Freitag, August 1

Marco Overhaus analysiert die neuen weltpolitischen und militärischen Voraussetzungen seit dem Beginn von Trumps zweiter Amtszeit.

Wie weiter mit Donald Trump? Beziehungsweise ohne ihn. Diese Frage stellt sich zunehmend überall auf der Welt. Sie richtet sich an Freunde wie Feinde der Vereinigten Staaten, wobei diese Rollen vom amerikanischen Präsidenten immer wieder neu zugeordnet werden – je nach Thema und Interesse. Würde Europa handlungsfähig bleiben oder vielmehr werden können, wenn sich der Verbündete jenseits des Atlantiks wie bereits nach dem Ersten Weltkrieg vom alten Kontinent militärisch zurückziehen würde?

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Marco Overhaus stellt nüchtern fest, dass die USA augenscheinlich immer weniger in der Lage sind, das Verhalten anderer Staaten mit militärischen Mitteln zu beeinflussen. Das gilt nach der Beobachtung des Wissenschafters in der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin vor allem für die zentralen Gegenspieler der Pax Americana: Noch Anfang der 2000er Jahre hätte es China wohl nicht gewagt, Amerika so offen in der Taiwanstrasse herauszufordern. Russland wäre nicht in die Ukraine einmarschiert. Und Iran wäre es nicht in den Sinn gekommen, Israel direkt mit Raketen anzugreifen.

Overhaus erinnert daran, dass einerseits die Grundlage amerikanischer Macht im sicherheitspolitischen Bereich stets die Glaubwürdigkeit der Sicherheitszusagen gegenüber Verbündeten und Partnern sowie der Abschreckung gegenüber den Gegnern war. Anderseits würde der Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion, die diesen Namen verdient, die Europäer vor gewaltige militärische und politische Probleme stellen.

Diese gehen, so Overhaus, weit über die Bereitstellung militärischer Fähigkeiten hinaus. Dabei spielten drei Bereiche eine wichtige Rolle: Die Interoperabilität der europäischen Streitkräfte ist nach wie vor unzureichend. Es fehlen ausserdem gemeinsame Kommandostrukturen für anspruchsvolle militärische Szenarien. Schliesslich erweist sich die politische Entscheidungsfindung auf EU-Ebene meist als komplex.

Europa muss aufrüsten

Nach Voraussage von Overhaus würde ein Rückzug der USA aus der Nato die Frage nach den Grenzen der euro-atlantischen Sicherheitsgemeinschaft mit neuer Dringlichkeit stellen: Washington könne der Aufnahme weiterer Länder in das Bündnis einen Riegel vorschieben. Dies hält Overhaus unter Trump sogar für recht wahrscheinlich. Eine solche Entwicklung würde nach seiner Einschätzung nicht zuletzt die Beitrittshoffnungen der Ukraine zunichtemachen.

Die Last, den Ländern im sicherheitspolitischen Graubereich zwischen Nato, Europa und Russland eine sicherheitspolitische Verankerung zu bieten, würde dann nach Overhaus auf den Schultern der EU und ihrer Mitgliedsländer ruhen. Es stellt sich die Frage, ob diese Schultern im Ernstfall breit genug sind.

Zweifel sind angebracht. Notwendig dürfte eine Reform der Nato sein, um ihren europäischen Pfeiler zu stärken. Für Overhaus wäre ein erster Schritt in diese Richtung der Aufbau von europäischen Fähigkeiten, bei denen bislang eine besonders hohe Abhängigkeit von Washington besteht.

Starke Aufmerksamkeit verdienen nach seiner Analyse auch jene Fähigkeiten, welche die USA im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit China im Indopazifik benötigen würden. Dazu zählt Oberhaus insbesondere Lufttransport, Luftverteidigungssysteme, moderne Kampfflugzeuge, weitreichende Raketen und Marschflugkörper, Luftbetankung sowie Aufklärung.

Zwar bescheinigt Overhaus den europäischen Ländern, in einigen kritischen Bereichen bereits Fortschritte gemacht und entsprechende Initiativen unternommen zu haben. So etwa beim Aufbau einer europäischen Flotte von Luftbetankungsflugzeugen oder eines europäischen Lufttransport-Kommandos. Ebenso nennt er in diesem Zusammenhang die von Deutschland angeführte Sky-Shield-Initiative zur Installierung einer europäischen Luftverteidigung. Aber er stellt fest, dass diese Anstrengungen noch lange nicht ausreichen, um besonders kritische amerikanische Fähigkeiten zu ersetzen – nicht zuletzt mit Blick auf die «erweiterte nukleare Abschreckung» der USA.

Wirtschaftsbeziehungen stärken

Da eine nachhaltig starke Wirtschaft die Voraussetzung für eine nachhaltig starke Verteidigungsfähigkeit ist, dürfte der weitere Verlauf der globalen Wirtschaftskonflikte nicht nur für die transatlantische, sondern auch für die jeweilige amerikanische und europäische Überlebensfähigkeit mitentscheidend sein. Wie eng der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen ist, zeigt sich spätestens seit dem Zusammenbruch der alten Sicherheitsordnung in Europa und dem Überfall Russlands auf die Ukraine.

Das betrifft in den Augen von Overhaus nicht nur die Russland-Sanktionen, sondern auch die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Verdienstvoll weist er darauf hin, dass im Zusammenhang mit der Nato meist Artikel 5 des Washingtoner Vertrages im Fokus der Aufmerksamkeit stehe, in dem es um die kollektive Verteidigung gehe.

Artikel 2 dagegen finde weniger Beachtung, obwohl er in Zukunft eine wachsende Bedeutung erlangen könne. Darin verpflichteten sich die Bündnispartner, «Konflikte in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik zu beseitigen» und die wirtschaftliche Zusammenarbeit untereinander zu fördern. Dahinter steht nach der Darstellung von Overhaus die Erkenntnis, dass enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Mitgliedern Bündnisse wie die Nato stärken, während Wirtschaftskonflikte sie schwächen können.

Prägend für die Zukunft der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen dürfte nach der Prognose von Overhaus der Umgang mit China sein. Einig sieht er Brüssel und Washington zwar darin, dass es vorrangig um Risikominderung gegenüber Peking gehen sollte, nicht um wirtschaftliche Abkoppelung. Es gebe jedoch einen grossen Interpretationsspielraum, wo Risikominderung aufhöre und wo Abkoppelung anfange. Das gilt auch mit Blick auf Amerika unter Trump – für Europa, für Asien, für die Welt an sich. Verlässlich erscheint hier bislang lediglich die Enttäuschung auf allen Seiten.

Marco Overhaus: Big Brother Gone. Europa und das Ende der Pax Americana. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2025. 287 S., Fr. 23.70.

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