Freitag, Oktober 4

María Corina Machado ist untergetaucht. Sie kann jeden Moment verhaftet werden. Nun sprach sie erstmals mit den internationalen Medien über die Lage in Venezuela.

Seit fünf Wochen lebt sie im Untergrund, auf der Flucht vor den Schergen des venezolanischen Regimes. Nach den offensichtlich gefälschten Wahlen trat die Oppositionsführerin María Corina Machado bisher nur einmal kurz bei einer Grossdemonstration auf. Seitdem hält sie sich versteckt, ebenso wie Edmundo González, der Präsidentschaftskandidat der Opposition.

Fast täglich würden Vertraute und Mitstreiter von ihr verhaftet, sagt Machado, doch sie werde in Venezuela bleiben. «Ich sehe das als meine Pflicht», sagt sie, die ihre politische Glaubwürdigkeit unter anderem der Tatsache verdankt, dass sie immer im Land geblieben ist – obwohl ihre Familie enteignet wurde und ihre Kinder längst im Ausland leben.

Venezuela ist nicht gespalten – sondern einig gegen Maduro

Trotz der Verfolgung durch das Regime wirkt Machado im Gespräch souverän und optimistisch. Mehr als eine Stunde stellt sich die 56-Jährige den Fragen der ausländischen Journalisten. Präsident Nicolás Maduro betrachtet sie als so schwach wie nie zuvor. Die Gesellschaft sei nicht mehr polarisiert oder gespalten wie früher, sagt sie. Maduro sei nun total delegitimiert: «Zum ersten Mal ist sich das Land einig, dass es Maduro und sein Regime ablösen will.»

Umfragen zeigen, dass Maduro vor der Wahl nur noch eine Popularität von maximal 30 Prozent hatte. Seither dürfte er angesichts des offensichtlichen Wahlbetrugs und der Repression weitere Sympathisanten verloren haben. Nun hat er verkündet, dass Weihnachten bereits am 1. Oktober gefeiert werde. Er hofft, mit Sonderzahlungen an Beamte und mit staatlichen Geschenkaktionen die Stimmung in der Bevölkerung zu heben.

Durch die Repression isoliere sich Maduro immer mehr, sagt Machado. Unter den Verhafteten seien viele Jugendliche und viele Frauen. Am Wochenende seien achtzig Jugendliche freigelassen worden. Nach den Wahlen waren zeitweise mehr als 2400 Menschen inhaftiert. Es habe 27 Tote gegeben.

Die einfachen Soldaten verweigern sich dem Regime

Es gebe kaum noch Unterstützer Maduros ausserhalb des Militärs und der Sicherheitskräfte, meint Machado. Aber auch 300 Uniformierte seien in den vergangenen Wochen verhaftet worden, sagt sie. Nur mithilfe vieler Soldaten in den Wahllokalen hätte die Opposition am 28. Juli landesweit die Wahlbelege einsammeln können, um den Betrug zu belegen.

Maduro habe darauf gesetzt, dass die weltweite Aufmerksamkeit für Venezuela bald nachlasse. Doch das sei bis jetzt nicht der Fall. «Aber es ist unsere grösste Herausforderung, unseren Kampf für Freiheit am Leben zu erhalten», sagt Machado. Sie vergleicht die Situation Venezuelas mit der weltweiten Isolation Südafrikas in den 1980er Jahren. Der internationale Druck sei damals ausschlaggebend gewesen dafür, dass das Apartheidregime vor dreissig Jahren endlich ein Ende fand.

Das venezolanische Regime werde weltweit von immer weniger Staaten unterstützt, so Machado. Selbst in Lateinamerika stünden nur noch die linksgerichteten Regime in Bolivien, Kuba und Nicaragua hinter der Diktatur. Dass China, Russland und Iran weiterhin an der Seite Venezuelas stehen, kommentierte Machado nicht.

Das Regime müsse unter Druck gesetzt werden. Es sei wichtig, dass das Ausland über die diplomatischen Kanäle Maduro deutlich mache, dass Verantwortliche für anhaltende Menschenrechtsverbrechen zur Rechenschaft gezogen würden – und dass diejenigen, welche das Regime unterstützen, deshalb ein Risiko eingehen.

Nichts deutet darauf hin, dass Maduro abtreten will

«Maduro verliert jeden Tag an Macht», glaubt Machado. Er solle die Chance ergreifen und einen friedlichen Übergang der Macht einleiten. Teil der Verhandlungen über einen Abgang sollten Amnestieangebote und Garantien für Maduro und den engsten Kreis des Regimes sein. Das wirkt jedoch sehr optimistisch: Derzeit deutet nichts darauf hin, dass Maduro und sein engster Führungskreis freiwillig einen Rücktritt in Erwägung ziehen würden.

Fast alle Stakeholder hätten heute ein Interesse an einem friedlichen Machtwechsel, meint Machado. Die ausländischen Ölkonzerne und Gläubiger befürworteten heute einen Regimewechsel, nachdem sie vor den Wahlen teilweise noch versucht hätten, sich mit Maduro zu arrangieren.

Auch die von Linken regierten Länder Brasilien, Kolumbien und Mexiko, welche Maduro lange den Rücken gestärkt hatten, wollten nun eine friedliche Lösung in Venezuela. Denn ein Überleben der Diktatur werde unweigerlich eine neue grosse Flüchtlingswelle bewirken; neue Fluchtbewegungen seien bereits feststellbar. Diese aber würden diese drei Länder zuerst treffen. Auch die USA würden deshalb auf einen Machtwechsel hinwirken.

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