe Biden, dem Präsidenten nach und vor Trump. Als alter Transatlantiker sah er aber die Notwendigkeit, die Ukraine im Kampf gegen den Aggressor Putin zu unterstützen – im Sinne der regelbasierten Weltordnung.
Eine solche Intervention ist nun unter Donald Trump, dem selbsternannten Dealmaker und Friedensfürsten, mehr als fraglich geworden. Er versprach schon in seiner ersten Amtszeit, die Amerikaner «nicht länger dem falschen Lied des Globalismus auszuliefern». Stattdessen setzt er nicht nur auf Protektionismus, sondern auch auf ein Revival der Monroe-Doktrin. Er greift in seiner Nachbarschaft nach Grönland und dem Panamakanal, wehrt sich gegen den zunehmenden Einfluss Chinas in Lateinamerika – des gefährlichsten Widersachers der USA.
Die Rückkehr der USA zum Isolationismus hingegen hat er nicht eingeläutet, sondern vielmehr die Frustration in der Bevölkerung kanalisiert. Es war schon lange klar, dass die Europäer mehr für ihre «strategische Autarkie» hätten tun müssen – Trump hin oder her. Der amtierende amerikanische Präsident hat dieses Versäumnis im Fall der Ukraine nur auf schockierend rücksichtslose Weise entblösst.