Sonntag, September 8

Das amerikanische Erdgas hat Europa vor einer tiefen Rezession bewahrt. Nun hat US-Präsident Joe Biden ein Moratorium für neue Flüssiggasterminals verhängt. Ob das dem Klimaschutz dient, ist allerdings keineswegs ausgemacht.

Von null zum Weltmarktführer in weniger als zehn Jahren: Dies ist den USA beim Export von Flüssiggas gelungen. Sie haben damit letztes Jahr erstmals Katar und Australien als dominierende Anbieter von LNG (Liquefied Natural Gas) hinter sich gelassen.

Doch diese Erfolgsgeschichte ist in Zeiten des Klimawandels ambivalent, zumindest für den demokratischen Präsidenten Joe Biden. Will er im November gegen seinen voraussichtlichen Herausforderer Donald Trump bestehen, muss er viele Gruppen um sich scharen. Dazu zählen für ihn auch die Klimaschützer.

Biden hat deshalb vor kurzem entschieden, den Erdgasboom zu drosseln. Erdgas lässt sich entweder über Pipelines oder mit Schiffen transportieren. Die zweite Möglichkeit funktioniert nur, wenn man das Erdgas so weit abkühlt, bis es flüssig wird. Dazu braucht es spezielle Terminals, deren Bau bis zu zehn Milliarden Dollar verschlingt.

Biden bewilligt Erdölfeld in Alaska

An der Atlantikküste und am Golf von Mexiko stehen in den USA derzeit sieben solche Monsteranlagen, die umgerechnet die Nachfrage von Deutschland und Frankreich bedienen können. Weitere fünf Anlagen befinden sich im Bau und werden die Exportkapazitäten bis 2028 nochmals verdoppeln. Schliesslich sind noch einmal zwölf Terminals projektiert. Deren Planung kann nun vorderhand nicht vorangetrieben werden, weil für das dort verladene Flüssiggas keine Exportlizenzen erteilt werden.

Die Regierung Biden wolle in den nächsten Monaten eruieren, welche Auswirkungen die Terminals auf die Umwelt, die Erdgaspreise und die Versorgungssicherheit haben, heisst es aus Washington. Kurzfristig hat sich das Moratorium nicht auf die Erdgaspreise ausgewirkt. Dies dürfte erst der Fall sein, wenn es sich länger hinzieht und Unsicherheit bei Investoren schürt. Bidens Entscheid ist trotzdem höchst umstritten – gerade auch in einem Wahljahr.

Erstens scheint der Klimaschutz als Grund wohlfeil, sind die Vereinigten Staaten unter Trump und Biden doch zum grössten Förderland für fossile Energieträger aufgestiegen. So hat Biden im letzten März zum Beispiel die Ausbeutung eines riesigen Erdölfeldes in Alaska bewilligt, was bei Umweltschützern geharnischte Reaktionen ausgelöst hatte. Ein Viertel der Förderung fossiler Energieträger erfolgt heute auf Land, das dem Bundesstaat gehört. Und diese Ressourcen sind auch für einen Viertel der amerikanischen CO2-Emissionen verantwortlich. Es ist jedenfalls fraglich, ob der grüne Anstrich bei jungen Klimaschützern verfängt.

Die LNG-Exporte aus den USA boomen

Flüssiggas, in Mrd. Kubikfuss

Zweitens ist keineswegs sicher, ob eine Reduktion der Erdgasexporte aus den USA der Umwelt überhaupt hilft. Wenn Erdgas verbrennt, entsteht dadurch etwa halb so viel CO2, wie wenn man Kohle verfeuern würde. Das ist auch der Grund dafür, dass die Treibhausgasemissionen in den USA seit dem Höhepunkt im Jahr 2007 um ein Fünftel gesunken sind: Kohlekraftwerke wurden durch Gaskraftwerke ersetzt.

Dies ist auch in anderen Weltgegenden zu beobachten, sei es in Europa oder in Asien, man denke an China, Indien, Pakistan oder Bangladesh. Wenn die USA somit ihre Flüssiggasexporte limitierten, könnte diese Substitution ins Stocken geraten – auch deshalb, weil dadurch die Erdgaspreise wieder stiegen.

Je neuer die LNG-Terminals sind, desto weniger Methan-Lecks gebe es, sagen Experten. Dies ist deshalb wichtig, weil die Klimawirkung von Methan 25 Mal so stark ist wie von Kohlendioxid. Wenn also beim Verflüssigen von Erdgas Methan austritt, kann dies den Klimavorteil gegenüber Kohle zunichtemachen. Es gibt in den USA deshalb Bestrebungen, den Methanaustritt bei der Erdgasinfrastruktur zu verringern.

Ein dritter Kritikpunkt: Sollten die USA ihre Kapazitäten beschränken, werden andere Länder noch so gerne in die Bresche treten. Darunter hat es autoritäre wie Katar und Russland oder wenig stabile wie Algerien. Auch Australien oder Kanada reiben sich schon die Hände, doch gehören diese immerhin ins westliche Lager.

Versorgungssicherheit nach Europa exportiert

Der Boom amerikanischer Flüssiggasexporte hat zum einen mit der Fracking-Technik zu tun, die seit 2000 immer grössere Verbreitung findet. Dabei wird Wasser in tiefe Gesteinsschichten gepresst, wo Tonschiefer zerbirst und dadurch Gasbläschen entweichen können, die dann aufgefangen werden. Bis vor 2o Jahren verfügten die USA noch über Terminals zum Import von Erdgas. Im Zug des Frackings wurden diese dann zu Exportzwecken umgerüstet.

Zum anderen hat die Nachfrage aus Asien und seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 auch aus Europa stark angezogen. Die USA können dank ihren reichlichen Erdgasvorkommen einen Teil ihrer Versorgungssicherheit sogar auf Europa übertragen. Erst 2016 begannen sie mit der Ausfuhr von Flüssiggas, doch nun macht der amerikanische Marktanteil beim nach Europa gelieferten LNG bereits 50 Prozent aus.

Vor der Invasion hatte Europa einen Drittel seines Erdgases vornehmlich via Pipeline von Russland bezogen. Dass Europa trotz den stark gestiegenen Energiekosten nicht in eine tiefe Rezession gestürzt ist, liegt somit an den Importen von Flüssiggas aus den USA. So konnten Produktionsstopps und Abschaltungen vermieden werden.

Mehr Wahlkampf als Klimaschutz

Seitdem Biden das Moratorium verhängt hat, streiten sich Experten darüber, ob es zusätzliche Terminals überhaupt noch braucht. Angeführt wird etwa, dass die EU bis 2030 die Emission von Treibhausgasen um 55 Prozent gegenüber 1990 senken wolle. Dazu würden steigende Erdgasimporte aus den USA nicht passen. Allerdings ist zumindest in einer Übergangszeit noch viel Erdgas nötig, um den schwankenden Solar- und Windstrom auszugleichen. Allein in Deutschland ist die Rede davon, dass es 50 neue Gaskraftwerke brauche.

Entscheide über Angebot und Nachfrage sind bei den Marktteilnehmern besser aufgehoben als bei Bürokraten. Dies gilt auch für das Erdgas in den USA. Es sind letztlich private Firmen, die die Risiken tragen, sollte die Rechnung nicht aufgehen. Aufgabe des Staates sollte es hingegen sein, dass der Erdgaspreis auch die Klimaschäden widerspiegelt. Hier hat die EU mit dem Emissionshandel einen deutlichen Vorsprung gegenüber den USA, wo es keinen landesweiten Preis für CO2 gibt. Bidens Moratorium hat jedenfalls viel mit Wahlkampf, aber wenig mit Klimaschutz zu tun.

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