Mittwoch, Oktober 2

Vernetzte Fahrzeuge gleichen zunehmend Smartphones: Sie wissen viel über uns und können angegriffen werden. Eine Risikoanalyse.

Ein Auto ist längst mehr als nur ein Auto. Es ist ein Computer, der ständig online ist. Personen transportieren können vernetzte Fahrzeuge zwar auch. Aber noch viel mehr. Autos sehen die Umgebung, sie hören, was im Innenraum gesprochen wird, und sie kennen die wichtigen Orte und Personen in unserem Leben. Mit dem bidirektionalen Laden werden Elektroautos sogar zu Batterien im Stromnetz.

All diese zusätzlichen Funktionen bergen Risiken. Vernetzte Fahrzeuge können Angriffspunkt für Hackerangriffe sein, und die gesammelten Daten sind eine Gefahr für die Privatsphäre. Autos gleichen diesbezüglich zunehmend den Smartphones, die zum Zentrum unseres digitalen Lebens geworden sind. Doch anders als Smartphones können Fahrzeuge auch ein Mittel für Sabotage sein. Das vergrössert die Gefahr.

Die USA wollen diese Bedrohung eindämmen. Die Regierung plant ein Verbot von vernetzten Fahrzeugen aus China. Generell sollen gar alle Komponenten und Software für Autos verboten werden, die aus sogenannten «fragwürdigen Staaten» («countries of concern») stammen, wozu neben China insbesondere auch Russland zählt.

Die USA begründen das geplante Verbot mit einer Bedrohung der nationalen Sicherheit. Hersteller aus China würden demnach ein Risiko für die USA und ihre Bürger darstellen. Doch welche Szenarien gibt es überhaupt? Und wie realistisch sind sie? Eine Übersicht.

Risiko 1: Massenüberwachung

Autos sammeln Unmengen von Daten. Dazu gehört insbesondere die Standortinformation, also wo sich das Auto zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet. Anhand dieser Daten lässt sich bereits sehr viel über eine Person erfahren: Wohnort, Arbeitsort, geschäftliche Kontakte oder ob jemand eine heimliche Liebschaft hat oder in die Ferien fährt.

Weitere Informationen sammeln die Fahrzeuge über das eingebaute Infotainment-System oder installierte Apps. Und erst wer das eigene Smartphone mit dem Fahrzeug verbindet, erhält den wirklichen Komfort zum Beispiel beim Telefonieren über die Freisprecheinrichtung oder beim Navigieren mit Google Maps. Im Gegenzug kann das Fahrzeug auf gewisse persönliche Daten zugreifen.

Das Auto selbst hat ebenfalls zahlreiche Sensoren. Besonders heikel sind Mikrofone im Innenraum, über die geschäftliche oder persönliche Gespräche geführt werden. Auch Kameras aussen und innen am Fahrzeug sind zunehmend Standard.

Autohersteller sammeln solche Daten über ihre Kunden. Das geschieht nicht nur bei Fahrzeugen aus China. Vor einem Jahr befasste sich die Mozilla-Stiftung mit den Praktiken der Automarken. Das Fazit: «Moderne Autos sind ein Albtraum für die Privatsphäre.»

Bei chinesischen Firmen sehen die USA aufgrund der geopolitischen Verhältnisse ein besonderes Risiko. Bereits 2021 hiess es in einem Bericht der amerikanischen Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) prägnant: Die Staaten von Autoherstellern wie Deutschland, Japan oder Korea hätten keine politischen Motive, um diese Datensammlungen auszunutzen. «Bei China ist das jedoch anders.»

Bei chinesischen Autos steht die Befürchtung im Raum, dass Peking über den Hersteller auf die Informationen zugreifen könnte. China hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass es ein grosses Interesse an umfangreichen Datensammlungen hat. Das Regime steckt mutmasslich hinter zahlreichen Cyberangriffen, bei denen persönliche Informationen von Millionen von amerikanischen Bürgern abgeflossen sind. Daten aus vernetzten Fahrzeugen ergänzen solche Datensammlungen perfekt.

Umfangreiche Datensätze können einem Staat zur Spionage oder zur Spionageabwehr dienen. Die Informationen aus verschiedenen Quellen werden kombiniert zu einer Art Schattenlebenslauf, der zur Identifizierung potenzieller Spione dient. Die Informationen können zudem genutzt werden, um bestimmte Personen gezielt anzusprechen und möglicherweise zu erpressen.

Dieser Gefahr sind sich die amerikanischen Behörden bewusst. Die nationale Strategie zur Spionageabwehr von diesem Sommer zählt Fahrzeugdaten explizit zu jenen Informationen, die für feindliche Nachrichtendienste nützlich sind. Datenschutz wird zur Aufgabe der nationalen Sicherheit.

Risiko 2: Spionage

Vernetzte Fahrzeuge eignen sich zudem dazu, einzelne Personen oder gewisse Orte auszuspionieren. Autos werden oft als geschützter Raum wahrgenommen, in dem zum Beispiel vertrauliche Gespräche möglich sind. Dies ist wegen der Mikrofone aber nicht mehr der Fall.

Autos können das Einfallstor sein, um Kommunikation mitzuschneiden. Dazu gehören Telefongespräche, aber je nach Vernetzung mit dem Smartphone auch E-Mails oder Textnachrichten. Das Infotainment-System eines Autos kann gar dazu dienen, das Smartphone des Fahrers mit einer Spionagesoftware zu infizieren.

Anhand der Fahrzeugdaten lassen sich die Bewegungen einer Zielperson verfolgen. Kameras im Inneren des Autos oder Informationen über den Fahrstil geben in gewissen Fällen gar Hinweise auf das emotionale Befinden des Fahrers.

Hilfreich für die Spionage können zudem Kameras sein, die die Umgebung registrieren. Damit lassen sich Firmengelände, Sicherheitsvorkehrungen auf militärischen Anlagen oder Personen und andere Fahrzeuge erkennen, die sich in gesicherten Arealen aufhalten.

Autos werden damit zu Überwachungskameras in geschützten Bereichen. China hat auf dieses Risiko bereits vor einigen Jahren reagiert. 2021 hat Peking die Nutzung von Tesla-Autos für Militärangehörige, Beamte und Angestellte von Staatsbetrieben beschränkt. Private Tesla-Fahrzeuge sollen auf bestimmten Arealen der Verwaltung verboten sein.

Die USA schätzen jedoch nicht nur chinesische Autos als Gefahr für die nationale Sicherheit ein. Das geplante Verbot umfasst Software oder ganze Komponenten, welche das Fahrzeug mit der Aussenwelt verbinden, also konkret über Bluetooth, Wi-Fi, Mobilfunk oder Satellit. Das dürfte Modelle von europäischen oder amerikanischen Autoherstellern betreffen, die vermutlich einzelne Module aus China beziehen dürften. Firmen wie Mercedes oder BMW produzieren gar ganze Fahrzeuge in China, auch für den Exportmarkt.

Risiko 3: Sabotage

Bei verbundenen Fahrzeugen gibt es neben der Möglichkeit, Passagiere und Umgebung auszuspionieren, auch das Risiko der Sabotage. Es gibt bereits mehrere Beispiele, in denen Hacker einzelne Autos aus der Ferne manipuliert haben und zum Beispiel auf der Autobahn den Motor abstellen konnten. Für einen externen Angreifer ist eine solche Sabotageaktion über das Internet noch immer aufwendig und komplex. Die Herstellerfirma selbst hat jedoch meist einen Fernzugriff auch auf kritische Komponenten der Fahrzeuge. So aktualisiert Tesla die Software seiner Autos regelmässig über das Internet.

Die Möglichkeit, die Steuerung eines Autos – auch eines autonom fahrenden Autos – zu manipulieren, birgt grosse Risiken. Denkbar wäre etwa, dass das chinesische Regime auf diese Weise einen gezielten Mordanschlag auf einen Dissidenten durchführen könnte. Vermutlich wäre es äusserst schwierig, im Nachhinein zu belegen, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Unfall, sondern um eine verdeckte Tötungsaktion gehandelt hat.

Die Manipulation von Fahrzeugen lässt sich zusätzlich skalieren. Statt nur eines einzelnen Autos könnten gleich Dutzende oder Hunderte Fahrzeuge in einer bestimmten Region zum Stillstand gebracht werden. Der Verkehr würde zusammenbrechen, möglicherweise kämen die Einsatzkräfte an ihre Grenzen. Eine solche grossangelegte Aktion wäre jedoch auffällig und wohl nur im Rahmen einer grösseren Operation oder in einem offenen Konflikt nützlich.

Elektroautos können zusätzlich gar die Stromversorgung beeinflussen. Beginnen zum Beispiel Tausende Fahrzeuge gleichzeitig mit dem Laden ihrer Batterien, kann das Schwankungen im Stromnetz verursachen. Bei bidirektionalem Laden, wo Elektrofahrzeuge auch als Batterie funktionieren und Strom ins Netz einspeisen, sind die Möglichkeiten, einen Stromausfall zu provozieren, noch vielfältiger.

Die amerikanischen Behörden erwähnen im Zusammenhang mit dem geplanten Verbot explizit, dass vernetzte Fahrzeuge es einem böswilligen Akteur ermöglichen könnten, den Betrieb kritischer Infrastruktur zu beeinträchtigen. Das Stromnetz gehört dazu.

Fazit

Die Pläne der USA mögen radikal wirken, die Befürchtungen weit hergeholt scheinen. Tatsächlich ist die Zahl chinesischer Fahrzeuge auf amerikanischen Strassen derzeit noch überschaubar. Und die Szenarien, wie sie die nationale Sicherheit gefährden könnten, sind komplex. Doch die Risiken sind real.

Dass die USA bei vernetzten Autos konsequent durchgreifen wollen, passt zur bisherigen Linie. In Bezug auf chinesische Produkte fährt die amerikanische Politik seit längerem einen harten Kurs, etwa bei Produkten von Huawei oder der Videoplattform Tiktok. Neben der nationalen Sicherheit spielen dabei auch Industriepolitik und Geopolitik eine Rolle.

Der Technologiekonflikt zwischen den USA und China erfasst nun ebenfalls vernetzte Fahrzeuge. Die Konsequenzen daraus werden auch europäische Autobauer zu spüren bekommen. Sie werden ihre Kooperationen mit China zurückfahren oder gar stoppen müssen, wenn sie weiterhin den amerikanischen Markt bedienen wollen.

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