Dienstag, Oktober 15

Die Grösse des Gehirns sagt nicht viel über seine Funktion aus. Das zeigt auch das Beispiel werdender Mütter: Ihr Gehirn schrumpft während der Schwangerschaft und wird effizienter. Und auch bei den Vätern tut sich etwas.

Die Nachricht erreichte uns über das Autoradio und klang beunruhigend: In der Schwangerschaft schrumpft das Gehirn. «Wird man dann dumm?», fragte meine Tochter vom Rücksitz. «Nein», sagte ich spontan. Aber es irritierte mich.

Ein schrumpfendes Gehirn bringe ich eigentlich mit Krankheiten wie Alzheimer in Verbindung. Zudem ist die sogenannte graue Substanz in der Hirnrinde betroffen. Sie enthält die Nervenzellkörper und spielt eine wichtige Rolle beim Denken und Planen.

«Hauptsache, gesund»

In dieser Kolumne werfen Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin und Gesundheit.

Die zitierte Studie im Fachjournal «Nature Neuroscience» bezifferte die Hirnreduktion auf 4 Prozent. Das klingt nach viel, und vor allem scheint es dauerhaft zu sein. Auch andere Studien zeigen, dass der Verlust viele Jahre später noch sichtbar ist.

Aber das ist kein Grund zur Panik, denn in der Biologie ist weniger manchmal mehr. So interpretieren es auch die Forscherinnen. Sie nehmen an, dass die Metamorphose des weiblichen Gehirns die Frauen auf ihre Mutterschaft vorbereitet.

Aber da schrillen bei mir die Alarmglocken. Ich kann die wertenden Interpretationen schon hören: Frauen mit einem kleineren Gehirn sind die besseren Mütter. Oder: Väter sind weniger geeignet in der Kinderbetreuung, weil ihr Gehirn so gross ist.

Denn über die Hirngrösse von Männern und Frauen wurde schon viel spekuliert. Oft mit dem Ziel, konservative Geschlechterrollen zu zementieren.

Die Leistung des Gehirns bleibt die gleiche

Fakt ist: Auch wenn das weibliche Gehirn in der Schwangerschaft schrumpft, können Frauen damit noch die gleichen Anforderungen erfüllen wie zuvor – und zusätzlich all das lernen, was eine Mutter können muss. Aber wie kann man mit weniger Hirnmasse mehr leisten?

Eine spanische Arbeitsgruppe befasst sich schon seit vielen Jahren mit den Hirnveränderungen in der Schwangerschaft. Sie verweist auf die Pubertät, in der die Hirnrinde ebenfalls schrumpft. In der Kindheit werden ständig neue Verbindungen zwischen den Nervenzellkernen gebildet. So lernt das Gehirn und wächst dabei auch.

Dann, in den Jugendjahren, erfolgt eine Generalüberholung. Unwichtige Verbindungen werden abgebaut und wichtige verstärkt. Das Netzwerk wird also schlanker und dabei effizienter.

Die Forscherinnen stellten bei Schwangeren und Jugendlichen eine vergleichbare monatliche Abbaurate des Hirnvolumens fest. Der Hormonschub scheint der Grund dafür zu sein.

«Und was ist mit den Vätern?», fragte mein Mann während des Radiobeitrags. Auch sie könnten profitieren, wenn sich ihr Gehirn auf die neuen Herausforderungen einstellen würde, findet er.

Vor der Geburt scheint bei ihnen nach heutigem Stand der Forschung noch nicht viel zu passieren. Aber wenn das Kind dann auf der Welt ist und die Väter viel Zeit mit ihm verbringen, dann passt sich auch ihr Gehirn an. Manche Regionen werden dabei kleiner, andere grösser. Zwar findet kein umfassender Abbau statt wie bei den Schwangeren, aber der ist offenbar auch nicht nötig.

Womöglich verschafft die Vorbereitung des Gehirns den Müttern also einen Vorteil. Aber auch sie müssen an der neuen Aufgabe zuerst wachsen. Und schliesslich beweisen viele Väter und nichtleibliche Mütter, dass gute Kinderbetreuung auch ohne geschrumpftes Gehirn gelingen kann. Denn zum Glück ist unser Gehirn generell sehr anpassungsfähig.

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