Freitag, Oktober 4

Der Indische Ozean gewinnt für Washington an Gewicht. Und damit auch die Zusammenarbeit mit Indien.

Die USA grenzen an den Pazifik und an den Atlantik, nicht aber an den Indischen Ozean. Frau Curtis, ist dieser Ozean aus amerikanischer Sicht weniger wichtig?

Historisch war das so. Der Fokus war klar auf dem Pazifik – da haben wir unsere Militärbasen: Auf Hawaii und Guam, in Japan und Südkorea. Doch das hat sich geändert. Das zeigt sich allein darin, dass wir heute vom Indopazifik sprechen, das Regionalkommando unserer Streitkräfte heisst jetzt so. Wir schauen die Region gesamtheitlich an.

Früher waren die USA stark vom Erdöl aus dem Persischen Golf abhängig, der ja Teil des Indischen Ozeans ist. Das ist nicht mehr der Fall. Verliert die Region damit für die USA an Bedeutung?

Ich glaube nicht. Der Mittlere Osten ist für die USA weiter wichtig. Wir schauen auch vermehrt auf den Indischen Ozean, weil China hier seine Präsenz ausbaut. Darum arbeiten die USA mit Indien zusammen, damit Indien zumindest im nordöstlichen Teil des Indischen Ozeans dominant bleibt.

Sicherheitsexpertin

Lisa Curtis ist die Direktorin des Programms für Sicherheit im Indopazifik bei der Washingtoner Denkfabrik Center for a New American Security. Unter Präsident Trump war sie im Rat für nationale Sicherheit verantwortlich für Süd- und Zentralasien. Insgesamt hat sie zwanzig Jahre für die amerikanische Regierung gearbeitet, unter anderem in der CIA und im Aussenministerium.

Interessieren sich die USA wieder einmal nur für eine Region, weil sich China breitmacht? Das erinnert an den Südpazifik, den die USA ignoriert haben, bis die Salomonen ein Sicherheitsabkommen mit Peking schlossen.

Sie haben Recht, den Südpazifik hatten die USA lange sträflich vernachlässigt. Beim Indischen Ozean hingegen ist das anders. Bereits seit gut 20 Jahren baut Washington Beziehungen zu Indien auf. Das chinesische Vordringen hat dieses Interesse nur noch einmal verstärkt.

Wie würden Sie die Beziehungen zwischen den USA und Indien charakterisieren?

Die Beziehungen sind sehr gut. Das jüngste Beispiel ist die Initiative für kritische und neu entstehende Technologien, die Anfang 2023 vorgestellt wurde. In deren Rahmen werden unsere beiden Länder gemeinsam Düsentriebwerke für Militärflugzeuge herstellen. Es ist ein Zeichen des Vertrauens, wenn die USA diese sensitive Technologie mit Indien teilen.

Die Türkei wurde 2019 aus dem Programm für den Bau des Kampfjets F-35 geworfen, weil sie ein russisches Flugabwehrsystem beschafft hat. Indien arbeitet im Rüstungsbereich auch heute noch eng mit Russland zusammen – wie geht das für die USA zusammen mit dem gemeinsamen Bau von Triebwerken?

Die Triebwerke sind nicht ganz so heikel, wie es der F-35 war. Aber die indische Rüstungskooperation mit Russland setzt natürlich Grenzen, wie weit die USA bereit sind, sensitive Daten und Kommunikationsplattformen zu teilen. Die USA wünschen sich, dass sich Indien stärker und schneller von der russischen Rüstungsindustrie distanziert.

Vor kurzem besuchte Premierminister Modi aber Russland und umarmte dort Präsident Putin. Wie sehen das die USA?

Die amerikanische Regierung war sehr frustriert über diesen Besuch. Insbesondere wegen des Timings – denn Modi war genau dann in Moskau, als sich in Washington die Staats- und Regierungschefs der Nato trafen. Amerikanische Diplomaten hatten im Vorfeld Indien immer auf das schlechte Timing hingewiesen. Doch Modi liess sich nicht davon abhalten. Dass kurz vor dem Besuch Russland ein Kinderspital in Kiew bombardierte, machte die Optik noch viel schlimmer. Trotzdem glaube ich nicht, dass die USA deswegen ihre Beziehungen zu Indien fundamental ändern werden: Delhi ist viel zu wichtig als Gegengewicht zu Peking.

Zyniker sagen, dass Modi gegenwärtig für die USA im Kampf gegen China so wichtig ist, dass man ihm sogar einen Mord durchgehen lässt. Sie verweisen auf die Ermordung eines Sikh-Aktivisten in Kanada, die angeblich von der indischen Regierung in Auftrag gegeben worden sein soll.

Dass die indische Regierung in die Ermordung eines kanadischen Bürgers auf kanadischem Boden verwickelt sein soll, ist unglaublich. Man muss sich schon fragen: Hätte sich Indien auch auf ein so dreistes Attentat eingelassen, wenn die Amerikaner in Sachen Demokratie oder Menschenrechte härter gewesen wären? Hoffentlich haben die Verantwortlichen in Indien ihre Lektion gelernt, und wir werden in Zukunft nie wieder so etwas sehen.

Viele kleinere Länder, insbesondere in Südostasien, beklagen sich darüber, dass die USA nur immer von Sicherheit sprechen, wirtschaftlich aber wenig zu bieten haben. Da setzen fast alle auf China.

Ja, die Länder in der Region wünschen sich mehr wirtschaftliches Engagement der USA. Doch dort gibt es einen Trend zu Protektionismus, und es besteht praktisch keine Bereitschaft, sich grossen Freihandelsabkommen anzuschliessen. Wenn die USA abseits stehen, können sie aber die Regeln für den regionalen Handel nicht mitgestalten. Es gibt zwar einige Initiativen für amerikanische Investitionen in der Region – das genügt aber bei weitem nicht.

Die Trans-Pacific Partnership, besser bekannt unter der Abkürzung TPP, war eine von den USA angeführte Freihandelszone, die als Gegengewicht zu Chinas wirtschaftlichem Einfluss konzipiert war. War es ein Fehler, dass sich Präsident Trump daraus zurückgezogen hat?

Ja. Ich bin eine klassische Konservative, die weltweiten Handel positiv sieht. Wir brauchen Politiker und Wirtschaftsführer, die erklären können, dass freier Handel für die amerikanische Wirtschaft und die Arbeiter in den USA gut ist. Doch diese Führungspersönlichkeiten gibt es leider nicht. Wenn die USA aber mit China konkurrieren und eine Weltmacht bleiben wollen, dann müssen sie weiterhin eine führende Rolle im globalen Handel und bei den Investitionen spielen.

TPP lebt weiter unter der Bezeichnung CPTPP. Sehen Sie eine Chance, dass sich die USA da wieder engagieren?

Leider nein.

Wir führen dieses Gespräch in Perth, Australiens grösster Stadt am Indischen Ozean. Im Rahmen des Aukus-Abkommens mit Australien und Grossbritannien werden ab 2027 amerikanische Atom-U-Boote eine Marinebasis in dieser Region nutzen können. Warum ist das wichtig?

Wir haben somit einen direkten Zugang zum Indischen Ozean. Die Wege hierher von den USA über den Pazifik sind sehr lang. Darum macht es einen grossen Unterschied, wenn die US Navy U-Boote von hier aus einsetzen kann.

Australien erhält dank amerikanischem Technologietransfer in den nächsten 15 bis 20 Jahren selber U-Boote mit Atomantrieb. Was gewinnen die USA ihrerseits mit dem Aukus-Abkommen?

Die USA können nicht alle globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen allein bewältigen – vor allem wenn es um China geht. Mit Aukus baut Australien seine militärischen Fähigkeiten aus und kann zur gemeinsamen Abschreckung beitragen. Aukus hat auch eine technologische Komponente – gemeinsam mit Australien und Grossbritannien können die USA im technologischen Wettlauf besser mit China konkurrieren.

Gegenwärtig befindet sich ein italienischer Flugzeugträger in australischen Gewässern, auch eine deutsche Fregatte ist im Indopazifik unterwegs. Machen diese militärischen «Ausflüge» der Europäer überhaupt einen Unterschied?

Auch wenn die Mittel der Europäer beschränkt sind, ist es wichtig, dass sie sich im Indopazifik engagieren. Russland und China verstärken ihre Zusammenarbeit – daher müssen wir die Sicherheit in Europa und im Indopazifik zunehmend vernetzt betrachten. Was hier passiert, hat Auswirkungen dort. Und umgekehrt. Die Europäer müssen China zu verstehen geben: Wenn ihr Russland in der Ukraine unterstützt, hat das Konsequenzen.

Es gäbe eine andere Möglichkeit, die Lasten zu teilen: Europa könnte sich selber um die europäische Sicherheit kümmern und sich gegen Russland verteidigen. Dann könnten sich die USA stärker auf den Indopazifik und China konzentrieren . . .

Die USA können sich nicht einfach aus Europa zurückziehen. Denn sie sind eine globale Macht. Sie müssen weiterhin in Europa präsent sein und sich in der Nato engagieren. Es geht darum, dass die USA und ihre Verbündeten und Partner enger und klüger zusammenarbeiten. Das gilt sowohl mit den Europäern als auch mit asiatischen Ländern wie Japan und Australien. Die USA müssen an beiden Fronten präsent sein und Führungsstärke zeigen.

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